Essen. Der Energiekonzern RWE verzeichnet laut Zwischenbilanz einen Gewinnsprung in der Gaskrise. Konflikte zeichnen sich im Rheinischen Revier ab.
Im Lagebericht des Essener Energieversorgers RWE nimmt die Rubrik „Wesentliche Ereignisse“ diesmal besonders viel Raum ein. Die ersten Kapitel der Zwischenbilanz lesen sich wie eine kurze Chronik der Energiekrise. „RWE verständigt sich mit Bundesregierung auf Kohleausstieg 2030“, „Kernkraftwerke sollen dreieinhalb Monate länger am Netz bleiben“, „RWE reaktiviert drei Braunkohleblöcke“, „EU legt Eckpunkte einer Sonderabgabe für Stromerzeuger fest“ – so lauten einige der Überschriften. Kurzum: Es sind turbulente Tage für Deutschlands Energiewirtschaft im Allgemeinen und RWE im Besonderen.
Seit der im März 2018 auf den Weg gebrachten Aufteilung der Geschäfte mit dem Konzernnachbarn Eon ist RWE der mit Abstand größte deutsche Energieerzeuger. In dieser Rolle profitiert das Essener Unternehmen besonders davon, wenn die Preise für Strom und Gas hoch sind. Folglich kann RWE in der Zwischenbilanz für die Monate Januar bis September einen kräftigen Gewinnsprung präsentieren.
In den ersten drei Quartalen des laufenden Geschäftsjahres erzielte das Unternehmen eigenen Angaben zufolge ein bereinigtes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (bereinigtes Ebitda) in Höhe von knapp 4,13 Milliarden Euro – das sind 1,73 Milliarden Euro beziehungsweise 72 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Eine Reihe von Faktoren hätten sich positiv ausgewirkt, etwa die Inbetriebnahme neuer Windparks und höhere Strommargen. Zu den größten Energiehändlern des Landes gehört RWE ebenfalls – und das Geschäft in diesem Bereich brummt. Das „bereits sehr hohe Vorjahresergebnis“ sei noch einmal deutlich übertroffen worden, heißt es in der Zwischenbilanz.
Politische Entscheidungen prägen seit jeher die Bilanz von RWE. Anfang Oktober verständigte sich der Konzern mit dem Bund und dem Land NRW darauf, die Braunkohleverstromung im Rheinischen Revier im Jahr 2030 zu beenden – „acht Jahre früher, als es der aktuelle gesetzliche Ausstiegsfahrplan vorsieht“, wie von RWE in der Zwischenbilanz betont wird. „Wir werden dafür keine zusätzlichen Kompensationen erhalten. Das heißt, es bleibt bei der im Kohleausstiegsgesetz von 2020 festgelegten Entschädigungssumme von 2,6 Milliarden Euro, die allerdings noch von der EU-Kommission genehmigt werden muss.“ Durch das Vorziehen des Braunkohleausstiegs würden rund 280 Millionen Tonnen Kohle nicht mehr gefördert und verstromt.
Lützerath als Symbol der Klimabewegung
Gleichwohl zeichnen sich Auseinandersetzungen im Kampf um Kohle und Klimaschutz ab. Denn der Erkelenzer Stadtteil Lützerath, der zu einem Symbol der Klimabewegung geworden ist, soll für den Braunkohleabbau des Essener Energiekonzerns weichen. Proteste sind absehbar.
Dass RWE kurzfristig Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier hochfahre, sei Teil der Verständigung mit der Bundesregierung, betont das Unternehmen. Demnach sollen die Kraftwerksblöcke Neurath D und E mit jeweils rund 600 Megawatt über den bisherigen gesetzlichen Stilllegungszeitpunkt Ende 2022 hinaus weiterbetreiben werden. Wegen des Braunkohlebedarfs sei auch eine Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Orts Lützerath noch in diesem Winter notwendig. Es gehe darum, die aus der Sicherheitsbereitschaft zurückgeholten Braunkohleblöcke sowie die beiden jetzt länger laufenden Blöcke mit Braunkohle zu versorgen, sagte RWE-Finanzchef Michael Müller in einer Telefonkonferenz. Dazu sei es erforderlich, dass der Tagebau wie geplant fortschreite.
„Insofern muss auch im Rahmen der Rodungsperiode im Winter eine Räumung von Lützerath erfolgen“, so Müller. Dazu sei der Konzern in Abstimmung mit der Landesregierung. Auf die Frage, wann genau RWE roden wolle, antwortete Müller: „Ich weiß es schlichtweg nicht. Das ist eine Entscheidung, die im Grunde genommen jetzt auch gemeinsam mit den Behörden getroffen werden muss.“ Die Rodungssaison endet laut Bundesnaturschutzgesetz am 28. Februar.
Die grün geführten Wirtschaftsministerien von Bundes- und Landesregierung hatten Anfang Oktober mit RWE einen auf das Jahr 2030 vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier vereinbart. Fünf weitgehend verlassene Dörfer am Tagebau bleiben erhalten, Lützerath soll zur Kohlegewinnung jedoch abgebaggert werden. Das wollen Aktivisten vor Ort verhindern.
RWE betont, das Ziel sei, weniger Erdgas für die Erzeugung von Strom einzusetzen. Die Schließung der beiden Kraftwerksblöcke Neurath D und E werde daher bis Ende März 2024 ausgesetzt. Außerdem behalte sich die Bundesregierung vor, bis Ende 2023 über eine weitere Laufzeitverlängerung zu entscheiden, heißt es in der RWE-Zwischenbilanz. Die deutschen Atomkraftwerke sollen dreieinhalb Monate länger – bis Mitte April 2023 – am Netz bleiben, so auch das RWE-Kernkraftwerk Emsland.
Damit ein früherer Kohleausstieg möglich werde, sei ein schneller Zubau von Windrädern, Solaranlagen, Speichern und Gaskraftwerken, die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden können, notwendig, betont RWE. Gerade in NRW wolle der Konzern Projekte vorantreiben – unter anderem auf ehemaligen Tagebauflächen im Rheinischen Revier. Das Unternehmen plane auch den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von drei Gigawatt, „sofern die Wirtschaftlichkeit gegeben ist“. Die Anlagen sollen Unternehmensangaben zufolge größtenteils an bisherigen Kohlekraftwerksstandorten in NRW entstehen. „Wir machen Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien“, beteuert RWE-Finanzchef Müller. „Je schneller die Energiewende vorankommt, desto schneller beenden wir die Energiekrise in Europa.“
„Sonderabgabe für Stromerzeuger“ könnte RWE belasten
RWE stellt sich auch auf eine mögliche „Sonderabgabe für Stromerzeuger“ ein, wie aus der Quartalsbilanz hervorgeht. Die Europäische Union hat vor wenigen Wochen „Eckpunkte“ für ein Regelwerk formuliert – und damit einen Rahmen für Entscheidungen in Deutschland geschaffen. Mit den Einnahmen aus den Kassen der Konzerne sollen Entlastungen für Haushalte und Unternehmen finanziert werden, die unter den hohen Energiekosten leiden.
Das EU-Modell sieht vor, dass die Länder Preisobergrenzen definieren und Einnahmen, die darüber hinausgehen, ganz oder größtenteils abschöpfen können. Allerdings sollen nach Darstellung von RWE nur solche Erzeugungstechnologien von der Abgabe betroffen sein, die sich durch niedrige variable Kosten und dementsprechend hohe Margen auszeichnen. Dazu zählen insbesondere Laufwasser-, Braunkohle- und Atomkraftwerke sowie Windparks und Solaranlagen. Auch Strom aus Steinkohle könnte der Abgabe unterliegen, falls es die Einzelstaaten für sinnvoll halten. Gaskraftwerke seien dagegen ausgenommen. Zahlreiche EU-Staaten, so auch die für RWE wichtigen Länder Deutschland und die Niederlande, haben inzwischen mit der Ausarbeitung nationaler Regelungen begonnen. Eine Fortsetzung in der Bilanz-Rubrik „Wesentliche Ereignisse“ dürfte also rasch folgen.