Essen. Friedrich von Bohlen und Halbach begrüßt den Vorstoß der Krupp-Stiftung zur Zwangsarbeiter-Vergangenheit des Unternehmens Krupp – im Interview.
Die Krupp-Stiftung will sich eingehender mit der Zwangsarbeiter-Vergangenheit des Unternehmens Krupp und der Rolle des letzten Alleininhabers, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, befassen. Dessen Neffe Friedrich von Bohlen und Halbach äußert sich dazu positiv. In unserem Gespräch hinterfragt er auch die Rolle des früheren Stiftungschefs Berthold Beitz. „Das Ziel sollte sein, die damaligen Vorgänge und Verfehlungen aufzuzeigen und nach Möglichkeit jedem Einzelnen, demgegenüber diese Schuld seitens des Unternehmens und der Verantwortlichen aufgeladen wurde, Ehrerbietung, Dank und Anerkennung entgegenzubringen – verbunden mit der Bitte um Vergebung“, sagt Friedrich von Bohlen und Halbach. „Bei derartigen Verfehlungen gegen die Menschlichkeit ist dies das Mindeste, was die Verantwortlichen und deren Nachkommen tun sollten.“ Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut:
Die Krupp-Stiftung will sich eingehender mit der Zwangsarbeiter-Vergangenheit des Unternehmens Krupp und der Rolle des letzten Alleininhabers, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, befassen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Friedrich von Bohlen: Ich finde es gut, dass die Stiftung dieses Thema aufgreift. Es ist sehr relevant, groß und sensibel. Vor allem geht es um den Respekt vor den Betroffenen und die Aufarbeitung und Klarstellung dessen, was tatsächlich geschehen ist, welches menschliche Unrecht begangen wurde und wer welche Schuld auf sich geladen hat. Ich möchte aber auch betonen: Ich spreche hier für mich ganz persönlich, nicht im Namen der Familie.
Kommt der Zeitpunkt der Diskussion für Sie überraschend?
Friedrich von Bohlen: Zu den Erwägungen der Stiftung kann ich nur spekulieren. Meine Einschätzung ist: Eine Verjährung für solche Fragen und Abklärungen gibt es nicht: Vergehen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen – wann immer möglich – aufgezeigt und aufgeklärt werden. Je schneller desto besser - und lieber spät als gar nicht.
Sie sind ein Neffe von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Welche Erinnerung haben Sie an ihn?
Friedrich von Bohlen: Alfried war mein ältester Onkel. Ich war fünf Jahre alt, als er starb und kann mich kaum an ihn erinnern, aber natürlich an Erzählungen und vor allem an die Denk- und Verhaltensweise seiner Geschwister, darunter ja auch mein Vater Harald, der elf Jahre lang in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war.
Geht es Ihnen nahe, wenn ihr Onkel für Zwangsarbeit und Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wird?
Friedrich von Bohlen: Durchaus. Aber meine eigenen Befindlichkeiten sind hier nebensächlich. Neben den Betroffenen und deren jeweiligen Schicksalen geht es immer auch um die Frage, wie die Menschheit sich ihrer
selbst bewusst ist – und wie wir alle auf dieser Erde in unserem einen Leben, das wir haben, miteinander umgehen. Ich will nicht abweichen, aber deshalb sind aus meiner Sicht auch Themen wie Klima, Umwelt, Ernährung und Gesundheit so überproportional relevant.
Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather sagt, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach habe „ohne Zweifel Schuld auf sich geladen, über die keineswegs schon alles gesagt und geschrieben ist“. In der Nachkriegszeit sei dies eindeutig unzulänglich geschehen. Stimmen Sie zu?
Friedrich von Bohlen: Aus meiner Sicht wäre es im Fall der Firma Krupp wünschenswert gewesen, wenn bereits Alfried Krupp, spätestens aber Berthold Beitz, der ja aus seiner eigenen Vergangenheit eine hohe Sensibilität für gerade diese Themen hatte, hier aktiv geworden wären.
Warum ist dies Ihrer Einschätzung zufolge nicht geschehen?
Friedrich von Bohlen: Im Fall von Alfried habe ich eine Vermutung, im Fall von Herrn Beitz verstehe ich es nicht. Ich denke, dass viel dokumentiert ist, nicht nur, aber gerade auch im Krupp-Archiv in Essen. Falls es nicht bereits geschehen ist, gilt es, diese Dokumente auszuwerten und im Kontext aller anderen verfügbaren Quellen und Informationen so umfassend wie möglich transparent zu machen.
Was sollte das Ziel sein?
Friedrich von Bohlen: Das Ziel sollte sein, die damaligen Vorgänge und Verfehlungen aufzuzeigen und nach Möglichkeit jedem Einzelnen, demgegenüber diese Schuld seitens des Unternehmens und der Verantwortlichen aufgeladen wurde, Ehrerbietung, Dank und Anerkennung entgegenzubringen – verbunden mit der Bitte um Vergebung. Bei derartigen Verfehlungen gegen die Menschlichkeit ist dies das Mindeste, was die Verantwortlichen und deren Nachkommen tun sollten.
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Wie haben Sie den Umgang mit der Vergangenheit in Ihrer Familie persönlich wahrgenommen?
Friedrich von Bohlen: Mit meinem Vater Harald beginnend: Er trug sein Leben lang eine gefühlte Mitschuld für das Unrecht im Nationalsozialismus mit sich. Die elf Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft müssen sehr schwierig gewesen sein. Er hat sie aber selten thematisiert, obwohl sie ihn definitiv geprägt haben. Auch aus dem Bewusstsein für die Vergangenheit ist für ihn ein Wertesystem entstanden, das die Freiheit und Würde des Einzelnen in den Mittelpunkt stellte. Gewalt und Unrecht verabscheute er, und er setzte sich sein Leben lang für Freiheit und Völkerverständigung ein.
Ihr Vater Harald war der jüngere Bruder von Alfried von Bohlen und Halbach. Waren sich die Geschwister ähnlich?
Friedrich von Bohlen: Beide, mein Vater und Alfried waren reflektiert, freundlich, aber auch verschlossen – wie auch die anderen Geschwister, an die ich mich erinnern kann. Das hatte meines Erachtens mehrere Gründe: Die Herkunft aus einer damals als fast unantastbar geltenden Familie machte normale soziale Kontakte so gut wie unmöglich. Hinzu kam eine hierarchische Erziehung, die wenig Widerrede duldete. Und jeder stand unter einer intellektuell und emotional unauflösbaren Spannung: Einerseits sind sie in christlich-humanistischen Werten erzogen worden und aufgewachsen, andererseits waren sie Mitglieder einer Familie, die die damals größten Vernichtungswaffen herstellte. Das war ihnen bewusst, aber sie wussten nicht, wie sie offen damit umgehen sollten.
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Erklärt dies, warum seitens der Familie möglichst ein Mantel des Schweigens über die dunkle Vergangenheit gebreitet werden sollte?
Friedrich von Bohlen: In meinen Augen ist es jedenfalls der Hauptgrund, weswegen Alfried das Thema der Aufarbeitung der Zwangsarbeit meines Wissens nicht angerührt hat. Vermutlich hätte er sich, wenn er darauf angesprochen worden wäre, dem nicht verschlossen. Aber er war selbst verunsichert und verwundet, und so konzentrierte er sich nach dem Krieg und seiner Gefangenschaft auf die existenziellen Themen des Unternehmens, nämlich dieses wiederherzustellen und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen – und er verzichtete ausdrücklich darauf, jemals wieder Waffen zu produzieren.
Deutet dies darauf hin, dass Alfried Krupp sehr wohl bewusst gewesen sein muss, welche Schuld er auf sich geladen hat?
Friedrich von Bohlen: Ja, vieles deutet für mich darauf hin, dass das Bewusstsein für das geschehene Unrecht und für die Vergehen gegen die Menschlichkeit bei der Firma Krupp, wofür meine Vorfahren mit verantwortlich waren, bei Alfried und in seiner Generation sehr wohl präsent und vorhanden waren. Aber klar ist auch: Das allein genügt für eine Aufarbeitung nicht.