Essen. Energieversorger sind besorgt über einen möglichen Rubel-Zwang beim Gas-Einkauf. Eon betont, bei Engpässen seien Haushalte besonders geschützt.
Die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Erdgas künftig nur noch gegen Rubel zu liefern, schürt in Deutschland die Sorge vor einer schlechteren Versorgung bis hin zum Lieferstopp durch Russland. „Es liegen konkrete und ernstzunehmende Hinweise vor, dass wir in eine Verschlechterung der Gasversorgungslage kommen“, erklärte Kerstin Andreae, die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Von der zuständigen Bundesnetzagentur müssten Kriterien entwickelt werden, welche Industrien und Sektoren weiterhin mit Gas auch bei einer Gasmangellage versorgt werden.
Deutschlands größter Energiekonzern, der Essener Versorger Eon, betonte, „sollte es zu einer Engpasssituation am Markt kommen, existieren in Europa Sicherungsmechanismen, die dann greifen“. In jedem Fall seien Haushaltkunden und Einrichtungen wie Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen „besonders geschützt“, so Eon. Es gebe auch vertraglich geregelte Vereinbarungen mit der Industrie zum Abschalten der Gasversorgung oder einem Wechsel auf andere Energieträger, um gegebenenfalls die Nachfrage nach Erdgas zu drosseln.
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Auch bei kommunalen Energieversorgern im Ruhrgebiet wird die aktuelle Lage aufmerksam verfolgt. „Wir sind sehr besorgt über die aktuellen Entwicklungen und die Ankündigung des russischen Präsidenten Putin“, teilten die Stadtwerke Bochum auf Anfrage unserer Redaktion mit. „Für den Fall einer Engpasssituation gibt es in ganz Europa Sicherungsmechanismen, die selbstverständlich auch in Deutschland und bei uns in Bochum gelten.“ Mit Notfall- und Krisenplänen haben sich die Bochumer Stadtwerke eigenen Angaben zufolge „intensiv auf einen solchen Fall“ vorbereitet. „Haushaltskunden und sensible Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser sind durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt.“ Die Energiewirtschaft stehe dazu in engem Austausch mit der Bundesregierung.
Stadtwerke erwarten Preiseffekt durch politische Entscheidungen
Das Bundeswirtschaftsministerium sieht die Versorgungssicherheit bei Gas gewährleistet. Aktuell gebe es in Deutschland keine Versorgungsengpasslage, sagte eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag (24. März) der Deutschen Presse-Agentur. Daher gebe es aktuell keine Notwendigkeit für eine Frühwarnstufe nach dem Notfallplan Gas. „Die Lage muss aber weiter genau beobachtet werden.“
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Laut Notfallplan gibt es drei Krisenstufen: Eine Frühwarnstufe bedeutet, dass konkrete, ernstzunehmende und zuverlässige Hinweise darauf vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Es folgen eine Alarmstufe mit einer Störung der Gasversorgung – und letztlich eine Notfallstufe für den Fall einer „erheblichen Störung“ der Versorgung. Dann muss der Staat eingreifen, um die Gasversorgung von besonders geschützten Kunden sicherzustellen – etwa von privaten Haushaltskunden.
Die Stadtwerke Essen weisen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg auf die ohnehin schon gestiegenen Erdgaspreise hin. Es sei zu erwarten, dass „die kommenden politischen Entscheidungen die Einkaufspreise für Erdgas entsprechend beeinflussen“, so die Stadtwerke.
Uniper: „Bisher werden unsere Zahlungen in Euro abgewickelt“
Zu den größten europäischen Gashändlern gehört der Düsseldorfer Konzern Uniper, der große Erdgasmengen aus Russland bezieht. „Wir prüfen noch, wie die Ankündigung zu bewerten ist und wollen das vorerst noch nicht kommentieren. Bisher werden unsere Zahlungen in Euro abgewickelt“, teilte das Unternehmen am Donnerstag auf Anfrage mit.
Auch Deutschlands energieintensive Industrien blicken besorgt auf die aktuelle Entwicklung. „Die Forderung des russischen Präsidenten, dass die Zahlung von Gaslieferungen künftig in Rubel beglichen werden muss, eskaliert bewusst das Risiko eines Wirtschaftskrieges“, warnt der Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Putin weiß, dass die europäischen Abnehmer damit gegen die EU-Sanktionen verstoßen würden, da die Zahlungen wegen der Währung über die russische Zentralbank abgewickelt werden müssten.“ Wie die Ankündigung in Anbetracht existierender Verträge in der Praxis umgesetzt würde, sei derzeit völlig offen, so der VCI. „Der Kremlchef geht mit seinem Vorstoß darüber hinweg, dass er mit dieser gravierenden Änderung einen Vertragsbruch durch Russland begeht.“
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Auswirkungen auf die chemisch-pharmazeutische Industrie könne der VCI nur in Bezug auf völlig ausbleibende Gaslieferungen bewerten, sei es durch einen Lieferstopp Russlands oder ein Embargo. Mit einem kurzfristig einsetzenden und dann länger anhaltenden Lieferausfall seien spätestens im Herbst Versorgungsengpässe zu erwarten.
Sorge vor Kettenreaktion in der deutschen Industrie
Der VCI warnt vor einer Kettenreaktion mit massiven Negativfolgen bei einem Importstopp von russischem Erdgas. „Über die Wertschöpfungsketten würde sich der Effekt auf die gesamte Industrie in Deutschland fortpflanzen“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup vor wenigen Tagen in einer digitalen Pressekonferenz. Nahezu alle Branchen wie etwa Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Verpackung, Pharma oder Elektronik wären nach Einschätzung des VCI im Falle eines Erdgas-Embargos von einer Unterbrechung ihrer Lieferketten betroffen. „Mit einer schweren und mehrjährigen Rezession mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen muss gerechnet werden“, so Große Entrup. „Anders als in der Finanz- und Coronakrise würde sich bei einer Industrie-Krise Deutschland nicht relativ schnell wieder erholen.“