Herdecke. Tim Jessinghaus, Chef des Gebäudereinigungsunternehmens AJP, warnt vor unsachgemäßer Desinfektion zum Beispiel in Schulen.

Tim Jessinghaus greift ins Regal. Der Leitz-Ordner ist prall gefüllt. „Das ist ein Hygienekonzept. Für eine Einrichtung“, sagt der Chef des Gebäudereinigungsunternehmens AJP aus Herdecke. AJP ist spezialisiert auf karitative Einrichtungen von großen Krankenhäusern über Sozialstationen, Behinderteneinrichtungen, Kitas und nicht zuletzt Pflegeheimen. Die Corona-Krise hat den Arbeitsalltag der Reinigungsfachkräfte verändert.

Das Gebäudereinigungsunternehmen AJP aus Herdecke mit rund 650 Beschäftigten ist spezialisiert auf karitative Einrichtungen und ist seit 2012 vom Land NRW zertifiziert für höchste Hygienestandards. Geschäftsführender Gesellschafter ist Tim Jessinghaus warnt davor, „x-beliebige Desinfektionsmittel und Desinfektionsmaßnahmen anzuwenden.“
Das Gebäudereinigungsunternehmen AJP aus Herdecke mit rund 650 Beschäftigten ist spezialisiert auf karitative Einrichtungen und ist seit 2012 vom Land NRW zertifiziert für höchste Hygienestandards. Geschäftsführender Gesellschafter ist Tim Jessinghaus warnt davor, „x-beliebige Desinfektionsmittel und Desinfektionsmaßnahmen anzuwenden.“ © WP. | Foto: Jens Helmecke

„Aus unserem Job in den Einrichtungen ist ein Fulltime-Job geworden“, sagt Jessinghaus. Was das bedeutet? Die Reinigungsrhythmen haben sich deutlich erhöht, insbesondere in Seniorenheimen. Seit Mitte März gibt es eine 24-Stunden-Rufbereitschaft für Kliniken. Falls Corona-Infektionen gemeldet werden, machen sich eine oder mehrere der rund 650 Beschäftigten von AJP sofort auf den Weg. Sie wissen, was zu tun ist. Sie sind besonders geschult. Im Zweifel befindet sich ein Duplikat des Ordners mit Hygienekonzept in jedem Objekt.

„Wir haben in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bereits seit langem mit Keimen und Viren zu kämpfen, etwa Noro oder MRSA“, sagt Jessinghaus. Anforderungen wie in Bezug auf das Covid-19-Virus sind also für die Beschäftigten des Herdecker Unternehmens nicht neu. Seit 2012 ist AJP dafür vom Materialprüfungsamt des Landes Nordrhein-Westfalen zertifiziert.

Achtung: Scheinsicherheit

Zur Eindämmung des Corona-Erregers gibt es Präventionsvorschriften des Robert-Koch-Instituts. Mehrmals tägliche mechanische Wischdesinfektion von Türklinken, Griffen, Klingeln, Lichtschaltern Geländern oder auch Heizungsthermostaten sind aufgeführt – unter anderen Hinweisen. Vor allem aber: Es muss das richtige Mittel verwendet werden. Nicht spezialisierte Unternehmen auf das geforderte und notwendige Hygienelevel zu bringen, hält Fachmann Jessinghaus für ziemlich utopisch. Mehr noch: „Ich warne davor, x-beliebige Desinfektionsmittel und Desinfektionsmaßnahmen anzuwenden.“ Der blinde Einsatz könnte dazu führen, dass sich am Ende mehr resistente Keime ansiedeln.

Hilferufe aus Pflegeeinrichtungen

Sein Tipp, ob für Schulen, Sushi-Bars oder Fitnesscenter: Grundregeln der Hygiene beachten. Häufig Händewaschen, Abstand suchen, in die Armbeuge niesen etc.. Das dürfte seiner Ansicht nach wirksamer sein, als ohne Fachkenntnis zu reinigen und eine Scheinsicherheit zu erzeugen.

Nicht spezialisierte Unternehmen seien natürlich günstiger im Preis. Dass dies fatale Folgen haben kann, hat sich bereits im Pflegebereich gezeigt. AJP wurde jüngst mehrfach um Hilfe gebeten, um für gute Hygienestandards in betroffenen Einrichtungen zu sorgen.

Drastische Preiserhöhung

In der Corona-Krise wird deutlich, dass Gebäudereinigung mehr ist, als mit einem Putzlappen einmal durch zu feudeln. Und dass diese Aufgabe nicht nur anspruchsvoll, sondern auch von großer Bedeutung ist. „Unsere Beschäftigten merken, dass sie eine hohe Verantwortung tragen. Das wird ihnen aktuell auch zurückgespiegelt. Durch die größere Anerkennung ihrer Arbeit, macht es natürlich auch mehr Spaß“, ist die Wahrnehmung des Unternehmers.

Rund 700.000 Beschäftigte in der Branche

Im Gebäudereiniger-Handwerk in Deutschland sind 700.000 Menschen beschäftigt.

Es gilt ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn von 10,80 Euro pro Stunde im Westen und 10,55 Euro im Osten. Zum 1. Dezember gilt 10,80 Euro bundesweit. Für Fassaden- und Glasreinigung liegen die Mindeststundenlöhne mit 14,10 Euro (Westen) und 13,50 Euro (Osten) etwas höher.

Die Flächenvorgaben pro Stunde liegen laut Industriegewerkschaft Bau häufig bei mehreren hundert Quadratmetern.

Er würde seinen Beschäftigten wünschen, dass sie auch eine finanzielle Anerkennung vonseiten des Staates für die Leistungen in der Krise bekämen. „Ich kann die leider nicht zahlen.“ In der Krise hätten sich die Rahmenbedingungen für den Einkauf von Desinfektionsmitteln und Schutzbekleidung drastisch verändert. Die Hersteller riefen jetzt Preise auf, die um mehr als einhundert Prozent höher lägen als vor der Krise. An die Kunden weiterreichen kann AJP diese Kosten nicht. Immerhin gäbe es keine Engpässe bei der Materialbeschaffung. Weder bei den Spezialmitteln, noch bei hochwertigen Masken oder ähnlichem.

Das Herdecker Unternehmen wird auch nach der Corona-Krise arbeiten wie zuvor: mit hohen Standards. Ob auch die Wertschätzung nach der Krise gleich hoch bleibt, wird eine spannende Frage. „Es bleibt zu hoffen, dass unsere Mitarbeiter dann nicht ganz schnell wieder als ,die Putzfrau‘ gesehen werden“, sagt Andrea Gatzke-Lees, die die Einsätze der AJP-Mitarbeiter in ganz NRW koordiniert.