Dortmund. Guntram Pehlke, Chef der Dortmunder Stadtwerke DSW21, rechnet mit einem Stopp russischer Gaslieferungen. 166 Betriebe wären dann nicht geschützt.
Dortmunds Stadtwerke-Chef Guntram Pehlke stellt sich darauf ein, dass der Hahn für Gaslieferungen aus Russland in absehbarer Zeit zugedreht wird. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Pehlke über die Folgen, die mit einer solchen Entwicklung verbunden wären. 166 Betriebe wären allein in Dortmund als Kunden nicht geschützt, berichtet er. Pehlke, der seit 2006 den kommunalen Betrieb DSW21 führt und damit zu den erfahrensten Stadtwerke-Chefs in der Region gehört, sagt auch: „Es wird zwangsläufig höhere Preise geben.“
Herr Pehlke, rechnen Sie damit, dass bald kein Gas mehr aus Russland in Deutschland ankommt?
Pehlke: Darauf müssen wir uns zumindest einstellen. Der Druck auf die Bundesregierung steigt täglich, dem russischen Regime kein Geld mehr zukommen zu lassen. Die Forderung, dass Deutschland nicht Putins Kriegskasse füllen darf, ist verständlich. Ich gehe davon aus, dass wir nicht umhinkommen, perspektivisch auf den Bezug von russischem Gas zu verzichten.
Aktuell ist Deutschlands Wirtschaft in hohem Maße auf russisches Erdgas angewiesen. Können Sie die Folgen eines Lieferstopps seriös einschätzen?
Pehlke: Derzeit kommen etwa 40 Prozent des Erdgases, das in Deutschland verbraucht wird, aus Russland. Etwa die Hälfte davon kann eingespart oder durch andere Bezugsquellen ersetzt werden. Aber es bliebe eine Versorgungslücke, wenn der Hahn für russische Gaslieferungen zugedreht ist. Aller Voraussicht nach müssten
zwangsläufig einige Betriebe von der Gasversorgung abgekoppelt werden. Haushalte, die ihre Wohnungen mit Hilfe von Erdgas heizen, genießen nach deutschem Recht einen besonderen Schutz. Gewerbebetriebe wären als erstes von Abschaltungen betroffen.
Um wie viele Betriebe geht es allein in Dortmund?
Pehlke: In unserem Versorgungsgebiet gibt es 166 sogenannte nicht geschützte Kunden. Es handelt sich um große Betriebe, die von der zuständigen Bundesnetzagentur entsprechend eingeordnet worden sind. Diese Kunden hat unser Tochterunternehmen DEW21 nach Ausrufen der Gas-Frühwarnstufe durch Bundesminister Robert Habeck angeschrieben und darauf hingewiesen, dass eine Mangellage bei der Versorgung eintreten könnte. Die Betriebe wurden gebeten, zu überprüfen, ob sie Einsparpotenziale beim Gasverbrauch heben oder auf andere Energieträger ausweichen können. Nur wenn die Lage weiter eskaliert und aus der Frühwarnstufe die sogenannte Alarmstufe würde, droht die Abschaltung. Aktuell besteht kein Versorgungsengpass.
Aus welchen Branchen kommen die 166 Betriebe?
Pehlke: Das ist ganz unterschiedlich. Da sind produzierende Betriebe ebenso dabei wie Dienstleister und große Logistikunternehmen.
Befürchten Sie, dass es auch Betriebe mit besonderer Bedeutung für Deutschlands Wirtschaft treffen könnte?
Pehlke: Ich kann leider nicht ausschließen, dass es auch zu Verwerfungen kommen kann. Umso wichtiger wäre mir eine klare Definition des Bundeswirtschaftsministeriums, welche Betriebe als systemrelevant anzusehen sind.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher ächzen unter hohen Energiepreisen. Drohen weitere Preiserhöhungen für Gas und Strom?
Pehlke: Wir sollten nicht um den heißen Brei herumreden: Es wird zwangsläufig höhere Preise geben.
Haben Stadtwerke als kommunale Betriebe eine besondere Verantwortung, nicht zu sehr an der Preisschraube zu drehen?
Pehlke: Ja, aber wir können uns auch nicht von den Marktgesetzmäßigkeiten entkoppeln. Wir müssen Strom und Gas unsererseits einkaufen und sehen uns mit steigenden Preisen an den Großhandelsmärkten konfrontiert. Wenn wir mehr im Einkauf bezahlen, müssen wir dies an unsere Kunden weitergeben.
Gerade für Geringverdiener könnten die Strom- und Gasrechnungen zu einer enormen Belastung werden.
Pehlke: Einen „Sozial-Tarif Gas“ können wir als Stadtwerke nicht einführen. Dafür fehlt uns der betriebswirtschaftliche Spielraum. Gleichwohl wären Entlastungen für die Verbraucher möglich. Die Steuern und Abgaben auf Energie sind hoch. Absenkungen an dieser Stelle wären aus meiner Sicht sinnvoll.
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Mit Ihrem Unternehmen DSW21 sind Sie aber auch an Unternehmen beteiligt, die von hohen Erzeugungspreisen am Erzeugungsmarkt für Strom profitieren – zum Beispiel die Versorger RWE und Steag.
Pehlke: Das stimmt. RWE hat sich sehr positiv entwickelt und übernimmt eine Vorreiterrolle bei der Energiewende. Die Transformation der Steag kommt schneller und besser voran als erwartet. Unsere Strategie, über Einnahmen aus dem Energiegeschäft Defizite im öffentlichen Nahverkehr und am Dortmunder Flughafen auszugleichen und so die Stadt finanziell zu entlasten, geht auf.
RWE und Steag erwägen, die konzerneigenen Kohlekraftwerke länger am Netz zu halten oder stillgelegte Anlagen wieder hochzufahren. Ist der Krieg in der Ukraine auch Gift für den Klimaschutz
Pehlke: Das kann man so sagen. Zu Recht steht derzeit in Deutschland die Versorgungssicherheit im Fokus. Es wäre unsinnig, Kraftwerke, die dazu beitragen können, vom Netz zu nehmen.
Bei RWE macht der aktivistische Investor Enkraft Druck und fordert mit einem entsprechenden Antrag auf der Hauptversammlung eine Abspaltung der Kohleaktivitäten. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Pehlke: Ich halte den Antrag für einen schweren Fehler, weil er einer werthaltigen Entwicklung des Unternehmens und der Aktie entgegenläuft. Es gab auch schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine steigende Preise am Energiemarkt. Aus den Folgen des Krieges wird eine längere Laufzeit der Kohlekraftwerke resultieren. Die Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel haben es nicht geschafft, die Energiewende durch einen forcierten Zubau der Erneuerbaren konsequent umzusetzen. Diese über einen langen Zeitraum hinweg begangenen Versäumnisse lassen sich nicht im Handumdrehen aufholen.