Essen. Der Essener Chemiekonzern Evonik wappnet sich gegen das Coronavirus – insbesondere am wichtigen Standort Marl mit rund 7000 Mitarbeitern.
Eine Führungskräftekonferenz hat Evonik wegen der Corona-Krise abgesagt, ein Betriebsrätetreffen ebenso, doch zur Bilanzpressekonferenz in der Essener Konzernzentrale erscheint Vorstandschef Christian Kullmann wie geplant. Freimütig erzählt er davon, wie ihn seine Frau aus dem Supermarkt angerufen habe, um ihm zu sagen: „Schatz, die Regale sind leer.“ Auch für Evonik rechne er angesichts der „gestiegenen Risiken“ mit Auswirkungen auf das Geschäft, sagt Kullmann. Entsprechend vorsichtig plane der Vorstand für die Zukunft. Bislang gebe es im Unternehmen aber keinen Corona-Fall.
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„2020 wird kein einfaches Jahr werden“, räumt Kullmann ein und verweist auf die Folgen des Coronavirus, Handelskonflikte und die Spuren der Industrierezession. Schon das vergangene Geschäftsjahr sei „nichts für Schönwetterkapitäne“ gewesen. „Wir mussten mächtig rudern, um Kurs zu halten.“ Die Bilanz für 2019 spricht für sich: Der operative Gewinn ist mit 2,153 Milliarden Euro stabil geblieben. Der Umsatz ging leicht um ein Prozent auf 13,1 Milliarden Euro zurück – Zahlen, die sich im Rahmen der Erwartungen bewegen. Auch die Dividende soll mit 1,15 Euro je Aktie stabil bleiben, was einer Dividendenrendite von 4,2 Prozent entspricht.
Pandemie-Pläne für den Standort Marl
Insbesondere für den Standort NRW ist Evonik von Bedeutung. Mit dem Konzernsitz in Essen und dem Standort Marl, wo das Unternehmen rund 7000 Menschen beschäftigt, ist Evonik einer der großen Arbeitgeber der Region. Weltweit gehören mehr als 32.000 Beschäftigte zum Chemiekonzern, in dem Marken wie Degussa, Hüls und Goldschmidt aufgegangen sind.
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Das Werk in Marl spielt auch bei den Pandemie-Planungen von Evonik eine wichtige Rolle, wie Personalvorstand Thomas Wessel erklärt. Es müsse vermieden werden, dass eine Situation entsteht, in der womöglich „der gesamte Standort Marl in Quarantäne“ geschickt werde. Vorsicht lasse Evonik auch walten, da derzeit wegen eines Kraftwerksprojekts rund 2000 Beschäftigte von Fremdfirmen in Marl aktiv seien, auch Mitarbeiter aus Norditalien. Probleme in der Lieferkette der Evonik-Standorte durch Auswirkungen des Coronavirus gebe es aktuell nicht, berichtet Konzernvorstand Harald Schwager.
Neue Konzernstruktur für Evonik
Kullmann stellt Evonik als Unternehmen im Wandel dar. Das lasse sich auch an einer veränderten Konzernstruktur ablesen. Künftig gibt es bei Evonik vier Divisionen. Darin sind ab dem 1. Juli die Geschäfte rund um Produkte für die Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie („Nutrition & Care“), Werkstoffe („Smart Materials“), Additive für die industrielle Anwendung („Specialty Additives“) sowie rohstoff- und energieintensive Basischemie („Performance Materials“) gebündelt. Der Umbau der Arbeitsorganisation betreffe rund 16.500 Mitarbeiter in Deutschland, berichtet Personalvorstand Wessel. Geplant sei, damit rund 150 Stellen zu streichen.
Bereits vor einigen Monaten hat Evonik den Abbau von 1000 Jobs angekündigt – ohne betriebsbedingte Kündigungen. Das ursprünglich für Ende 2021 ausgerufene Ziel, damit die Vertriebs- und Verwaltungskosten um jährlich 200 Millionen Euro zu senken, soll nach Angaben von Finanzchefin Ute Wolf bereits Ende 2020 erreicht sein.
Slogan „Kraft für Neues“ hat ausgedient
Mit der neuen Konzernstruktur bekommt Evonik auch einen Leitspruch. Der Slogan „Kraft für Neues“ wird durch „Leading Beyond Chemistry“ ersetzt, womit das Unternehmen zum Ausdruck bringen will, über die Chemie hinaus führend in der Vernetzung von Kompetenzen aus Bereichen wie Biotechnologie, Physik und Materialkunde sein zu wollen.
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Die Entscheidung, beim Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund das Sponsoring zurückzufahren, begründet Kullmann damit, dass die Markenbekanntheit von Evonik über den BVB in Deutschland kaum noch gesteigert werden könnte. Im Ausland sei dies anders, weshalb der Chemiekonzern bei internationalen Wettbewerben präsent bleibe. Die Partnerschaft mit der Borussia laufe bis zum Jahr 2025. Kullmann verweist im Zusammenhang mit dem Fußball-Sponsoring auch auf den generellen Sparwillen im Konzern. „Bei Evonik gibt es keine heiligen Kühe“, betont er.
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Auf Nachfrage äußert sich Kullmann auch dazu, dass der Evonik-Mehrheitseigner RAG-Stiftung beim Aufzuggeschäft des Nachbarkonzerns Thyssenkrupp einsteigt. Ob dies nicht riskant sei für die Stiftung, die als Aufgabe hat, die Folgekosten des Steinkohlenbergbaus zu finanzieren? „Die RAG-Stiftung spielt nicht Monopoly“, sagt Kullmann dazu und lobt Stiftungschef Tönjes, der auch Evonik-Aufsichtsratschef ist, als „ganz und gar hervorragend“.
Offenes Plädoyer für Laschet statt Merz
Ungewöhnlich offen äußert sich Kullmann während der Bilanzpressekonferenz auch zum Rennen um den CDU-Parteivorsitz. Auf die Frage, ob Friedrich Merz oder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet neuer CDU-Chef werden sollte, antwortet der Evonik-Chef: „Ich spreche mich sehr klar und deutlich für unseren Ministerpräsidenten aus.“ Der „denkbarerweise nächste Kanzler“ sollte unter anderem „über Regierungserfahrung verfügen“ und „Optimismus ausstrahlen“, sagt Kullmann zur Begründung und fügt hinzu: „Das war jetzt nicht diplomatisch, aber klar.“
Kullmanns Wort hat in Deutschlands Industrie Gewicht. Ende März wird der Manager aller Voraussicht nach neuer Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), der 1700 Unternehmen und eine Branche mit rund 462.000 Beschäftigten vertritt.