Duisburg. 6000 Stahlkocher bangen um ihre Jobs. IG Metall rechnet mit dem Thyssenkrupp-Vorstand ab. Der plant neue Einschnitte. Jobgarantie verlängert.
Aus Angst um ihre Arbeitsplätze und Wut über die seit Jahren herrschende Unsicherheit haben am Dienstag in Duisburg rund 6000 Stahlarbeiter von Thyssenkrupp demonstriert. Emotional wie seit Jahren nicht mehr schworen die IG Metall und die Betriebsräte die Belegschaft auf eine lange und harte Auseinandersetzung mit dem Vorstand ein. In der anschließenden Aufsichtsratssitzung legte der Vorstand seine Zukunftspläne vor. Die werten IG Metall und Betriebsräte nun aus. Sie enthielten Investitionszusagen, aber auch Restrukturierungsmaßnahmen, hieß es am Abend. Details wurden nicht genannt. Die zum Jahresende auslaufende Beschäftigungssicherung werde aber um drei bis sechs Monate verlängert, erklärte Knut Giesler, IG-Metall-Chef in NRW.
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Thyssenkrupp versprach vor Beginn der Stahl-Aufsichtsratssitzung zwar Investitionen von jährlich 570 Millionen Euro in die Stahlsparte. Doch wird in der Arbeitnehmerschaft befürchtet, das dafür Werke geschlossen und noch mehr Arbeitsplätze abgebaut werden. Bisher war von bis zu 2000 Stellen die Rede. „Wenn ich jetzt schon wieder höre, 2000 Stellen reichen nicht, ist das eine Sauerei“ brüllte Stahl-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol hörbar wütend ins Mikrofon, „unsere Geduld ist am Ende“.
Sorge vor den ersten Kündigungen
Wie ernst die Lage sei, betonte nicht nur jeder Redner vor der verwittert ausschauenden Zentrale von Thyssenkrupp Steel Europe. Es war auch in den Gesichtern der Thyssianer und Kruppianer zu sehen, die mit oder ohne Trillerpfeife vor der Bühne standen und die kämpferischen Reden mit Applaus für die Forderungen der IG Metall und Buh-Rufen für das Management befeuerten. „Seit 41 Jahren arbeite ich in der Westfalenhütte“, sagt ein Kollege, der in Dortmund noch für Hoesch gearbeitet und viele Besitzer– und Managementwechsel miterlebt hat. „Meine größte Sorge ist, dass es zum ersten Mal Kündigungen gibt“, sagt er. So geht es auch einem Kollegen aus dem Gelsenkirchener Elektrostahlwerk. „Der Konzern braucht endlich eine Strategie“, fordert er.
Am lautesten wird es, wenn Solidarität mit dem Grobblechwerk im Duisburger Süden beschworen wird, das seit Jahren Verluste schreibt und deshalb besonders gefährdet ist. Auch die Kollegen vom Bochumer Warmband reisten einmal mehr mit besonders großen Sorgen zur Kundgebung in den Duisburger Norden. Die meisten sind an diesem Dienstagmittag nicht zum ersten Mal hier, und die meisten haben den früheren IG-Metall-Chef Detlef Wetzel schon häufiger gehört. Aber noch nie ist der Stratege aus dem Siegerland, der im Stahl-Aufsichtsrat sitzt, so aus sich heraus gegangen.
„Stahl ist ausgehungert worden“
Er wettert über die Fehler der Vergangenheit, das Milliardengrab in den brasilianischen Mangroven, die daraus verbliebenen Schuldenberge und vier verlorene Jahre, in denen die letztlich gescheiterte Fusion mit dem indischen Tata-Konzern verhandelt wurde. In der ganzen Zeit sei nicht mehr in den Stahl investiert, sei er regelrecht „ausgehungert“ worden und deshalb nun als Ganzes in Gefahr. „Kein Plan, keine Investitionen, keine Zukunft“, lautet seine Befürchtung. „Und jetzt, vier Monate, nachdem der Tata-Quatsch beendet ist, wird immer noch nicht investiert,“ schimpft Wetzel und fragt: „Müssen wir denn immer erst hier demonstrieren, bis irgendjemand sich mal um die Firma kümmert?“
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Wetzel und nach ihm auch Betriebsratschef Nasikkol betonen mehrfach, dass diese Veranstaltung nur der Auftakt für weitere sei, auch im neuen Jahr. Das lässt erahnen, dass sich die eigentlich bis zum Jahresende erwartete Einigung mit dem Vorstand verzögern wird. Durch die Untersagung der Fusion mit Tata durch die EU-Kommission wurde auch der Zukunftstarifvertrag hinfällig, der den Stahl-Beschäftigten eine Jobgarantie bis Mitte 2026 gegeben hätte. Zur Überbrückung wurde eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahresende gewährt. Nun forderte die IG Metall, diese zu verlängern, was der Vorstand anschließend laut Gewerkschaft auch zusagte.
Einigung wohl erst nach Aufzugs-Deal
Die Gewerkschaft will Sicherheiten nicht nur für Arbeitsplätze, sondern auch für Investitionen haben. Die kann der Konzern aber im Grunde erst geben, wenn der geplante Börsengang oder (Teil-)Verkauf der Aufzugsparte in trockenen Tüchern ist. Aus den erwarteten Milliardenerlösen sollen die Zukunftsinvestitionen finanziert werden. Konzernchefin Martina Merz hat unlängst im Interview mit dieser Zeitung erklärt, bis zum Ende März Klarheit in dieser Frage haben zu wollen. In dem Interview betonte sie auch, wie wichtig ihr der Stahl sei und dass sie als Maschinenbauingenieurin den Werkstoff Stahl liebe. Die forderte Dieter Lieske, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Duisburg, nun auch für die Beschäftigten ein: „Merz hat gesagt, sie liebe Stahl. Das geht aber nicht, ohne auch die Belegschaft zu lieben.“
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Das Unternehmen versuchte vorab vergeblich die Gemüter zu beruhigen. „Wir glauben an die Zukunft des Stahls und werden unser Stahlgeschäft langfristig wettbewerbsfähig machen. Wir müssen investieren. Und das tun wir auch“, hieß es in einer Mitteilung. Doch müssten „die finanziellen Mittel, die wir einsetzen, in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Ertrag stehen“. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens sei der Spielraum begrenzt, für den Stahl „derzeit bereits Investitionen von 570 Millionen Euro jährlich geplant. Bevor über die künftigen Investitionen entschieden werden könne, müsse aber das Zukunftskonzept für den Stahl und den Gesamtkonzern stehen.
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Der erst seit dem Sommer amtierende Stahl-Chef Premal Desai wird es in den Gesprächen mit der Arbeitnehmerseite nicht leicht haben. In ungewöhnlich harten Worten attackierte Nasikkol auch ihn vor 6000 Stahlkochern, als er rief: „Unser Unternehmen wurde von seinen Managern zugrunde gerichtet.“ Dabei ließ er keinen Namen aus: Ekkehard Schulz und Gerhard Cromme hätten mit ihrer „Arroganz und Überheblichkeit“ das Brasilien-Desaster zu verantworten gehabt, Heinrich Hiesinger habe den Stahl von Anfang loswerden wollen, sein Nachfolger Guido Kerkhoff sei unter Hiesinger „der schlechteste Finanzchef aller Zeiten“ gewesen, poltert Nasikkol, „nur sich selbst hat er eine Millionen-Abfindung in die Tasche gesteckt.“ Der frühere Stahl-Chef Andreas Goss habe sich schon als „Stahlbaron in Amsterdam“ gesehen, und der Architekt für die geplatzte Fusion mit Tata, Preal Desai, sei nun sein Nachfolger. „Da frage ich mich doch, ob wir den Bock zum Gärtner gemacht haben“, meint Nasikkol unter lauten Beifall der frierenden Demonstranten.
Drei bis sechs weitere Monate Jobgarantie
Dem Aufsichtsrat legte der Vorstand anschließend einen Plan vor, den die IG Metall am Abend „sehr komplex“ nannte. „Dieses beinhaltet Investitionsplanungen in erheblichem Umfang, aber auch Restrukturierungsmaßnahmen“, erklärte Knut Giesler, NRW-Chef der Gewerkschaft. Es werde nun geprüft. „Dabei liegt unser besonderes Augenmerk darauf, wie der angekündigte Umbau des Produktionsnetzwerks sich auf Standorte und Beschäftigung auswirkt“, so Giesler.
Immerhin habe man dafür etwas Zeit gewonnen. Es gebe vom Vorstand die Zusage, dass der Ergänzungstarifvertrag um mindesten drei und maximal sechs Monate verlängert werde. Dieser schließt betriebsbedingte Kündigungen aus.