Essen. Evonik-Chef Kullmann sieht große Potenziale der mRNA-Technologie, die im Kampf gegen das Coronavirus zum Einsatz kommt. Auch Evonik mischt mit.

Schon als Armin Laschet noch weit entfernt war von der Kanzlerkandidatur, ergriff Christian Kullmann Partei für ihn. Obwohl das Rennen um den CDU-Vorsitz zum damaligen Zeitpunkt noch offen war, sprach sich der Vorstandschef des Essener Chemiekonzerns Evonik offen für den NRW-Ministerpräsidenten aus. Dass sich ein Unternehmenslenker so eindeutig zu einem parteiinternen Wettkampf äußert, ist ungewöhnlich. Kullmann indes nimmt kein Blatt vor den Mund, auch nicht in einer neuen Podcast-Folge von „Die Wirtschaftsreporter“.

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Die Akteure der Wirtschaft sollten sich am politischen Diskurs beteiligen und nicht etwa „fein zurückhalten“, sagt der Evonik-Chef. „Der Austausch der Argumente gehört in die Öffentlichkeit, gehört auf den Marktplatz“. In einer Demokratie gebe es viele unterschiedliche Interessen. Daher sei es wichtig, dass sich Wirtschaftslenker klar positionieren.

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Ob er Angst vor einer grünen Bundeskanzlerin habe? „Nein, warum soll ich Angst haben?“, sagt Kullmann. Er sei sicher, auch bei den Grünen sei die Einsicht in bestimmte Notwendigkeiten „entwicklungsfähig“. Um seine Botschaft zu unterstreichen, verweist Kullmann auf das Regierungshandeln von Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg: „Ich kann jetzt nicht erkennen, dass das, was in den grünen Wahlprogrammen steht, sich annähernd im Regierungsalltag abbildet.“

Kullmann über Laschet: „Er ist der Bessere“

Bei der Bundestagswahl werde er sich indes für Laschet und nicht für die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock entscheiden. „Er ist der Bessere“, sagt Kullmann kurz und knapp. Dass er mit dem CDU-Chef befreundet sei, trübe dabei nicht seine politische Urteilsfähigkeit: „Freundschaft macht nicht blind, sondern Freundschaft gibt die Gelegenheit, auf eine ganz besondere persönliche Art die Dinge auf den Tisch zu legen, wie man sie sieht.“ Einen Wechsel in die Politik, wie ihn einst sein Mentor Werner Müller vollzog, schließt Kullmann aus. „Weil ich es meiner Frau versprochen habe“, sagt er – und weil Evonik „ein toller Konzern“ sei.

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Seit vier Jahren ist Kullmann nun Vorstandsvorsitzender des Essener Chemiekonzerns, bei dem rund 32.000 Mitarbeiter beschäftigt sind, sein Vertrag wurde gerade erst bis 2027 verlängert. Kurz vor Beginn der Corona-Krise im Frühjahr vergangenen Jahres hat Kullmann auch die Führung des Verbands der Chemischen Industrie – kurz VCI – übernommen und spricht damit für eine Branche mit rund 464.000 Arbeitsplätzen in Deutschland.

„Wer Krise kann, der kann mehr“

Auch er habe vor einem Jahr, als es die ersten Berichte über das neue Virus gab, unterschätzt, wie hart Corona die Wirtschaft treffen würde. „Ich würde Sie anmogeln, wenn ich sagen würde, ich habe das alles kommen sehen“, räumt Kullmann ein. „Es hat uns kalt erwischt. Als wir die ersten Informationen hatten, die ersten Einschätzungen vorgenommen haben, sind wir davon ausgegangen, dass das auf Asien begrenzt bleiben würde. Das war eine Fehleinschätzung.“ Stattdessen habe die Pandemie die „schlimmste Weltwirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ ausgelöst.

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Sein Konzern Evonik habe die Corona-Zeit gut überstanden, berichtet Kullmann – und verbreitet wieder Optimismus. „Wer Krise kann, der kann mehr“, sagt er. „Wir schalten in diesem Jahr um auf Wachstum. Und wir werden ein gutes Jahr sehen.“ Sinnbildlich für die Entwicklung Evonik stehe ein Kaktus auf den Fluren der Konzernzentrale, der überraschend aufgeblüht sei, erzählt Kullmann. Der Kaktus mit seinen Stacheln und Reserven wachse aus eigener Kraft – wie Evonik.

Evonik will Geschäft mit Pharma- und Biotechnologiebranche ausbauen

Der Ruhrgebietskonzern profitiert auch davon, ein wichtiger Zulieferer für den Impfstoff-Hersteller Pfizer-Biontech zu sein. „Wir sind hier einer der starken Player weltweit“, erklärt Kullmann. Evonik stellt sogenannte Lipide her, die ein zwingender Bestandteil für mRNA-basierte Impfstoffe sind, wie sie Pfizer-Biontech entwickelt. Zur Produktion der Lipide hatte Evonik innerhalb weniger Wochen am Standort Hanau ein neues Werk aufgebaut. „Wir sind in Weltrekordtempo unterwegs“, kommentiert Kullmann dies.

Ein derart schneller Aufbau einer Produktion sei in Deutschland allerdings nicht der Regelfall. Die Unternehmen würden durch staatliche Bürokratie gebremst. „Unsere Verwaltung hat erheblichen Reparatur- und Reformbedarf“, kritisiert der Evonik-Chef. „Wir müssen unsere Verwaltung in ein Trainingslager schicken.“ Die Genehmigungsprozesse seien mitunter atemberaubend. „Gegen uns sind Schnecken Sprinter. Das ist fürchterlich.“

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Mit der mRNA-Technologie habe Deutschland aber die Chance „ein stückweit wieder Apotheke der Welt“ zu werden, sagt Kullmann. Er rechne mit einer „Revolution in der Medizin“. In Zukunft werde die mRNA-Plattform nicht nur gegen Corona eingesetzt, sondern auch im Kampf gegen Krebs, Generkrankungen oder HIV. Das Zuliefergeschäft für die Pharma- und Biotechnologiebranche will Evonik weiter ausbauen. Ohne die Lipide des Essener Chemiekonzerns könne die mRNA-Technologie nicht funktionieren, betont Kullmann, „deshalb sind wir hier so wichtig“.