Essen. Die Stadtwerke Essen bereiten ihre Kunden auf Preissteigerungen beim Gas vor. Auch für die Bestandskunden dürfte es teurer werden.
In der Gaskrise laufen viele Vorbereitungen bei den Stadtwerken, doch die Unsicherheit bleibt groß. Versorgungsengpässe könne er nicht ausschließen, sagt Lars Martin Klieve, Vorstand der Stadtwerke Essen. „Je mehr Erdgas-Mengen wegfallen, desto stärker werden die Preise steigen.“ Dies werde für viele Menschen eine große Belastung sein. Es gehe um Preissteigerungen in der Größenordnung „eines Jahresurlaubs“.
Herr Klieve, mit welchen Folgen müssen Ihre Kundinnen und Kunden rechnen, sollte der russische Präsident Putin Deutschland den Gashahn zudrehen?
Klieve: Wir befinden uns in einer bisher nie dagewesenen Situation auf dem Energiemarkt. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht, wie lange beziehungsweise in welchem Umfang Erdgas aus Russland zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass wir uns auf ein Szenario ohne Erdgas aus Russland vorbereiten müssen. Ein solcher Ausfall hätte gravierende Auswirkungen, da es nicht möglich sein wird, diesen kurzfristig und auf demselben Niveau zu kompensieren.
Halten Sie es für möglich, dass Sie bestimmte Verbraucher in Essen zwischenzeitlich nicht mehr beliefern können?
Klieve: Ausschließen können wir das nicht. Zunächst wären von Abschaltungen die Industrie und Gewerbebetriebe betroffen. Haushaltskunden sind zwar besonders geschützt, aber ebenfalls gefordert. Zumal bei Abschaltungen von Betrieben Arbeitsplätze und unser Wohlstand massiv gefährdet sind.
Was können die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland tun?
Klieve: Energie zu sparen ist dringend erforderlich, auch schon im Sommer, um jetzt unsere Gasspeicher zu füllen und damit bestmöglich über die kalten Monate zu kommen. So kann auch ein reduzierter Stromverbrauch die Verstromung von Gas vermeiden helfen. Bei den privaten Haushalten lässt sich ein großer Einspareffekt im Gasbereich durch das Absenken der Raumtemperatur in den Heizmonaten realisieren. Im Juni haben wir in Essen mit einer Plakatkampagne bereits auf dieses Thema aufmerksam gemacht und werden eine weitere Kampagne im Herbst – zum Beginn der Heizsaison – auf den Weg bringen.
Müssen sich Ihre Kunden auf Gaspreis-Erhöhungen einstellen?
Klieve: Der drohende Gasmangel schlägt sich bereits heute in massiven Preissteigerungen an den Großhandelsmärkten für Energie nieder, die erst zu einem kleinen Teil bei den Verbrauchern angekommen sind. Langfristig beschaffende Versorgungsunternehmen wie die Stadtwerke Essen haben sich für ihre
Bestandskunden mit teils jahrelangem Vorlauf eingedeckt. Je länger wir hohe Preise bei der Gasbeschaffung haben, desto mehr sind wir gezwungen, diese Kosten an unsere Kunden weiterzugeben. Bis Mitte vergangenen Jahres konnten wir Erdgas für rund 20 Euro je Megawattstunde einkaufen, im Vergleich dazu haben sich die Preise teilweise verachtfacht.
Bislang hat sich diese Entwicklung insbesondere bei den eigens eingeführten und umstrittenen Tarifen einiger Stadtwerke für Neukunden gezeigt. Trifft es zunehmend auch Ihre oft langjährigen Kunden?
Klieve: Für Neukunden mussten wir Erdgas bei massiv gestiegenen Großhandelspreisen einkaufen. Daher haben wir es als unumgänglich angesehen, hier höhere Endkundenpreise zu veranschlagen. Bei der aktuellen Marktlage werden wir nicht umhinkommen, die Preise in absehbarer Zeit auch für unsere Bestandskunden zu erhöhen. Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau und werden reagieren, sobald die Kostensituation dies erforderlich macht.
Vor einem Jahr lag der Gaspreis bei den Essener Stadtwerken für Neukunden bei sechs Cent pro Kilowattstunde. Mittlerweile müssen Neukunden 15,83 Cent bezahlen, Bestandskunden noch rund sieben Cent. Kommt bald ein Gaspreis, der in der Nähe des heutigen Neukunden-Tarifs liegt?
Klieve: Wir bereiten einen Grundversorgungstarif vor, bei dem es keine Unterscheidung mehr gibt zwischen Neu- und Bestandskunden. Entsprechende Vorgaben hat der Gesetzgeber auf den Weg gebracht. Daran halten wir uns natürlich und berücksichtigen dann die aktuelle Preissituation an den Großhandelsmärkten.
Viele Stadtwerke haben die Gaspreise bereits verdoppelt – mit der Folge, dass eine durchschnittliche Familie schätzungsweise 1500 oder 1600 Euro mehr im Jahr allein für Erdgas zahlen muss. Befürchten Sie, dass dies auch in Essen viele Menschen überfordert?
Klieve: Ja, das ist eine gewaltige Belastung. Für viele Menschen ist das – salopp gesagt – der Jahresurlaub.
Ein wichtiger Lieferant für viele Stadtwerke ist die ehemalige Eon-Tochter Uniper, die in die Schieflage geraten ist angesichts gedrosselter Gaslieferungen aus Russland. Uniper möchte die gestiegenen Einkaufskosten an die Stadtwerke weitergeben. Droht damit ein weiterer Preisschock für die Endkunden?
Klieve: Generell ist klar: Je mehr Erdgas-Mengen wegfallen, desto stärker werden die Preise steigen. Bevor es zu einer realen Mangellage kommt, wird Gas schlichtweg noch teurer werden. Setzt sich die Gaspreiskrise weiter fort, werden die hohen Gaspreise sukzessive bei den Stadtwerken und dann auch bei allen Endkunden durchschlagen.
Was halten Sie von Tarifen, die bei Kunden das Energiesparen belohnen? Ein geringer Verbrauch könnte etwa vergünstigt werden, ein größerer verteuert.
Klieve: Das Thema „Spar-Tarif“ haben wir auch diskutiert. Wir sondieren das Marktgeschehen in diesem Zusammenhang, allerdings haben wir bislang noch kein geeignetes Modell gefunden, welches nach unserer Ansicht die richtigen Anreize beim Kunden schafft und für jedermann verständlich und nachvollziehbar ist.