Ruhrgebiet. Mit den Innenstädten ging es schon vor Corona bergab. Die Pandemie hat das verschärft. Wie die Städte wieder Leben in die City bringen wollen.

Leerstände, Billigshops, Ketten-Einheitsbrei – die Innenstädte im Ruhrgebiet haben sich schon vor der Pandemie in keine gute Richtung entwickelt. Die Corona-Krise mit den monatelangen Zwangsschließung von Läden und Restaurants wirkte da als echter Brandbeschleuniger, die meisten Plätze und Einkaufsstraßen waren weit davon entfernt, als lebendige City durchzugehen. Doch wie so oft, wenn Krisen bestehende Probleme verschärfen, erhöht das den Handlungsdruck.

Alle Kommunen und auch das Land haben die Rettung der Innenstädte auf ihre Agenda gesetzt, Förderprogramme aufgelegt, lokale Konzepte entworfen. Nun, da Händler und Cafés ihr Türen wieder öffnen dürfen, wächst die Hoffnung auf eine Wende zum Guten. Das zeigt auch eine WAZ-Umfrage in den Städten.

Leerstandsquoten im Ruhrgebiet besonders hoch

Landesweit liegt die Leerstandsquote in den Zentren um die zehn Prozent, allerdings schwankt sie laut Bauministerium stark zwischen Null und 20 Prozent. Die meisten Ruhrgebietsstädte liegen über dem Durchschnitt, in Gelsenkirchen etwa steht aktuell fast jedes fünfte Ladenlokal (19,2 Prozent) in der City leer, seit Beginn der Pandemie ist die Quote um zwei Prozentpunkte gestiegen. Die Pandemie habe „Handel und Gastronomie hart getroffen“, berichtet Oberhausen, dennoch sei die City „relativ gut durch die Pandemie gekommen“, die Leerstandsquote kaum gestiegen.

Eine stabile Leerstandsquote um die zwölf Prozent weist Mülheim auf, aktuell sind 43 Läden verwaist, nur drei mehr als vor der Krise. Dennoch hat sie auch um das Zentrum der Ruhrstadt keinen Bogen gemacht: „Die Fluktuation war extremer als üblich“, sagt City-Managerin Gesa Delija. Es gab mehr Geschäftsaufgaben, aber auch mehr Neueröffnungen. Bochum liegt mit seiner stabilen Leerstandsquote von zehn Prozent im Landesschnitt. „Es gab zwar einige Schließungen, diese wurden aber durch neue Eröffnungen kompensiert“, sagt Sven Frohwein von der „Bochum Wirtschaftsentwicklung“.

Neueröffnungen auch während der Krise

Alle Städte wissen von Neueröffnungen auch während der Pandemie zu berichten. In Gelsenkirchen haben einige Gastrobetriebe im vergangenen Jahr geschlossen, doch sind unter den Neueröffnungen auffällig viele Cafès, Schnellrestaurants und Burgerbuden. Ganz frisch ist ein prominenter wie augenfälliger Neuzugang am Dortmunder Westenhellweg: Die Hagener Modekette Sinn ist ins Erdgeschoss des geschlossenen Kaufhof eingezogen. Man führe viele Gespräche zur Neuansiedlung, heißt es aus der Dortmunder Wirtschaftsförderung.

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Das berichten auch Mülheim und Duisburg. Rasmus Beck, Geschäftsführer der GFW Duisburg, blickt vor allem positiv nach vorn: „Es gibt vermehrt Anfragen an Immobilieneigentümer für neue Nutzungsformen jenseits des Einzelhandels. Eine Trendwende in den Innenstädten deutet sich hier an.“ Wohin? „Mehr Kunst, Kultur, Gastronomie und Wohnen und Aufenthaltsqualität“, so Beck. Mit den Corona-Lockerungen sei der Konsum erfreulich schnell wieder angesprungen. Es gebe viel Nachholbedarf, zu shoppen und mal wieder essen zu gehen.

Städte mieten Läden mit Landeshilfe selbst an

So ziemlich jede Revierstadt hat inzwischen ein Innenstadt-Konzept aufgelegt. Sie heißen „Gelsenkirchen startet durch“, „Sofortprogramm Innenstadt“ in Bochum oder in Dortmund schlicht „City-Konzept“. Ob und wie diese wirken, ist ungewiss, aber die Pandemie hat viele Diskussionen und Strategie-Abstimmungen beschleunigt. Dabei hilft das Land mit Fördermitteln aus dem Innenstadtfonds, der 2020 mit 40 Millionen Euro und in einer zweiten Tranche für dieses Jahr mit weiteren 30 Millionen Euro gefüllt war.

Das Ruhrgebiet nahm diese Hilfen überproportional in Anspruch: „Im Winter 2020 erhielten 36 Ruhr-Kommunen rund 11,7 Millionen Euro Sonderzuweisungen zur Stabilisierung der Innenstädte“, sagte Bau- und Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) unserer Zeitung. Demnächst wird die Verteilung der zweiten Tranche bekanntgegeben. Und: „Im Sommer 2021 sollen umfangreiche gesetzliche Erleichterungen in Kraft treten, die insbesondere den Innenstädten und Ortszentren zu Gute kommen werden“, meint Scharrenbach.

Bochum hat die höchste Fördersumme landesweit erhalten

Mit zwei Millionen Euro hat Bochum aus dem ersten Topf die höchste Einzelsumme erhalten. „Mit dem Sofortprogramm Innenstadt haben wir hervorragende Möglichkeiten, um mit Schwung aus der Krise zu kommen“, sagt Frohwein. Essen erhielt eine knappe Million, Dortmund 594.000, Velbert 561.000, Bottrop 437.000 und Duisburg vergleichsweise knappe 195.000 Euro. Die Städte können mit dem Geld leerstehende Läden selbst anmieten und dann günstiger weitervermarkten. Bochum meldet die ersten unterzeichneten Verträge, in Mülheim laufen die Bewerbungen etwa für zeitlich befristete „Pop Up“-Geschäfte seit Mai, „wir rechnen mit ersten stationären Eröffnungen im Hochsommer“, so Citymanagerin Delija. Oberhausen verzeichnet bereits „erste Neuanmietungen in Folge des Sofortprogramms“. Gelsenkirchen hat in diesem Jahr 900.000 Euro aus dem zweiten Innenstadtfonds beantragt und wartet noch auf eine Bewilligung.

Dieses Krisenkonzept, das auch Essen intensiv verfolgt, ist nicht unumstritten. „Das ist eine Notlösung, kann aber nicht lange funktionieren“, sagt Eckhard Brockhoff, Gewerbeimmobilien-Makler aus Essen. Flächen selbst anzumieten und subventioniert weiter zu vermieten, nur um Leerstände zu verhindern, sei nicht das passende Rezept zur Innenstadt-Belebung. Sondern? „Mehr Grün, mehr Gastronomie, mehr Wohnraum, dafür weniger Handel“, lautet seine Empfehlung. Die Innenstädte im Ruhrgebiet seien mehr noch als andere überladen mit Einzelhändlern. Schon vor Beginn der Covid-Pandemie habe bei Neuvermietungen Gastronomie eine größere Rolle gespielt als der Handel, sagt Brockhoff.

Mehr Gastronomie, weniger Handel

Das werde sich fortsetzen und sei gut für die Innenstädte. „Mehr Gastronomie erhöht die Verweildauer der Menschen. Das ist dann auch gut für die verbleibenden Einzelhändler.“ Brockhoff sieht in den Einkaufszentren „die Bauruinen von übermorgen“. Kleinere Einkaufspassagen in Citylagen liefen schon heute nicht mehr, auch die großen entwickelten sich nicht gut. Die Städte sollten sich bei den Fußgängerzonen auf ihre Haupteinkaufsstraßen konzentrieren, in den Nebenstraßen werde sich der Handel immer schwerer tun. Hier sollten Immobilien umgenutzt werden, etwa als Wohnraum oder für Arztpraxen, und Straßen wieder für den Autoverkehr geöffnet werden.

Mehr Akzente in der Gastronomie zu setzen, geben etwa Gelsenkirchen, Essen und Duisburg bereits als Devise aus. Dass die Mieten in den zentralen Lagen wegen der Leerstände tendenziell sinken, spielt den Wirtschaftsförderern in die Karten. Essen will das etwa dazu nutzen, junge Gastronomen mit den Besitzern leerstehender Immobilien zusammenzubringen. Dabei setzen die Marketingexperten der Stadt auf eine steigende Bereitschaft, die Mieten aus Angst vor längeren Leerständen deutlich zu senken.

„Mit der Aufgabe von Einzelhandelsstandorten verändert sich das Gesicht unserer vielfach historisch gewachsenen Innenstädte“, weiß Landesministerin Scharrenbach. „Jetzt braucht es das mutige Herz der Kommunalpolitik, die Veränderung aktiv zu gestalten.“