Mülheim. Tengelmann hat die Konzerngeschichte in der Nazizeit aufarbeiten lassen. Historiker durchleuchteten SS-Vergangenheit von Ex-Chef Schmitz-Scholl.
Es war eine Überraschung, als Stiftungschefin Ursula Gather vor einigen Wochen ankündigte, die Rolle des Essener Krupp-Konzerns während des Nationalsozialismus erforschen zu lassen. Da hatte der Mülheimer Handelskonzern Tengelmann die Aufarbeitung seiner Vergangenheit in der NS-Zeit gerade abgeschlossen. War der damalige Unternehmenschef Karl Schmitz-Scholl jun. Täter, Mitläufer oder gar Widerständler während des Hitler-Regimes?
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Es war im Jahr 2011, als Tengelmann in die Kritik geriet, weil das Tochterunternehmen Kik wie die gesamte Branche Textilien in Bangladesch und anderen Billigproduktionsländern unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen produzieren ließ. Die beiden Chefs des Familienunternehmens, Karl-Erivan und Christian Haub, zogen damals die Reißleine und entschlossen sich gleich mit dazu, die Firmengeschichte im Dritten Reich durch unabhängige Historikerinnen und Historiker beleuchten zu lassen.
Familie Haub finanziert Historiker-Studie
Auf Vermittlung von Bodo Hombach, seinerzeit Moderator des Wirtschaftsbündnisses Initiativkreis Ruhr und Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beauftragten die Haubs den emeritierten Professor Lutz Niethammer, der lange an der Friedrich-Schiller-Universität Jena gelehrt und geforscht hatte, mit der Projektleitung. Mit einem Budget von einer halben Million Euro sollte das Team, dem auch die Historikerinnen Karin Hartewig (Bovenden), Almut Leh (Hagen) und Daniela Rüther (Düsseldorf) angehörten, erforschen, welche Rolle vor allem Karl Schmitz-Scholl jun. spielte, der 1933 gemeinsam mit Elisabeth Haub das Familienunternehmen Tengelmann geerbt hatte. Er war der Großonkel des heutigen Tengelmann-Chefs Christian Haub und dessen für tot erklärten Bruders Karl-Erivan.
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„Ambivalent“ ist wohl der treffendste Begriff, mit dem die Forscherinnen und der Forscher Vita und Wirken von Karl Schmitz-Scholl jun. zusammenfassen. In den raren Quellen fanden sie nach eigenem Bekunden „keine einzige antisemitische Äußerung“ des damaligen Tengelmann-Chefs. Gleichwohl war Schmitz-Scholl aber eine sichtbare Größe im politischen Apparat der Nazis. Der Satz von Historiker Niethammer lässt den Leser erschaudern: „Kurioserweise trat Schmitz-Scholl in die SS ein, weil er Angst vor der SA hatte.“
Als Schmitz-Scholl 1927 in die Geschäftsführung eintritt, unterzieht er die Handelskette Emil Tengelmann einer umfassenden Modernisierungskur und eröffnet in München den ersten Selbstbedienungsladen. Das Konzept passt nicht mit der Ideologie der Nazis zusammen. Sie bekämpfen nicht nur jüdische Warenhäuser. Auch Filialisten wie Tengelmann gelten der vorliegenden Studie zufolge als „unerwünschte Betriebsformen“.
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Schmitz-Scholl ist kein Freund von Gewerkschaften und Betriebsräten, gilt aber auch nicht als Anhänger der erstarkenden Nazis. Dennoch freundet er sich mit dem zehn Jahre jüngeren SS-Führer im Westen, Fritz Weitzel, an. 1933 tritt der Unternehmer selbst in die SS ein und bringt es bis zum Hauptsturmführer in Weitzels Stab. Schmitz-Scholl habe sich damit und mit Spenden an die SS „eine Art Sicherheitsillusion“ erkauft, schreiben die Historiker, die mit dem Tod Weitzels 1940 geplatzt sei.
Bouletten für Soldaten an der Front und Zwangsarbeiterinnen
Tengelmann macht selbst in den Kriegsjahren Gewinne. In eigenen Werken stellt das Unternehmen Fleischersatzstoffe her. Seine „Westwall-Bouletten“ liefert es an die Wehrmacht. Sie sollen Soldaten an der Front bei Kräften halten. Bei der Herstellung des Pulvers für die Bratlinge nutzt das Unternehmen nach Erkenntnissen der Historikerinnen auch die Arbeitskraft von Zwangsarbeiterinnen – vorrangig aus Polen und der Sowjetunion. „Der Einsatz von Zwangsarbeitern hielt sich im Vergleich zu anderen Unternehmen in Grenzen“, urteilt Niethammer, verweist aber zugleich auf die schlechte Quellenlage. Zeitweise hätten Zwangsarbeiterinnen „fünf bis sechs Prozent“ der Belegschaft in den Fabriken ausgemacht.
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Mit dem Ende des Krieges und der Naziherrschaft verhaftet die britische Militärregierung Karl Schmitz-Scholl Mitte Juli 1945 und steckt ihn für zehn Tage in ein Mülheimer Gefängnis. Er folgt eine fast dreijährige Internierung. Danach kehrt der Unternehmer – inzwischen offiziell als „Mitläufer“ der NS-Zeit eingestuft - in die Tengelmann-Zentrale zurück, die in der Zwischenzeit seine Schwester Elisabeth Haub allein weitergeführt hatte. Er stirbt 1969 im schweizerischen Lugano.
Lutz Niethammer (Hg.) „Tengelmann im Dritten Reich“, Klartext-Verlag, Essen, 752 Seiten