Essen. Bundeskartellamt nimmt die Energiekonzerne verstärkt ins Visier. Im Fokus stehen Raffinerie- und Kraftwerkskonzerne – insbesondere RWE.

Angesichts steigender Strom-, Gas- und Kraftstoffpreise will das Bundeskartellamt die Energiekonzerne verstärkt ins Visier nehmen. „Der schreckliche Krieg Russlands gegen die Ukraine und seine furchtbaren Folgen gehen mit Unwägbarkeiten auf den Märkten, mit Knappheiten und mit Preissteigerungen in vielen Branchen einher“, sagt Andreas Mundt, der Chef der Wettbewerbsbehörde. Seit dem Frühjahr führe die Inflation zu großen Belastungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Besonders im Blick hat das Kartellamt dabei die Energiebranche.

Nach Ausbruch des Krieges registrierte die Behörde unter anderem ein Auseinanderlaufen der Rohöl- sowie Raffinerie- und Tankstellenpreise. Mit einer sogenannten „Sektoruntersuchung“ wollen die Wettbewerbshüter „Licht ins Dunkel bringen“, wie Mundt sagt. Auch bei der Weitergabe des zum Monatswechsel endenden Tankrabatts, den die Bundesregierung beschlossen hatte, stünden die Mineralölkonzerne „unter sehr intensiver Beobachtung“ des Kartellamtes. „Unternehmen dürfen die Krise nicht dazu nutzen, unbotmäßige Gewinne zu machen. Wir schauen deshalb genauestens hin: Illegale Absprachen oder Marktmachtmissbrauch werden wir nicht tolerieren“, betont Mundt.

Im Jahresbericht des Kartellamts wird auf mehreren Seiten die turbulente Marktentwicklung der vergangenen Monate im Energiesektor beschrieben. Von „flächendeckend schockartigen Preiserhöhungen“ ist dabei die Rede. Die Differenz zwischen Rohölpreisen und Tankstellenpreisen habe zu Beginn der Ukraine-Krise stark zugenommen, bemerken die Wettbewerbshüter.

Was passiert zwischen Rohöleinkauf und Verkauf an der Tankstelle?

Seine fortlaufende Beobachtung der Kraftstoffpreise an den rund 15.000 Tankstellen in Deutschland habe das Kartellamt seit März intensiviert und zudem eine Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene gestartet, erklärt Mundt. „Wir werden weiter ganz genau hinsehen und darüber informieren, wie sich die Preise entwickeln und was passiert, wenn die Steuerermäßigung zum 1. September wegfällt“, so der Behördenchef. „Mit unserer Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene wollen wir außerdem Faktoren und Mechanismen der Preissetzung durchleuchten. Bislang weiß man wenig darüber, was zwischen Rohöleinkauf und dem Verkauf an der Tankstelle eigentlich passiert.“ Im Herbst wolle die Behöre erste Zwischenergebnisse vorlegen. Mit der Raffinerie des Aral-Mutterkonzerns BP befindet sich einer der wichtigsten Standorte der Branche im Ruhrgebiet in Gelsenkirchen-Scholven.

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Auch ein Auf und Ab bei den Benzin- und Dieselpreisen stellt das Kartellamt fest. An ein und derselben Tankstelle gebe es täglich im Schnitt Preisunterschiede von acht und 13 Cent pro Liter. Bei einem Vergleich der Tankstellen in einer Stadt seien es meist sogar Preisunterschiede von 18 und 24 Cent pro Liter an einem Tag, heißt es im Jahresbericht des Kartellamts. Die Kraftstoffpreise seien im Schnitt meist morgens zwischen fünf und acht Uhr am höchsten, abends von 18 bis 22 Uhr am niedrigsten, wobei es abends oft kleine Preisanhebungen gebe. „Am späten Abend und in der Nacht heben gerade die ohnehin teureren Tankstellen ihre Preise wieder“, so das Kartellamt.

„RWE damit über der Schwelle für eine marktbeherrschende Stellung“

Auch die Strom- und Gasmärkte sind derzeit geprägt von stark gestiegenen Preisen. Besonders im Blick hat das Kartellamt dabei den Essener Energiekonzern RWE. In einem vor sechs Monaten veröffentlichten „Marktmachtbericht“ der Behörde heißt es, die Kraftwerke von Deutschlands größtem Stromerzeuger seien oft unverzichtbar für die Deckung der Nachfrage. „Nach unseren Ermittlungen liegt RWE damit über der Schwelle für eine marktbeherrschende Stellung“, erklärte Mundt im Februar – wenige Tage vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs. Bei einer Videokonferenz zur Vorlage des Jahresberichts betont der Behördenchef nun: „Der Strommarkt rückt immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit.“

Formal festgestellt hat das Kartellamt eine marktbeherrschende Stellung von RWE allerdings bislang nicht. Sollte dies erfolgen, müsste RWE künftig bestimmte Vorgaben der Wettbewerbshüter erfüllen. Dann dürfte der Energiekonzern beispielsweise nicht mehr Kraftwerkskapazitäten zurückhalten „mit Ziel, die Preise hochzutreiben“, erklärt Mundt. „Ein normales Unternehmen darf das.“