Essen. 50.000 Ausbildungsstellen in NRW sind immer noch unbesetzt. IHK und Handwerkskammer wollen Bewerber gezielter ansprechen.
Droht 2020 ein verlorenes Jahr für den Ausbildungsmarkt in NRW zu werden? Viele junge Menschen haben die Suche nach einer Lehrstelle in Zeiten der Pandemie offenbar schleifen lassen: Die Zahl der Bewerber ist stark gesunken. Außerdem haben viele Betriebe Entscheidungen zur Besetzung freier Ausbildungsstellen für den Herbst verschoben. In der Folge sind aktuell noch rund 50.000 gemeldete Ausbildungsplätze in NRW unbesetzt.
Über dieses Problem wollen Vertreter von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften bei der Fortsetzung des Ausbildungskonsenses am Mittwoch beraten. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte unserer Redaktion: „Junge Menschen ohne berufliche Qualifikation gehören zur Risikogruppe des Arbeitsmarktes. Wir dürfen es daher nicht zulassen, dass benachteiligte Jugendliche im Herbst 2020 als Verlierer des Ausbildungsjahrgangs dastehen. Denn die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen.“ Der Ausbildungskonsens müsse daher diese sowie weitere kurz- wie mittelfristige Herausforderungen aktiv angehen.
Lehrstellensuche ist bei vielen jungen Menschen in den Hintergrund gerückt
Die IHK NRW hat bereits im Vorfeld eine Offensive gestartet: Sie erklärte den 8. Juni zum „Tag der Ausbildungschance“. Per Telefon, Mail und Chat konnten sich junge Menschen zu Fragen rund um die Ausbildung beraten lassen. Der Hintergrund: „Die Bewerberseite bereitet uns derzeit größere Sorgen als die der Unternehmen“, sagt Robert Schweizog, Geschäftsführer des Bereichs Bildung und Fachkräfte der IHK NRW. Durch die Corona-bedingte Einschränkung des Schulbetriebes habe vielen Schülern Motivation und Perspektive gefehlt, sich um einen Ausbildungsplatz zu kümmern. Die Zahl der Bewerber für Ausbildungsplätze hat sich im Mai 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 11,6 Prozent verringert.
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„In der Zeit des Lockdowns hatten viele Schüler andere Sorgen als die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Teils waren sie nicht sicher, ob sie den Schulabschluss schaffen“, sagt Schweizog. Einige der Jugendlichen wüssten schon, welcher Beruf es werden solle, hätten aber noch keinen Überblick über das entsprechende Stellenangebot. Andere hätten geplant, nach dem Abschluss ins Ausland zu gehen und müssten nun komplett umdisponieren. Ein weiteres Problem: „Weil Veranstaltungen wie Ausbildungsmessen ausgefallen sind, sind Ausbildungssuchende und Betriebe in diesem Jahr schwerer zusammengekommen“, weiß Christian Henke, Geschäftsführer des Bereichs Bildungsrecht und Bildungspolitik der Handwerkskammer Düsseldorf.
Corona-Krise verschärft Azubi-Mangel in Handwerksberufen weiter
Handwerkliche Betriebe haben es tendenziell ohnehin schon schwer, Auszubildende zu finden. Durch die Corona-Krise habe sich das noch einmal verstärkt, sagt Henke. Auch er vermutet: „Berufswahl und Zukunft sind bei jungen Menschen zuletzt in den Hintergrund getreten.“ Mit Blick auf den Ausbildungskonsens hofft Henke auf einen gemeinsamen großen Aufschlag aller Beteiligten, um junge Menschen zu erreichen und doch noch zur Lehrstellensuche zu animieren. „Es ist wichtig, den Jugendlichen klarzumachen: Es gibt keine starren Daten und es ist noch nicht zu spät, um einen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben“, so Henke.
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Dabei müsse man die Kanäle nutzen, auf denen man junge Menschen am besten erreiche: Etwa durch gezielte Ansprache in den sozialen Medien oder WhatsApp-Sprechstunden. Schweizog sieht das ähnlich: Beim Ausbildungskonsens müsse man sich gemeinsam darauf verständigen, die Bewerber zu unterstützten. „Dafür brauchen wir kompakte, digitale Angebote“, so der IHK-Bildungsexperte.
Gute Jobaussichten in Handwerk und Lebensmittelverkauf, schlechte Chancen im Büro
Das Verhältnis von Bewerbern und unbesetzten Stellen ist je nach Branche sehr unterschiedlich. Gute Chancen haben junge Menschen vor allem in handwerklichen Berufen. So sind zum Beispiel im Tiefbau noch 528 Stellen frei, aber nur 173 Bewerber unversorgt. Im Sanitär- und Heizungsbereich kommen 879 Bewerber auf 1.313 freie Ausbildungsplätze. In der Lebensmittelherstellung gibt es noch 1.055 unbesetzte Plätze, nur 291 Menschen suchen noch. Aber auch im Lebensmittelverkauf, zum Beispiel bei den Bäckerei- oder Fleischereifachverkäufern, stehen die Chancen mit 1.624 freien Stellen bei nur 136 unversorgten Bewerbern sehr gut.
Der Ausbildungskonsens NRW
Im Ausbildungskonsens NRW beraten Landesregierung, Organisationen der Wirtschaft, Gewerkschaften, Arbeitsverwaltung und Kommunen mehrmals im Jahr über die Entwicklung des Ausbildungsmarktes.
Oberstes Ziel ist es, jungen Menschen einen erfolgreichen Start ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Dazu werden regelmäßig Maßnahmen und Projekte eingeleitet.
Die regionale Umsetzung erfolgt dabei auf der Ebene der 16 IHK-Bezirke.
Schlechter sieht es für Bewerber dagegen zum Beispiel im Bereich Büro und Sekretariat aus: Dort gibt es noch 3077 unversorgte Bewerber, aber nur 1.809 unbesetzte Stellen. Ebenfalls schwierig ist die Ausbildungsplatzsuche in den Bereichen Arzt- und Praxishilfe (3.304 Bewerber bei 2.511 freien Stellen) und Innenarchitektur und Raumausstattung (318 Bewerber bei 84 freien Stellen).
IHK-Experte: Mobilität erhöht die Chancen auf den Wunsch-Ausbildungsplatz
„Schon in der Vergangenheit hatten wir zwar viele Bewerber und viele Stellen, einige junge Menschen haben aber trotzdem keinen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf gefunden“, sagt Robert Schweizog. An dieser Stelle versuche man, den jungen Menschen verwandte, aber weniger bekannte Berufe zu vermitteln. Besonders in Regionen wie dem Ruhrgebiet, wo es tendenziell mehr Bewerber als freie Stellen gibt, rät Schweizog außerdem dazu, den Suchradius zu erweitern: „Je mobiler ein Bewerber innerhalb des Ruhrgebiets ist, desto besser sind seine Chancen.“
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Um Unternehmen einen Anreiz zu bieten, auch in der Krise weiter auszubilden, hat die Bundesregierung im Rahmen ihres großen Konjunkturpakets eine Ausbildungsprämie beschlossen: Betriebe, die die Zahl ihrer Ausbildungsplätze 2020 im Vergleich zu den drei Vorjahren nicht verringern, bekommen für jeden neu geschlossenen Ausbildungsvertrag 2000 Euro. Wer sogar mehr Stellen anbietet, erhält 3000 Euro pro Vertrag. Unternehmen, die einen Auszubildenden aus einem insolventen Betrieb übernehmen, bekommen eine Übernahmeprämie.
Azubi-Prämie für Unternehmen kommt bei DGB und IHK gut an
Dieser Vorstoß stieß weitestgehend auf positive Resonanz. „Es ist wichtig, dass es Anreize für Unternehmen gibt, auch in der Krise mehr Anstrengungen zu unternehmen, um Ausbildung zu erhalten und auszubauen“, so Anja Weber, Vorsitzende des Deutsche Gewerkschaftsbundes (DGB) NRW. Gerald Püchel, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Essen, betonte, es sei besonders erfreulich, dass nicht nur zusätzliche oder neue Ausbildungsplätze honoriert würden. „Nunmehr profitieren auch Unternehmen, die langjährig und kontinuierlich ausbilden von der Ausbildungsprämie und erhalten so endlich die verdiente Anerkennung“, so Püchel.