Essen. Für den angeschlagenen Konzern Thyssenkrupp gibt es viele Planspiele – zur Aufzugsparte und zum Stahlgeschäft. Am Mittwoch tagt der Aufsichtsrat.
Auf einer Art Pinnwand im Eingangsbereich des Essener Thyssenkrupp-Quartiers sticht ein Text mit einer prägnanten Überschrift hervor. „Harte Zeiten“ steht in schwarzer Schrift über einem offiziellen Überblick zum abgelaufenen Geschäftsjahr. Im Zentrum der Darstellung: ein dicker Jahresfehlbetrag. Auch bei ihrem ersten Auftritt als Konzernchefin Ende November ließ Martina Merz keinen Zweifel am Ernst der Lage. Thyssenkrupp befinde sich in einer „außerordentlich angespannten Lage“, sagte sie und legte zur Jahresbilanz eine schonungslose Bestandsaufnahme vor.
Hohe Schulden und Pensionsverpflichtungen lasten auf dem traditionsreichen Stahl- und Industriegüterkonzern mit großen Werken in Duisburg, Bochum und Dortmund. Geld in die Kasse soll durch einen Verkauf oder Börsengang des konzerneigenen Aufzuggeschäfts kommen. Die aktuell ertragreichste Thyssenkrupp-Sparte Elevator könnte von Konkurrenten oder Finanzinvestoren übernommen werden. Offen ist, ob sich Thyssenkrupp ganz von den Aufzügen trennt oder mit einem Mehrheits- oder Minderheitsanteil beteiligt bleibt. Großes Interesse hat der finnische Konzern Kone signalisiert. Kone hat aber bei den Thyssenkrupp-Arbeitnehmervertretern einen schweren Stand.
Am Mittwoch dieser Woche soll sich der Aufsichtsrat mit den Optionen für Elevator befassen. Eine Verkaufsentscheidung werde es beim Treffen der Konzernkontrolleure noch nicht geben, berichten Insider. Denn noch liegen nicht alle Kaufangebote auf dem Tisch. Zu Wochenbeginn endete zwar die Bieterfrist für Finanzinvestoren. Wettbewerber aus der Aufzugbranche wie Kone haben indes noch etwa zwei Wochen Zeit, ihre Gebote zu präsentieren. So gilt es auch als unwahrscheinlich, dass es bereits zur Thyssenkrupp-Hauptversammlung am 31. Januar in Bochum Klarheit gibt.
„Mit dem Verkauf und dem damit erzielten Erlös könnte sich das Unternehmen strategisch neu aufstellen und hätte auch die finanziellen Mittel dazu“, sagt Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. Zwar winken Thyssenkrupp bei einem Komplettverkauf der Sparte Elevator auf einen Schlag milliardenschwere Einnahmen, doch aktuell ist das Aufzuggeschäft der große Gewinnbringer des Konzerns. „Vorstand und Aufsichtsrat müssen zwischen zwei Dingen abwägen: einem möglichst hohen Mittelzufluss und dem abrupten Wegbrechen der Erlöse bei einem schnellen Verkauf der Sparte“, analysiert Speich. „Aus industrieller Sicht würde das finnische Unternehmen Kone sicherlich als Käufer passen. Die Geschäftsmodelle der beiden Aufzugshersteller sind sehr ähnlich, in der Marktpositionierung würden sie sich ergänzen.“
Der nordrhein-westfälische IG Metall-Chef Knut Giesler hat eine Übernahme durch einen Konkurrenten wie Kone als „größte Bedrohungslage“ für die Beschäftigten bezeichnet. Arbeitnehmervertreter warnen vor einer möglichen Zerschlagung des Thyssenkrupp-Aufzuggeschäfts, auch Stellenabbau in der Verwaltung gilt bei einem Kauf durch Kone als wahrscheinlich.
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Anders wäre die Lage nach Einschätzung von Insidern, wenn ein Finanzinvestor den Zuschlag bekäme: Ein branchenfremder Käufer wäre auf die Verwaltung von Thyssenkrupp angewiesen. Auch die kartellrechtlichen Hürden dürften niedriger sein. Ein Finanzinvestor könnte das Elevator-Geschäft später ebenfalls an die Börse bringen.
Nach Darstellung von Vorstandschefin Merz soll bis spätestens Ende März klar sein, ob es auf einen Börsengang oder einen Verkauf hinausläuft. Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagt: „Ich glaube, dass beide Optionen ihren Wert haben.“
Spekulationen zu Stahlfusion mit Salzgitter
Nach einer möglichen Trennung von der Aufzug-Sparte stellt sich insbesondere die Frage, welcher Geschäftsbereich künftig ein verlässlicher Gewinnbringer sein wird. Die Stahlwerke – altes und neues Kerngeschäft von Thyssenkrupp – befinden sich unter Druck. Die Klimaschutzziele erfordern einen massiven Umbau der Fabriken.
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Die angespannte Lage der Stahlbranche hat einmal mehr Spekulationen über ein mögliches Bündnis der beiden deutschen Branchenriesen Thyssenkrupp und Salzgitter angeheizt. Martina Merz traf sich bereits im vergangenen Jahr mit Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann zu einem Gespräch.
Eine lange Zeit angestrebte Fusion von Thyssenkrupp mit dem indischen Konzern Tata in Europa war im vergangenen Jahr gescheitert. Grundsätzlich ist Thyssenkrupp weiterhin offen für Bündnisse. Ein rasches Zusammengehen mit Salzgitter gilt indes in Branchenkreisen als unwahrscheinlich. Im Zusammenhang mit einer „Deutschen Stahl AG“ werden in Arbeitnehmerkreisen auch die saarländischen Hochöfen ins Spiel gebracht. Die Saarstahl AG könne in einigen Jahren Teil eines Bündnisses mit den Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sein, heißt es.