Düsseldorf/Essen. Bei einem Verzicht auf russische Steinkohle könnte laut NRW-Landesregierung eine Überschreitung von Umweltschutz-Grenzwerten notwendig werden.

Bei einem Verzicht auf russische Steinkohle und einem längeren Betrieb von Kraftwerken wegen des Ukraine-Kriegs könnte nach Einschätzung der NRW-Landesregierung eine Überschreitung von Umweltschutz-Grenzwerten bei der Stromproduktion notwendig werden. Das geht aus einem Brief hervor, den NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geschrieben hat.

Pinkwart spricht sich in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, für eine zeitweise Verlängerung des Betriebes von Kohlekraftwerken aus, die demnächst stillgelegt werden sollen oder bereits vom Netz gegangen seien. In dem Brief, der für das Umweltressort auch von Pinkwarts CDU-Amtskollegen Lutz Lienenkämper unterzeichnet ist, fordert die NRW-Landesregierung, es sollte den Kraftwerksbetreibern wegen der aktuellen Situation eine „zeitlich befristete Nutzung von Ersatzregelbrennstoffen ermöglicht werden, damit die Firmen sich noch vor der Winterperiode auf Alternativen einstellen können“.

Die Landesregierung regt in dem Brief an Habeck auch an, „zeitweise Abweichungen von gesetzlichen Anforderungen zu dulden“. Dabei könne es unter anderem um Vorsorge- oder Schutzanforderungen einschließlich europarechtlicher Vorgaben gehen, etwa eine Überschreitung von Grenzwerten.

Russische Kohle mit besonderen Eigenschaften

Ein Verzicht auf russische Kohle in deutschen Kraftwerken und eine Umstellung auf Importe aus anderen Lieferländern wird von der Industrie als Herausforderung dargestellt. Die russische Steinkohle habe „besondere qualitative Eigenschaften“, erklärte unlängst der Verein der Kohlenimporteure in Deutschland (VdKi), in dem Unternehmen wie die Energiekonzerne RWE, Steag, EnBW, Uniper und Vattenfall organisiert sind. Eine Umstellung auf „alternative Kohle-Qualitäten“ werde daher nicht leicht sein. „Das sollte auch von den Behörden in der Handhabung der Auslegungsvorschriften berücksichtigt werden“, so der VdKi.

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„Zumindest mittelfristig“ könnten die Steinkohleimporte aus Russland indes vollständig ersetzt werden – und zwar aus Ländern wie USA, Südafrika, Australien, Kolumbien, Mosambik und Indonesien, berichtet der VdKi. „Bis zum nächsten Winter sollte der komplette Verzicht auf russische Kohle möglich sein“, sagt Stephan Riezler, VdKi-Vorstand und Steag-Manager. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass Deutschlands „Emissionsgrenzwerte unter Umständen für einen überschaubaren Zeitraum angepasst werden“ müssten.

Branche spricht von Knappheit „bestimmter Kohle-Qualitäten“

Im vergangenen Jahr habe Deutschland rund 20 Millionen Tonnen Steinkohle aus Russland importiert. Das seien etwa zwei Prozent des Welthandels, berichtet der Verein der Kohlenimporteure. Wegen der Umstellung von Warenströmen und Knappheit „bestimmter Kohle-Qualitäten“ werde es allerdings kurzfristig zu Preissteigerungen kommen.

Der neue Steag-Chef Andreas Reichel hatte unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt, sein Unternehmen könne ohne russische Kohle auskommen. „Bei uns hatte sie schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine einen Anteil von weniger als 20 Prozent – mit sinkender Tendenz“, sagte Reichel. „Diesen Anteil können wir durch größere Lieferungen aus Ländern wie Südafrika, den USA oder Kolumbien ersetzen. Zum Vergleich: In Deutschland insgesamt kommt etwa die Hälfte der eingesetzten Kohle aus Russland.“