Essen. Oetker kauft Getränke-Lieferdienst Flaschenpost für angeblich eine Milliarde Euro. Das Start-up aus Münster soll mit Durstexpress fusionieren.
Die Macher des Getränke-Lieferdienstes Flaschenpost haben es geschafft: Der Oetker-Konzern übernimmt das vor vier Jahren vom Online-Unternehmer Dieter Büchl gegründete Start-up aus Münster. Das bestätigte der Bielefelder Lebensmittel-Riese am Montagmorgen. Die Verträge seien Ende Oktober unterzeichnet worden, stünden aber noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Kartellbehörden. Über den Kaufpreis schwiegen die Unternehmen, das Portal „Deutsche Start-ups“ nannte die Summe von einer Milliarde Euro.
Oetker will Flaschenpost mit seinem eigenen Bringdienst Durstexpress verheiraten. Damit gingen die beiden mit Abstand führenden Getränke-Lieferdienste in Deutschland zusammen – Flaschenpost beschäftigt rund 8000 Mitarbeiter, Durstexpress rund 3000. Das fusionierte Unternehmen solle eine Führungsriege erhalten, die sich aus Vorständen beider Firmen zusammensetzt, wie Oetker mitteilte. Der Online-Getränkelieferdienst solle künftig „aus zwei zentralen Verwaltungen in Berlin und Münster gelenkt“ werden.
Pinkwart begrüßt Deal als starkes Signal für Start-up-Szene
Flaschenpost war bereits in den vergangenen Jahren stark gewachsen, die Corona-Pandemie hat den Bringdiensten in diesem Jahr noch einmal einen besonders kräftigen Schub gegeben. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sieht in dem Deal ein starkes Signal für die hiesige Gründerszene, der Kauf durch Dr. Oetker zeige „die Rolle von Start-ups für den Wandel in der Wirtschaft und die wachsende Stärke Nordrhein-Westfalens“, twitterte er am Montagmorgen.
Das Geschäftsmodell von Flaschenpost ist einfach und zumindest den Umsätzen nach auch sehr erfolgreich: Die Kunden bestellen online ihre Getränke, der Bringdienst verspricht bis spät abends eine Lieferung binnen zwei Stunden an die Wohnungstür, auch unters Dach. Rund 60.000 Kisten werden nach Unternehmensangaben derzeit täglich geliefert. Zu Gewinnen und Verlusten macht das Start-up keine Angaben, betonte gegenüber unserer Redaktion jüngst aber, es dominierten „natürlich noch die Anfangsinvestitionen“. Das bedeutet bei jungen Unternehmen in der Regel, dass Verluste in Kauf genommen werden, um weiter zu wachsen. „Wir arbeiten an vielen Standorten aber bereits profitabel“, erklärte ein Sprecher.
Flaschenpost besonders im Ruhrgebiet stark
Flaschenpost ist nach eigenen Angaben aktuell in 23 deutschen Städten vertreten. Besonders stark präsent ist es im Ruhrgebiet mit sechs Standorten in Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, Bottrop und Recklinghausen. Flaschenpost unterhält eigene Lager und Fuhrparks von bis zu 150 Fahrzeugen und bis zu 400 Mitarbeitern an jedem Standort.
Für Dr. Oetker ist der Getränkebringdienst kein neues Geschäft: Die Bielefelder sind seit 2017 mit einem fast identischen Modell unter dem Namen Durstexpress am Markt, was in der Start-up-Szene mitunter als dreiste Kopie der Flaschenpost-Idee kritisiert wurde. Der zur Radeberger-Gruppe gehörende Durstexpress startete allerdings in anderen Städten, konzentrierte sich zunächst ganz auf Berlin. Inzwischen macht Durstexpress der Flaschenpost aber Konkurrenz, im Ruhrgebiet bisher in Bochum und ab Dezember auch in Oberhausen.
Die beiden Branchenführer gehen zusammen
Da mit Flaschenpost und Durstexpress die Nummern eins und zwei unter ein Dach kämen, dürfte sich auch das Bundeskartellamt die Übernahme genau ansehen. Die Frage wird sein, ob dieses spezielle Bringdienst-Angebot als eigenes Segment anzusehen ist, schließlich liefern auch die meisten niedergelassenen Getränkemärkte aus. Die Branche steckt seit langem in einer Konsolidierung, binnen zehn Jahren gab jeder fünfte Getränkemarkt auf. Entsprechend skeptisch blicken die alteingesessenen Getränkemärkte auf die neue Konkurrenz.
Das Versprechen, binnen zwei Stunden mit den Bier-, Limo- und Wasserkisten an der Haustür zu stehen, ist für das Unternehmen eine logistische und für die Beschäftigten eine körperliche Herausforderung. Flaschenpost war immer wieder in die Kritik geraten, die Bildung von Betriebsräten zu behindern. Das beklagten unlängst erneut Beschäftigte, in einem Brief an die Geschäftsführung erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die Geschäftsführung um Flaschenpost-Chef Stephen Weich.
Mitarbeiter beklagen „rüden Umgang“
„Teamleiter, Lageristen und Fahrer“, die nach eigenen Angaben in verschiedenen Regionalgesellschaften angestellt sind, erklärten, dass Mitarbeiter, die Kritik äußern oder gar Betriebsräte gründen wollen, mit Abmahnungen, Kündigungen oder dem Auslaufen ihrer oft befristeten Verträge rechnen müssten. Sie werfen Flaschenpost „rüdes Verhalten im Umgang mit uns Mitarbeitern“ vor. Die Gewerkschaft NGG bekräftigt diese Vorwürfe nach ihren Erfahrungen bei der Gründung des ersten Flaschenpost-Betriebsrats in Düsseldorf, der nach wie vor die Gerichte beschäftigt. Das Unternehmen wies diese Vorwürfe zurück und betonte auf Anfrage dieser Zeitung, es stehe „der Bildung von Betriebsräten offen gegenüber“.
Die Gewerkschaft NGG erklärte nun: „Für die Beschäftigten können die Arbeitsbedingungen nur besser werden. Wenn der möglicherweise milliardenschwere Deal abgeschlossen ist, fordern wir den Oetker-Konzern auf, mit der NGG einen Tarifvertrag für die Beschäftigten von Flaschenpost abzuschließen“, sagte NGG-Vizechef Freddy Adjan.