Essen. Mehr Pharmawirkstoffe aus Deutschland: Der Essener Konzern Evonik baut in der Corona-Krise die Produktion seiner heimischen Zuliefer-Werke aus.
Wenn Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann begründet, warum der Essener Chemiekonzern gerade jetzt in Deutschland sein Zuliefergeschäft für die Pharmaindustrie ausbauen will, kommt er rasch auf die Coronavirus-Pandemie zu sprechen. „Die große Bedeutung einer sicheren europaweiten Versorgung mit Wirkstoffen wird jetzt in der Corona-Krise besonders deutlich“, sagte Kullmann unserer Redaktion.
Unlängst hatte die Gewerkschaft IGBCE die Pharmakonzerne aufgefordert, die Produktion wichtiger Arzneien nach Europa zurückzuholen. In den vergangenen Jahren hätten sich Deutschland und Europa in eine gefährliche Abhängigkeit von wenigen Lieferanten in China und Indien begeben, kritisierte der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis. Eine Lehre aus der Corona-Krise müsse sein, die wichtigsten Wirkstoffe zu identifizieren und Versorgungssicherheit zu schaffen.
Lieferengpässe in Deutschland aktuell bei 438 Arzneimitteln
Lieferengpässe sind derzeit für 438 von rund 103.000 zugelassenen Arzneimitteln gemeldet, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte. So stehen aktuell unter anderem das Diabetes-Medikament Metformin Lich und das Asthma-Arzneimittel Pulmelia auf einer entsprechenden Liste des Bundesinstituts. Ein Lieferengpass müsse allerdings nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein, da oftmals andere Arzneimittel zur Verfügung stünden.
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„Grundsätzlich sind und bleiben Lieferengpässe ein langfristiges Problem“, erklärt Reiner Kern von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. „Inwieweit die Corona-Krise mit Blick auf Einschränkungen der Arzneimittelproduktion in Asien bei uns in Deutschland noch zeitverzögert zu Problemen führt, kann man derzeit nicht genau sagen.“ Im März seien noch überdurchschnittlich viele Patienten mit Rezepten in den Apotheken gewesen, um wichtige Arzneimittel zu bevorraten. Im April habe sich dieser Andrang allerdings deutlich gelegt, was die Liefersituation aktuell etwas entlaste.
Zulieferer wie Evonik spielen in der Pharmaindustrie eine wichtige Rolle
Ähnlich wie in der Autoindustrie spielen auch in der Pharmabranche Zulieferer eine wichtige Rolle, die als Lohnfertiger großer Konzerne wie Pfizer und Novartis tätig werden. Schon jetzt ist Evonik eigenen Angaben zufolge einer der weltweit führenden Auftragshersteller von Pharmawirkstoffen. Die heimischen Standorte will Konzernchef Kullmann nun in der Corona-Krise gezielt stärken. In einem ersten Schritt will Evonik bis Mitte kommenden Jahres 25 Millionen Euro in den Ausbau zweier deutscher Werke investieren, in denen bereits jetzt die Auftragsherstellung von Pharmawirkstoffen erfolgt.
So sollen Produktionskapazitäten an den Standorten Dossenheim (Baden-Württemberg) und Hanau (Hessen) größer werden. Weitere Investitionen zeichnen sich ab. Das Erweiterungsprojekt für die Standorte sei langfristig angelegt und soll vor 2024 abgeschlossen werden, heißt es bei Evonik.
„Die Covid-19-Pandemie hat vielen Unternehmen in der Pharmaindustrie vor Augen geführt, wie wichtig es ist, auf europäische Produktionsstandorte zurückgreifen zu können, die schnell und sicher lebensrettende Wirkstoffe herstellen und an regionale Märkte liefern“, betont Thomas Riermeier, der Leiter des Evonik-Geschäftsgebiets Health Care.
Warnung vor Abhängigkeit von China
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte mit Blick auf China eine Grundsatzdebatte angeregt zu der Frage, ob Deutschland in den Lieferketten abhängig sein wolle von einem einzigen Land. „Ich denke nein“, sagte Spahn. IGBCE-Chef Vassiliadis mahnt: „Es kann nicht sein, dass die einstige Apotheke der Welt heute bei Blutdrucksenkern, Schmerzmitteln oder Antibiotika auf andere angewiesen ist.“
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Evonik-Manager Riermeier spricht angesichts der Pläne des Konzerns für die Erweiterung der deutschen Standorte auch von einem „Signal in den Markt“. Das Unternehmen sei ein zuverlässiger, europäischer Partner der Pharmaunternehmen und könne die Kunden künftig besser als bisher unter anderem bei der klinischen und kommerziellen Herstellung von Wirkstoffen unterstützen. Das Zuliefergeschäft für die Pharmaindustrie ist bei Evonik Teil der Sparte „Nutrition & Care“, die zuletzt mit rund 8100 Mitarbeitern einen Umsatz von 4,58 Milliarden Euro erwirtschaftete. Insgesamt gehören mehr als 32.000 Beschäftigte zu Evonik. „Der Markt für pharmazeutische Wirkstoffe wächst“, sagt Vorstandschef Kullmann. „Als weltweit führender Auftragshersteller bedienen wir diese steigende Nachfrage und wachsen mit.“