Essen. IFH-Studie für die Metro sieht bessere Gastronomie als Schlüssel zur Rettung der Innenstädte. Doch die hohen Mieten können nur die Ketten zahlen.

Verklebte Schaufenster, Billigläden und gastronomischer Einheitsbrei in Betonwüsten aus den 70-ern: Die Lage der Innenstädte hat sich im Ruhrgebiet schon vor Corona fortlaufend verschlechtert, die Pandemie hat sie zugespitzt. Forciert hat die Krise aber auch Initiativen wie „die Stadtretter“ und neue City-Konzepte in den Kommunen. Neben mehr Grün und Wohnraum soll die inhabergeführte Gastronomie eine tragende Rolle für die Belebung der Innenstädte spielen – und die fordert sie nun auch ein. Die Branche wünscht sich bessere Chancen bei der Vergabe frei gewordener Lokale, bezahlbare Mieten und ein besseres Umfeld in den Citylagen.

Metro: Innenstadt-Krise birgt auch Chancen

Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) für den Großhandelskonzern Metro. Der sorgt sich um seine besten Kunden: Unabhängige Restaurant- und Cafè-Betreiber. Das IFH hat Gastronomen, Kommunen und Zehntausende Passanten in mehr als 100 Innenstädten nach ihrer Einschätzung der aktuellen Lage und ihren Wünschen für die Zukunft befragt. „Die Krise der Innenstädte birgt auch große Chancen. Bei der Neuausrichtung muss die Politik bei der Standortentwicklung eine hochwertige Gastronomie stärker mitdenken“, fordert Metro-Managerin Ivonne Julitta Bollow.

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Die Bestandsaufnahme fällt zunächst bitter aus: In Groß- und Mittelstädten finden zwei von drei Besucherinnen und Besuchern, ihre City habe stark an Attraktivität verloren, sie verbringen deshalb weniger Zeit im Zentrum. Fast allen mangelt es an Sicherheit, Sauberkeit, Beleuchtung und Grün, sie kritisieren die Qualität und Eintönigkeit der Gastronomie und auch die Nahverkehrs-Anbindung. „Gerade im Ruhrgebiet ist der ÖPNV teils sehr fragmentiert“, sagt IFH-Innenstadt-Experte Boris Hedde.

Einzelhandel wird in der City weniger Flächen mieten

Der Einzelhandel klagt vor allem über den Corona-bedingten Rückgang der Kundenfrequenzen: 2020 kamen ein Drittel weniger Menschen in die Läden, im ersten Halbjahr 2021 waren es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum noch einmal 36 Prozent weniger. Und der Einzelhandel muss befürchten, dass ein großer Teil der Umsätze, die in den Onlinehandel abgewandert sind, auch nicht mehr zurückkehrt. Die Bequemlichkeit des Versandhandels möchten viele, die in der Pandemie erstmals im Internet eingekauft haben, nicht mehr missen. Deshalb wird erwartet, dass der Einzelhandel immer weniger Flächen in den Innenstädten anmietet.

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Für die Gastronomie in Innenstadtlagen hat das Konsequenzen: Sechs von zehn Inhabern schätzen ihre Lage als mittelmäßig bis sehr schlecht ein. Als Kunden fehlen ihnen Touristen, Geschäftsleute und Passanten, auch weil Konzerte und Messen reihenweise aufgefallen sind. Größtes Problem ist für sieben von zehn Gastwirten aber der Personalmangel. Die Branche hat während der Corona-Krise bundesweit 160.000 Stammkräfte verloren und tut sich sehr schwer, neues Personal für Service und Küche zu finden.

Kommunen wünschen sich mehr Vielfalt in ihren Innenstädten

Die Kommunen wissen selbst, dass sie ihre Innenstädte dringend aufwerten müssen. Die Befragung von mehr als 200 NRW-Kommunen ergab, dass sie im Rückzug des Handels die größte Herausforderung sehen. Sie klagen vor allem über den Verlust inhabergeführter Geschäfte, Filialisten-Einerlei, fehlende Ankergeschäfte, etwa wenn ein Kaufhaus schließt, und strukturellen Leerstand. Vier von zehn befragten Kommunen ist auch das gastronomische Angebot ihrer Innenstadt zu dürftig.

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In allen City-Szenarien, die derzeit in den Rathäusern, dem Land und in den Branchen diskutiert werden, spielt daher die Gastronomie eine große Rolle. Die zentrale Frage, wie die vom Handel verlassenen Flächen genutzt werden sollen, sind neue, inhabergeführte Restaurants und Cafès die häufigste Antwort – gefolgt von neuem Wohnraum und mehr Grünflächen.

Fünfstellige Pachten für die meisten unbezahlbar

Allerdings sehen sich die Wirte durch hohe Mieten und bürokratische Hürden gebremst. „Fünfstellige Pachten können die wenigsten erwirtschaften“, weiß Ingrid Hartges, Chefin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, die als Gast an der Studienpräsentation teilnahm. Gerade in den Innenstädten habe den Gastronomen auch die Unterstützung aus der Nachbarschaft gefehlt, weil dort meist nur noch wenige Menschen wohnten. Und der Wunsch nach Pachtsenkungen sei selbst während der Lockdowns von den meisten Vermietern überhört worden. „Da haben vor allem die großen Immobilieneigentümer wenig Charakter gezeigt“, so Hartges.

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Auf die zweite große Hürde könnten die Kommunen Einfluss nehmen: Die aus Sicht vieler Gastronomen intransparente Vergabe von Standorten. Die besten Locations gingen stets „unter der Hand“ weg, kritisieren zwei von drei Wirten – und zwar in aller Regel an Filialen der großen Systemgastronomen, weil nur die sich die hohen Mieten leisten könnten. Weniger Bürokratie, dafür mehr Transparenz, mehr Mut, leerstehende Lokale auch selbst anzumieten und Popup-Restaurants zur Verfügung zu stellen, fordert daher Metro-Manager Sven Liebert.

„Stadtretter“: Nicht alle sind bereit dafür

Woran es bisher scheitert? „Ich weiß nicht, ob alle bereit sind, diesen Strukturwandel anzugehen“, sagt IFH-Geschäftsführer Hedde, zugleich Mitgründer der „Stadtretter“. Er meint damit nicht nur träge Verwaltungen in den Kommunen, sondern auch Einzelhändler und Gastronomen. Vielen fehle das Selbstverständnis, dass nur im Schulterschluss mit allen Beteiligten die Wende gelingen kann. Schließlich funktionierten auch Aktionen wie etwa Late Night Shoppings nicht, wenn die Hälfte der Läden zu bleibe. Hedde rät den Gastronomen, „jetzt aktiv mitzuwirken, um neue Innenstadtkonzepte zu realisieren“.

Metro-Politstrategin Bollow sieht vor allem die Kommunen am Zug: „Eine aktive Förderung der Politik von gezielter Nutzungsmischung und Umnutzung auf Seiten der Mieter kann Abhilfe schaffen, um auch kleinen Gastronomiebetrieben attraktive Standorte zu bieten“, sagt sie. Um auch kleine, inhabergeführte Restaurants und Cafés in die Innenstädte zu kriegen, könne eine städtische Vergabeplattform für Gastroflächen oder die Benennung eines städtischen Gastrobeauftragten helfen.