Essen. „Er hat ohne Zweifel Schuld auf sich geladen“, sagt Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather über Alfried Krupp. Dies wolle die Stiftung aufarbeiten.
Die Krupp-Stiftung will sich eingehender mit der Zwangsarbeiter-Vergangenheit des Unternehmens und Kriegsverbrechen des letzten Alleininhabers der Firma Krupp befassen. „Er hat ohne Zweifel Schuld auf sich geladen, über die keineswegs schon alles gesagt und geschrieben ist“, sagte Stiftungschefin Ursula Gather bei einer Abendveranstaltung in der Essener Villa Hügel mit Blick auf Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Die Stiftung befasse sich derzeit erneut mit dieser Thematik. „In der Nachkriegszeit geschah dies eindeutig unzulänglich“, betonte Gather, die Vorsitzende des Stiftungskuratoriums ist.
Es sei bekannt, dass die Firma Krupp Zwangsarbeiter beschäftigt habe, auch jüdische. „Der Namensgeber unserer Stiftung wurde nicht zuletzt dafür in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilt“, sagte Gather. Im Juli 1948 verhängten Richter der US-Militärjustiz eine Haftstrafe. Bereits im April 1945 war Alfried Krupp auf dem Gelände der Villa Hügel festgenommen worden. Bis Anfang 1951 blieb er in Haft.
Stiftungschefin Gather äußerte sich vor der Verleihung des Krupp-Förderpreises. In ihrer Rede verwies sie auf die vielschichtige Vergangenheit des Unternehmens und der Stiftung. Schließlich habe es neben Alfried Krupp auch die Persönlichkeit von Berthold Beitz gegeben, der ab dem Jahr 1953 persönlicher Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp war, von 1968 bis zu seinem Tod 2013 der Stiftung vorstand „und der eine ganz andere Prägung aufwies“, wie Gather sagte. Beitz habe während der Herrschaft der Nationalsozialisten als Manager der Karpaten-Öl AG in Boryslaw in der heutigen Ukraine zahlreiche Juden vor der Deportation und Ermordung bewahrt und sei dafür ebenso wie seine Ehefrau Else Beitz als „Gerechter unter den Völkern“ in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem geehrt worden.
Auch interessant
„Dies alles bleibt Teil unserer Geschichte“, sagte Gather. „Und deshalb haben wir uns vor einiger Zeit zudem ganz bewusst dafür entschieden, erneut in die historischen Quellen einzutauchen und uns eingehender mit der Person unseres Stifters auseinanderzusetzen.“ Bei ihren Förderaktivitäten setze sich die Stiftung schon lange für Völkerverständigung ein und sei daher unter anderem dem Jüdischen Museum Berlin verbunden.
„Als Juden entrechtet, verfolgt, vertrieben, enteignet und ermordet“
Die Direktorin des Museums, Hetty Berg, hielt am Donnerstagabend einen Festvortrag in der Villa Hügel. Wegen der Vergangenheit des Stahlkonzerns mit seinen Verbindungen zum Regime von Adolf Hitler sei es ihr „nicht leichtgefallen“, in die Villa Hügel zu kommen, sagte sie. „Wenn ich diesen prachtvollen Ort sehe, erinnert er mich daran, dass Hitler mit den in den Krupp-Werken hergestellten Waffen mein Heimatland, die Niederlande, angegriffen und besiegt hat. Und dass Mitglieder meiner Familie – zu der Zeit, als die Bewohner dieses Hauses zu immer größerem Reichtum kamen – als Juden entrechtet, verfolgt, vertrieben, enteignet und – viele – ermordet wurden.“ Die Firma Krupp habe Zwangsarbeiter aus dem Konzentrationslager Auschwitz ausgebeutet, wo auch Mitglieder ihrer Familie interniert gewesen seien.
Auch interessant
Trotz ihrer Zweifel habe sie sich dazu entschieden, nach Essen zu kommen, „denn wenn ich nicht gekommen wäre, dann wäre eine Chance für Austausch, für gegenseitiges Zuhören, Sprechen, Widersprechen und Verstehen vergeben gewesen“, sagte Hetty Berg.
Die Krupp-Stiftung, die 1968 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, ist die größte Einzelaktionärin des Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns Thyssenkrupp. Auf eine Vergabe des traditionsreichen und mit einer Million Euro dotierten Krupp-Preises hatte die Stiftung 2020 wegen der Corona-Krise verzichtet. In diesem Jahr wurde die Experimentalphysikerin Monika Aidelsburger von der Ludwig-Maximilians-Universität München ausgezeichnet.
Von Beitz geretteter Jurek Rotenberg gestorben
Mit dem Tod von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach war dessen Vermögen auf die von ihm errichtete gemeinnützige Stiftung übergegangen. Zur Konstruktion der Stiftung gehört, dass sie ihre Erträge, die sie aus Dividenden des Thyssenkrupp-Konzerns erhält, für Projekte aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst und Kultur, Bildung, Gesundheit und Sport einsetzt.
„Wir stehen heute an einem Wendepunkt“, sagte Hetty Berg. Die Gesellschaft verändere sich und der Kreis der Menschen, die die NS-Zeit noch persönlich erlebt haben, werde immer kleiner. So berichtete Ursula Gather, dass Jurek Rotenberg, einer der von Beitz Geretteten, vor zwei Wochen in Haifa gestorben sei. „Bald werden insgesamt die Zeitzeugen der Shoa ihre Geschichte nicht mehr erzählen können“, sagte Gather. „Somit ist es mehr denn je unsere Aufgabe, neue Formen der Erinnerung zu finden und Lücken aufzuarbeiten.“