Essen. RWE-Chef Krebber spricht sich gegen einen Sofortstopp von russischen Energielieferungen aus. Er warnt vor „ungeahnten Folgen“ für die Haushalte.

Wenn sich Vorstandschefs zur Bilanz ihres Konzerns äußern, stehen in aller Regel die Zahlen im Vordergrund: Gewinn- und Umsatzkennziffern, Aktienkurse und Dividendenziele. Doch als RWE-Chef Markus Krebber am Dienstagmorgen das Wort ergreift, wird er emotional. „Es fühlt sich seltsam an, heute eine Pressekonferenz zum abgelaufenen Geschäftsjahr abzuhalten“, sagt er angesichts des Krieges, der mitten in Europa tobe – zwei Flugstunden entfernt, „so nah wie Madrid oder Athen“, wie es Krebber formuliert. „Die Menschen in der Ukraine befinden sich in größter Not, und sie haben meine, sie haben unsere volle Solidarität“, fügt der RWE-Chef mit viel Pathos an.

Doch fällt Krebbers Analyse mit Blick auf mögliche deutsche Wirtschaftssanktionen gegen Russland ernüchternd aus. „Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass es in Europa und in Deutschland im Besonderen vor allem in der Energieversorgung eine hohe Abhängigkeit von Russland gibt“, sagt er. Einen Lieferstopp für Gas, Öl und Kohle aus Russland lehnt Krebber daher in der aktuellen Lage ab.

„Energieimporte von Russland auszusetzen, hätte derzeit auf Grund der hohen Abhängigkeit massive Konsequenzen“, warnt der Manager. Mit einem sofortigen Stopp wären seiner Einschätzung zufolge „ungeahnte Folgen“ für die Wärmeversorgung von Deutschlands Haushalten verbunden. Eine längere Lieferunterbrechung dürfte zudem die Produktionsanlagen der Industrie und des Mittelstandes „nachhaltig schädigen“.

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Daher könne er die Entscheidung der Bundesregierung gegen Sanktionen von Energielieferungen aus Russland sehr gut nachvollziehen. „Sanktionen müssen so gewählt werden, dass sie auch durchgehalten werden können“, sagt der RWE-Chef. Schon jetzt sind die Energiepreise auf einem hohen Niveau. Je weniger Gas aus Russland zur Verfügung stehe, desto mehr könnten die Preise noch steigen. Dies habe auch eine soziale Dimension. Krebber mahnt, es seien dringend schon kurzfristig Schritte erforderlich, um in Deutschland „die Versorgungssicherheit im kommenden Winter und den folgenden Jahren zu verbessern“.

Kohlekraftwerke könnten länger laufen

In diesem Zusammenhang prüfe RWE auch, Kohlekraftwerke länger als bisher zu betreiben. Im Blick habe RWE dabei Kraftwerksblöcke, die bereits vom Netz genommen wurden oder derzeit zur Stilllegung anstehen. Bei den Braunkohlekraftwerken kämen mehrere Blöcke im rheinischen Revier infrage, so beispielsweise der zum Jahreswechsel stillgelegte 300-Megawatt-Block in Neurath. Denkbar wäre auch ein Weiterbetrieb von Braunkohlekraftwerken, die in diesem Jahr vom Netz gehen sollen (1500 Megawatt) – außerdem für Anlagen, die derzeit in einer „Sicherheitsbereitschaft“ sind (900 Megawatt). Auch das Steinkohlekraftwerk Westfalen in Hamm mit 800 Megawatt könnte RWE wieder hochfahren. Ende 2020 war der Industriekomplex stillgelegt worden.

Es sei „eine politische Frage“, ob und in welchem Umfang stärker als bisher geplant Kohle bei der Stromerzeugung zum Einsatz kommen sollte, betont Krebber. Es sei Sache der Bundesregierung zu entscheiden, ob die möglichen Kraftwerksblöcke zeitweise genutzt werden sollten – und in welchem Umfang sie etwa zur Verringerung des Gasverbrauchs in Deutschland zum Einsatz kommen könnten. „Wir bereiten uns vor und stehen im Bedarfsfall bereit“, sagt Krebber.

Für RWE sei unstrittig, dass sich damit nichts am grundsätzlichen Beschluss zum Kohleausstieg ändere. Nach Möglichkeit will die neue Bundesregierung im Jahr 2030 die Kohleverstromung beenden. RWE strebe „keine Rolle rückwärts“ an, betont Krebber.

Die Option, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, sei mittlerweile vom Tisch, berichtet Krebber unter Bezug auf die Bundesregierung. „Für den kommenden Winter könnten Kernkraftwerke keinen nennenswerten zusätzlichen Beitrag für die Versorgungssicherheit leisten“, sagt der RWE-Chef zur Begründung. Die Betreiberkonzerne, zu denen auch der Essener RWE-Nachbar Eon gehört, hatten sich schon frühzeitig zurückhaltend zu einer Laufzeitverlängerung wegen des Ukraine-Kriegs geäußert. Es sei nicht mehr genug Brennstoff vorhanden, auch das erforderliche Personal stünde nicht mehr bereit, hieß es.

Kriegsflüchtlingen will RWE eine Perspektive bieten

Stellenabbau ist bei RWE auch im Zusammenhang mit den geplanten Stilllegungen von Kohlekraftwerken vorgesehen. Aktuell beschäftigt der Essener Energieversorger rund 19.000 Menschen, etwa 1150 weniger als ein Jahr zuvor. Im Februar vergangenen Jahres hatte das Unternehmen angekündigt, bei der Konzerntochter RWE Power bis Ende 2022 mehr als 3000 Stellen streichen zu wollen – und bis zum Jahr 2030 insgesamt etwa 6000 Arbeitsplätze. RWE-Personalchefin Nanna Seeger sagt bei der Bilanzpressekonferenz auf Nachfrage, der Konzern prüfe nun, welche Mitarbeitenden bei einer etwaigen Planänderung wegen des Ukraine-Krieges notwendig seien.

Kriegsflüchtlingen will RWE eine Perspektive bieten. Im Zusammenspiel mit Kommunen wolle sich der Konzern um Unterkünfte kümmern, kündigt Seeger an. „Und wir öffnen unseren internen Arbeitsmarkt für ukrainische Arbeitskräfte, um deren Betreuung wir uns kümmern werden.“