Essen. Bei Thyssenkrupp steht mitten in der Konzernkrise Stahlchef Premal Desai vor der Ablösung. In der wichtigen Sparte gibt es viele Probleme.
Beim angeschlagenen Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp zeichnet sich erneut ein Wechsel bei einer entscheidenden Führungsposition ab. Nach wenigen Monaten im Amt soll Thyssenkrupp-Stahlchef Premal Desai schon wieder abgelöst werden. Als Nachfolger ist Bernhard Osburg vorgesehen, der im Vorstand der Stahlsparte bislang für den Vertrieb verantwortlich ist.
Erst Mitte Juni vergangenen Jahres hatte Desai die Führung der Thyssenkrupp-Stahlsparte mit 28.000 Beschäftigten übernommen. Zu diesem Zeitpunkt war indes noch Guido Kerkhoff Vorstandschef des Essener Traditionskonzerns. Kerkhoff wie Desai sind enge Wegbegleiter des langjährigen Konzernlenkers Heinrich Hiesinger gewesen. Kerkhoff war Finanzvorstand, Desai diente als Strategiechef, während Hiesinger unter anderem die – letztlich gescheiterten – Pläne für eine Fusion mit dem indischen Stahlkonzern Tata entwickelte.
Thyssenkrupp hat „große Qualitätsprobleme“ in der Stahlsparte eingeräumt
Im Gegensatz zu Hiesingers Plänen ist der Stahl nun wieder das alte und neue Kerngeschäft von Thyssenkrupp. Doch die Probleme in der wichtigsten Sparte sind groß. Es wird erwartet, dass sich dies auch an den aktuellen Geschäftszahlen für die letzten drei Monate des vergangenen Jahres ablesen lässt, die der Konzern am Donnerstag dieser Woche vorlegen will. Über die Pläne, Desai abzulösen, hat das „Handelsblatt“ zuerst berichtet.
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Schon vor wenigen Wochen räumte der Thyssenkrupp-Stahlvorstand in einem Schreiben an die Mitarbeiter ein, dass im Konzern einiges im Argen liegt. Einflüsse von außen wie eine geringe Nachfrage der Autoindustrie und schwankende Rohstoffpreise wirkten sich negativ aus, aber auch „große Qualitätsprobleme“ und Anlagen, die „nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen“, erklärte das Management.
Abbau von 2000 Arbeitsplätzen in der Stahlsparte bereits beschlossen
„Obwohl wir in die Vorbereitung für das Joint Venture mit Tata Steel Europe viel Zeit und Aufwand gesteckt haben, konnten wir am Ende unser Ziel, eine starke Nummer zwei in Europa zu bauen, nicht verwirklichen“, hieß es weiter in dem Schreiben des Thyssenkrupp-Stahlvorstands. „Über die vergangenen Jahre hinweg konnten wir die steigenden Anforderungen unserer Kunden und neue Entwicklungen im Markt, wie zum Beispiel den Trend zu höchstfesten Stahlgüten, nicht mehr richtig begleiten. Ein schonungsloser Blick auf unsere Situation zeigt: Wir sind in einer Abwärtsspirale.“ Ziel sei es aber, sich „zurück an die Spitze“ zu kämpfen. So müssten unter anderem die „Produktionsperformance und Produktqualität“ verbessert werden. Außerdem sollen die Kosten sinken. Ein Abbau von 2000 Arbeitsplätzen in der Stahlsparte ist bereits beschlossen.
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Dass der bisherige Stahlchef Desai von Betriebsräten mitverantwortlich gemacht wird für Fehlentwicklungen, wurde Anfang Dezember bei einer Kundgebung der Stahlkocher vor der Hauptverwaltung in Duisburg deutlich. Mit ungewöhnlich harten Worten attackierte Stahlbetriebsratschef Tekin Nasikkol nicht nur die ehemaligen Thyssenkrupp-Manager Hiesinger und Kerkhoff, sondern auch Desai. Hiesinger habe den Stahl von Anfang loswerden wollen, sein Nachfolger Kerkhoff sei unter Hiesinger „der schlechteste Finanzchef aller Zeiten“ gewesen, polterte Nasikkol. Der frühere Stahl-Chef Andreas Goss habe sich schon als „Stahlbaron in Amsterdam“ gesehen, und der Architekt für die geplatzte Fusion mit Tata, Premal Desai, sei nun sein Nachfolger. „Da frage ich mich doch, ob wir den Bock zum Gärtner gemacht haben“, sagte Nasikkol unter lautem Beifall der Demonstranten.
Thyssenkrupp-Manager Carsten Evers soll Finanzchef der Stahlsparte werden
Dem Vernehmen nach genießt Bernhard Osburg, der nun auf Desai folgen soll, nicht nur bei der Thyssenkrupp-Führung in Essen, sondern auch bei den Arbeitnehmervertretern großes Vertrauen. Es bestehe die Hoffnung, dass Osburg die hausgemachten Probleme anpacke, Lösungen entwickle und eine Zukunftsstrategie für die Stahlsparte entwerfe. Es sei ein Neuanfang erforderlich, sagt ein Insider.
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Als Vorstandssprecher der Stahlsparte war Desai im Sommer vom damaligen Konzernchef Kerkhoff mit weitreichenden Aufgaben betraut worden. So sollte er neben der Finanz- auch die Strategie- und Planungsfunktion übernehmen sowie den Vorstand führen. Nach der Ablösung von Desai soll der Thyssenkrupp-Manager Carsten Evers Finanzchef der Stahlsparte werden. Er ist bislang Finanzvorstand der Thyssenkrupp-Autozuliefersparte.
Aufsichtsratschef der Thyssenkrupp-Stahlsparte ist Konzernvorstand Klaus Keysberg, der im Oktober vergangenen Jahres gemeinsam mit Martina Merz in den Vorstand gewechselt war. Keysbergs Aufgabe ist es, sich aus dem Konzernvorstand heraus um die Weiterentwicklung des Stahlgeschäfts zu kümmern. Damit hat er eine Schlüsselrolle im Unternehmen.
Geld aus Elevator-Verkauf könnte in die Stahlsparte fließen
Hohe Schulden und Pensionsverpflichtungen lasten auf Thyssenkrupp. Kapital, das unter anderem in den Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff investiert werden müsste, ist derzeit denkbar knapp. Dem Vernehmen nach hat Premal Desai, der nun abgelöst werden soll, an einem ambitionierten Modernisierungs- und Investitionsprogramm gearbeitet.
Durch einen Verkauf oder Börsengang des konzerneigenen Aufzuggeschäfts soll Geld in die Kasse kommen. Die aktuell ertragreichste Thyssenkrupp-Sparte Elevator könnte von Konkurrenten oder Finanzinvestoren übernommen werden. Offen ist, ob sich Thyssenkrupp ganz von den Aufzügen trennt oder mit einem Mehrheits- oder Minderheitsanteil beteiligt bleibt. Großes Interesse hat der finnische Konzern Kone signalisiert. Bis spätestens Ende März soll es eine Entscheidung geben, wie Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz angekündigt hat.
Die angespannte Lage der Stahlbranche hat unlängst einmal mehr Spekulationen über ein mögliches Bündnis der beiden deutschen Branchenriesen Thyssenkrupp und Salzgitter angeheizt. Thyssenkrupp-Vorstandschefin Merz traf sich bereits im vergangenen Jahr mit Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann zu einem Gespräch.
Grundsätzlich ist Thyssenkrupp weiterhin offen für Bündnisse in der Stahlbranche. Ein rasches Zusammengehen mit Salzgitter gilt indes in Branchenkreisen als unwahrscheinlich. Im Zusammenhang mit einer „Deutschen Stahl AG“ werden in Arbeitnehmerkreisen auch die saarländischen Hochöfen ins Spiel gebracht. Die Saarstahl AG könnte demnach in einigen Jahren Teil eines Bündnisses mit den Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sein. Der scheidende Stahlchef Desai indes gilt nach wie vor als Anhänger eines Zusammenschlusses mit Tata in Europa.