Essen. Bei Thyssenkrupp will Vorstandschefin Merz die Stahlsparte aus dem Konzern herauslösen. Die IG Metall stellt dafür Bedingungen.
Es wäre eine Zäsur für Thyssenkrupp: Vorstandschefin Martina Merz plant, die traditionsreiche Stahlsparte mit ihren großen Standorten in NRW vom Konzern zu trennen. Zu einer Verselbstständigung des Stahlgeschäfts wird es nach Einschätzung der IG Metall allerdings frühestens im nächsten Jahr kommen. „Über diese wichtige Frage wird es keine schnelle Entscheidung geben. Vermutlich fällt sie nicht vor Anfang 2022“, heißt es in einem Informationsschreiben des Vorstands der nordrhein-westfälischen IG Metall an die Beschäftigten des Unternehmens. Der Zeitplan zeichne sich in den Verhandlungen zwischen der IG Metall und der Thyssenkrupp-Führung ab.
„Wir verlangen eine solide Lösung, und dafür werden wir Zeit brauchen“, erklärte Detlef Wetzel, der stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel in Duisburg ist. In der vergangenen Woche gab es eine Sitzung des Steel-Aufsichtsrats, in der es ebenfalls um das Thema ging. In dem Kontrollgremium wollte die IG Metall eigenen Angaben zufolge auf klare Zusagen durch den Essener Mutterkonzern pochen und Bedingungen für eine Verselbstständigung formulieren.
Thyssenkrupp-Chefin Merz hatte Anfang des Jahres angekündigt, sie wolle das Stahlgeschäft, zu dem rund 27.000 der insgesamt 100.000 Thyssenkrupp-Beschäftigten gehören, in die Selbstständigkeit führen. Dieses Vorhaben sei zwar „sehr anspruchsvoll“, aber „machbar“. Merz forderte in diesem Zusammenhang auch, die Stahlsparte müsse so „aufgestellt sein, dass es keine Zuschüsse mehr aus der Zentrale braucht“.
„Finanziellen Risiken, die noch irgendwo schlummern könnten“
Die Arbeitnehmervertreter knüpfen ihre Zustimmung zu einem möglicherweise historischen Konzernumbau ebenfalls an Bedingungen. „Zumindest in der Startphase dürfen keine neuen Aktionäre an Bord gehen, damit das Stahlgeschäft nicht in die Hände von reinen Finanzinvestoren fällt“, fordert die IG Metall in ihrem Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt. Thyssenkrupp Steel müsse zudem von finanziellen Risiken befreit werden, „die noch irgendwo schlummern könnten“. Geld, das in der neuen Firma verdient werde, müsse auch im Unternehmen bleiben, um Investitionen zu ermöglichen.
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Zum Forderungskatalog der IG Metall gehört außerdem, die konzerneigenen Stahlservice-Center zu Thyssenkrupp Steel zu holen. Diese Vertriebsaktivitäten gehören bislang zur Werkstoffhandelssparte Material Services, die als fester Bestandteil des Essener Thyssenkrupp-Konzerns vorgesehen ist.
IG Metall: „Wir brauchen größtmögliche Sicherheit“
Am Dienstag (11. Mai) veröffentlicht Thyssenkrupp die Halbjahresbilanz für das Geschäftsjahr 2020/2021. Dabei dürfte auch der aktuelle Stand der Abspaltungspläne eine Rolle spielen.
„Wir brauchen größtmögliche Sicherheit, wenn wir in die Selbstständigkeit entlassen werden sollen“, mahnt der ehemalige IG Metall-Vorsitzende Wetzel. „Dazu gehört auch eine vernünftige finanzielle Ausstattung.“ Um im Wettbewerb bestehen zu können, benötige Thyssenkrupp Steel „eine Kapitalausstattung, die uns nicht schlechter stellt als die Mitbewerber“.
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Milliardenschwere Pensionsverpflichtungen belasten die Bilanz. Für einen klimafreundlichen Umbau der Stahlproduktion sind außerdem enorme Investitionen erforderlich. Mit großen Standorten unter anderem in Duisburg, Bochum und Dortmund gehört Thyssenkrupp Steel zu den wichtigsten industriellen Arbeitgebern in NRW.
Milliardenschwere Investitionen für klimafreundliche Produktion erforderlich
Entscheidend für die Zukunft von Thyssenkrupp Steel ist insbesondere, ob der Aufbau einer klimafreundlichen Stahlproduktion gelingt. Die Branche mit Konzernen wie Arcelor-Mittal und Salzgitter gehört zu den größten Verursachern von klimaschädlichem Kohlendioxid im Land. Allein aus den Hochöfen von Thyssenkrupp stammen Unternehmensangaben zufolge rund 2,5 Prozent des bundesweiten Kohlendioxid-Ausstoßes.
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Der Essener Industriekonzern hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. Dafür ist in der Stahlsparte der Bau sogenannter Direktreduktionsanlagen erforderlich, mit denen Thyssenkrupp schrittweise die klassischen Hochöfen ersetzen will.
Um im Zeitplan zu bleiben, braucht das Unternehmen früheren Angaben zufolge in den Jahren 2025 oder 2026 die erste dieser neuen Anlagen zur Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff, im Jahr 2030 dann eine weitere. Hinzu kommt der Aufbau einer neuen Infrastruktur – zum Beispiel Pipelines für die Versorgung mit Wasserstoff. Die milliardenschweren Investitionen seien nur mit staatlicher Unterstützung möglich, wird bei Thyssenkrupp stets betont.
Zusätzlich Druck durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Bundesregierung vor wenigen Tagen Eckpunkte eines neuen Klimagesetzes verkündet – mit nach oben geschraubten Zielen für Deutschland. Vorgesehen sind in den Plänen unter anderem ein nationales Klimaneutralitätsziel bis zum Jahr 2045 (bisher: 2050) und die Verpflichtung zu 65 Prozent weniger Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 (bisher: 55). Damit steigt auch bei Thyssenkrupp der Druck.
„Wir können und wollen einen massiven Beitrag zum Klimaschutz leisten“, kommentiert Bernhard Osburg, der Vorstandschef von Thyssenkrupp Steel, die aktuelle politische Entwicklung. „Wir brauchen allerdings ganz konkrete politische Schritte und nicht nur neue Ziele und Ankündigungen.“ Es gebe kein Erkenntnisproblem beim Klimaschutz, sondern ein Umsetzungsproblem. „Nötig sind realistische Strategien, wie wir gemeinsam den bestmöglichen Effekt für den Klimaschutz erzielen und zugleich unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Die Chance ist jetzt da und kommt nicht wieder.“