Essen. Indeed-Studie: Deutschland wird attraktiver für ausländische Fachkräfte. Zudem werben Unternehmen inzwischen gezielter im Ausland für sich.

Deutschland wird zum Zuwanderungsland für Fachkräfte, doch nach wie vor reichen die Bewerbungen aus dem Ausland auf offene Stellen in Deutschland bei weitem nicht aus, um den wachsenden Personalmangel in vielen Branchen beheben zu können. Das zeigt eine Auswertung von mehr als 800 Millionen grenzüberschreitenden Stellensuchen im Jobportal Indeed von Anfang 2019 bis April 2022, die unserer Redaktion vorliegt.

Demnach suchten in den vergangenen gut drei Jahren mehr ausländische Fachkräfte einen Arbeitsplatz in Deutschland als umgekehrt. Auf 100.000 grenzüberschreitende Jobsuchen in Deutschland kamen rund 93.400 Suchen deutscher Fachkräfte im Ausland. Damit gehört Deutschland zu den wenigen europäischen Ländern mit einem positiven Wert. Nur Luxemburg, Großbritannien und die Schweiz sind noch attraktiver für ausländisches Personal. Allen anderen untersuchten europäischen Ländern droht ein Fachkräfteverlust durch die Arbeitsmigration, sie haben jeweils einen negativen Saldo.

Jeder zweite Arbeitgeber sucht auch im Ausland

Der Jobnachfrage-Überhang hat sich für Deutschland in den ersten Monaten dieses Jahres noch einmal um rund ein Drittel erhöht, ergab die Auswertung von Indeed, das nach eigenen Angaben weltgrößte Jobportal, dessen Deutschland-Zentrale in Düsseldorf sitzt. Es hat auch 100 Millionen Stellengesuche der letzten gut drei Jahre ausgewertet und festgestellt, dass sich die deutschen Arbeitgeber zunehmend um ausländische Fachkräfte bemühen.

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So hat fast jedes zweite deutsche Unternehmen seine im Internet angebotenen Stellen auch im Ausland ausgeschrieben – mehr als in jedem anderen europäischen Land. Etwa jede dritte Stellenanzeige wurde zudem in verschiedenen Sprachen veröffentlicht – ebenfalls europäischer Höchstwert. Deutsche Firmen verfügen zudem über die meisten Personal-Anwerber, die mindestens eine Fremdsprache beherrschen.

BA: Deutschland braucht jährlich 400.000 Arbeitsmigranten

All das reicht aber bisher längst nicht aus, um den wachsenden Fachkräftemangel in Deutschland beheben zu können. Die Zahl der jährlich benötigten Arbeitsmigranten schwankt in den Hochrechnungen der Ökonomen zwischen 300.000 und 500.000, die Bundesagentur für Arbeit liegt mit den von ihr genannten 400.000 genau in der Mitte. In vielen Branchen müssen Betriebe inzwischen mangels Personal und Nachwuchs Aufträge lange liegen lassen oder gar ablehnen. In der Pflege, der Gastronomie und bei den Sicherheitsdiensten etwa an den Flughäfen fällt es derzeit besonders schwer, freie Stellen zu besetzen.

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Das relativiert die gute Nachricht von der gewachsenen Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes für Ausländer: „Zwar liegt der deutsche Arbeitsmarkt noch im positiven Bereich, doch mit Blick auf den Fachkräftemangel in sämtlichen Bereichen, dem demografischen Wandel und Geburtendefizit, können wir ohne massive Nettozuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften die ökonomischen Ziele nicht erreichen“, sagt Indeed-Ökonomin Annina Hering. Während die Unternehmen ihre Personalsuche bereits anpassten, könne die Bundesregierung noch einiges tun. „Erleichterte Visa-Verfahren wären ein erster Schritt, um dem Fachkräftemangel vonseiten der Regierung zu begegnen“, meint Hering.

Gering Qualifizierte in Deutschland rücken auf Fachkraft-Stellen auf

Während Arbeitgeber im Ausland gezielt Fachkräfte suchen, setzen sie die heimischen Arbeitskräfte inzwischen vermehrt auf Positionen ein, für die ihre Qualifikation vom Papier her eigentlich nicht ausreicht. Damit steigen in Deutschland die Jobchancen auch für Frauen und Männer ohne Berufsausbildung und für viele ungelernte Langzeitarbeitslose. Das lässt sich aus der jüngsten Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen herauslesen.

Demnach gibt es mittlerweile einen „stabilen Sockel an Beschäftigten ohne abgeschlossene Berufsausbildung“ von 4,7 Millionen Menschen in Deutschland. Und: „Mit rund 60 Prozent sind die meisten gering Qualifizierten oberhalb des Helferniveaus tätig, also auf Fachkraftstellen oder Positionen mit höheren Anforderungen“, erläutert IAQ-Forscher Thorsten Kalina. Besonders deutlich sei die Beschäftigung gering Qualifizierter in der Lagerwirtschaft, dem Verkauf, der Gastronomie und in der Fahrzeugführung gestiegen.