Essen. In ihrem ersten großen Interview als Thyssenkrupp-Chefin spricht Martina Merz über die harten Zeiten für den Essener Traditionskonzern.
Es ist das erste Interview der neuen Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz – und auch am Tag nach der Bilanzpressekonferenz im Essener Konzern-Quartier gibt es noch viele Fragen. Wie geht es weiter angesichts der hohen Verluste des Ruhrkonzerns? Was kommt auf die Beschäftigten an den Stahlstandorten zu? Martina Merz bereitet die Thyssenkrupp-Mitarbeiter auf harte Zeiten vor. „Ich kann angesichts der aktuell schwierigen Situation die Sorgen, die es gibt, nicht wegnehmen. Das wäre nicht ehrlich“, sagt Merz mit Blick auf die Beschäftigten in den Stahlwerken. „Der Druck, der auf uns lastet, ist groß.“
Einen Abbau von konzernweit 6000 Arbeitsplätzen, davon 2000 Stellen in der Stahlsparte, hat Thyssenkrupp bereits angekündigt. Es könnten weitere Jobs wegfallen. „Wir können nicht ausschließen, dass es mehr Stellen werden, die wir abbauen müssen“, sagt Merz. „Wenn sich abzeichnen sollte, dass wir etwas ändern müssen, werden wir sofort handeln.“
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Bis spätestens Ende März soll klar sein, was aus der Aufzug-Sparte mit rund 50.000 Mitarbeitern weltweit wird. „Im Fall eines Börsengangs würden wir diesen bis zu diesem Zeitpunkt angemeldet haben. Sollten wir uns für das Angebot eines Bieters entscheiden, werden wir dann einen Namen nennen können.“
Frau Merz, Sie haben bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt eine harte Bestandsaufnahme vorgenommen. Haben Sie vor einem Jahr, als Sie zu Thyssenkrupp kamen, gewusst, wie katastrophal die Lage des Konzerns ist?
Merz: Wer aus der Branche kommt, kann die öffentlich zugänglichen Zahlen ganz gut einordnen. Ich kannte Thyssenkrupp aber auch als starke Marke. Und ich habe Thyssenkrupp in meiner Zeit bei Bosch in einem gemeinsamen Projekt von seiner allerbesten Seite kennengelernt – mit viel Leidenschaft für Technik. Es ist für mich deshalb eine Ehre, für Thyssenkrupp zu arbeiten. Als ich kam, ist aber schnell deutlich geworden, dass der konjunkturelle Abschwung voll durchschlägt. Gesunde Unternehmen können so etwas abpuffern, wir nicht.
Sie haben aber auch zahlreiche Managementfehler benannt. Ist Thyssenkrupp in den vergangenen Jahren schlecht geführt und kontrolliert worden?
Merz: Es betrübt mich, dass meine Aussagen so aufgenommen wurden, das war nicht meine Absicht. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, auch für das Management. Guido Kerkhoff hat die Strategie aufgesetzt, die wir jetzt umsetzen. Ich springe also auf einen fahrenden Zug auf. Ihn ins Rollen zu bringen, ist immer die undankbarste Aufgabe. Ich bekenne mich ausdrücklich zum Konzept des diversifizierten Technologiekonzerns Thyssenkrupp.
Nun ja, Sie haben von Durchwurschteln gesprochen, von mangelnder Konsequenz und Ernsthaftigkeit.
Merz: Der Konzern leidet noch immer unter den Fehlern mit den Stahlwerken in Übersee. Das engt unser Eigenkapital ein – und damit auch die Spielräume für größere Entscheidungen. Deshalb wurden bestimmte
Themen nicht angegangen, weil man dachte, sie sich nicht leisten zu können. Für mich gibt es keine Alternativlosigkeit. Ich möchte deshalb ein anderes Vorgehen etablieren: Wir müssen uns ein realistisches Bild machen und immer offen sein für unterschiedliche Optionen. Dann gilt es, das für uns optimale Szenario zu finden. Und es dann systematisch umzusetzen anstatt von der Hand in den Mund zu leben.
Nach Ihrer Bilanzvorlage ist der Aktienkurs eingebrochen, Thyssenkrupp hat am Donnerstag mehr als eine Milliarde Euro an Börsenwert verloren. Wie erklären Sie sich das?
Merz: Wir befinden uns in einer Phase mit vielen konjunkturellen und unternehmerischen Risiken. Diese Unsicherheit haben wir offengelegt und auch in den Kapitalmarkt getragen, was zu der Reaktion geführt hat. Doch mir ist es wichtig, nur das zu versprechen, was wir einhalten können. Ehrlichkeit hat für mich einen sehr hohen Wert. Das ist auch das, was mir als Alemannin das Ruhrgebiet so angenehm macht: Hier wie in meiner süddeutschen Heimat wird Klartext gesprochen.
Sie haben die Mittelfrist-Prognosen mit Verweis auf die vielen Unwägbarkeiten kassiert. Wird dadurch auch die Zahl von 6000 abzubauenden Stellen zur Makulatur, sprich werden es mehr?
Merz: Wenn sich abzeichnen sollte, dass wir etwas ändern müssen, werden wir sofort handeln. Wir können nicht ausschließen, dass es mehr Stellen werden, die wir abbauen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen Anlass für eine Korrektur. Sollte es eine neue Lage geben, werden wir sofort das Gespräch mit den Arbeitnehmervertretern suchen. Die Mitbestimmung ist bei Thyssenkrupp mehr als vorbildlich.
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Wann gibt es Klarheit zur Zukunft der Aufzug-Sparte mit rund 50.000 Beschäftigten? Bevorzugen Sie einen Börsengang oder einen Verkauf?
Merz: Bis spätestens Ende März wollen wir uns für eine Option entscheiden. Im Fall eines Börsengangs würden wir diesen bis zu diesem Zeitpunkt angemeldet haben. Sollten wir uns für das Angebot eines Bieters entscheiden, werden wir dann einen Namen nennen können.
Soll bis Ende März im Fall eines Verkaufs des Aufzuggeschäfts auch schon der Vertrag unterzeichnet sein?
Merz: Das werden wir dann sehen. Wir haben ein großes Interesse daran, dass der Prozess einem klaren Ablauf folgt.
Der finnische Konzern Kone gilt in der Branche als Favorit. Auch für Sie?
Merz: Im Moment habe ich alle Bieter gleich gern.
Steht ein möglichst hoher Verkaufspreis im Vordergrund?
Merz: Es geht uns nicht nur um einen hohen Preis. Wir haben eine Vereinbarung mit den Arbeitnehmern, die
sicherstellt, dass wir uns für den besten Eigentümer entscheiden und dabei selbstverständlich auch die Interessen der Beschäftigten berücksichtigen.
Sollte ein Thyssenkrupp-Konkurrent wie Kone zum Zuge kommen, wäre eine intensive Prüfung der Wettbewerbshüter absehbar. Daran ist auch die geplante Stahlfusion mit Tata gescheitert. Wie wollen sie verhindern, dass sich ein solcher Fall wiederholt?
Merz: Wenn wir uns für jemanden entscheiden, muss es auch klappen. Es reicht nicht aus, nur möglichst viel Geld zu bieten. Wir brauchen auch Transaktionssicherheit.
Es gibt Spekulationen, Kone könne in Vorkasse gehen, um das Risiko zu verringern. Wäre dies eine Lösung?
Merz: Grundsätzlich ist es wichtig für uns, dass keine wettbewerbsrechtlichen Risiken bei uns liegen. Da haben wir aus unseren Erfahrungen bei der abgesagten Fusion mit Tata Steel gelernt. Das Gesamtpaket muss stimmen.
Sie haben bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Vorstandschefin betont, dass die Geschäfte von Thyssenkrupp im Wettbewerb um Investitionen stehen. Das klingt nach einem harten internen Wettbewerb.
Merz: Wir müssen unsere Ertragskraft und Wettbewerbsfähigkeit in vielen Bereichen erheblich steigern. Wenn es um die Zuteilung von Investitionen geht, schauen wir nicht nur auf die aktuellen Erträge. Sondern wir blicken auch in die Zukunft und berücksichtigen, wie künftige Erträge der einzelnen Geschäfte aussehen können. Insgesamt wollen wir ein dividendenfähiger Konzern sein. Der Kapitalmarkt will zu Recht wissen, welche Story wir erzählen können.
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Steht künftig jeder Thyssenkrupp-Betrieb, der nicht zur Weltspitze gehört, auf der Verkaufsliste?
Merz: Nein, das wäre zu einfach. Aber wir stellen uns in dem einen oder anderen Bereich die Frage, ob wir wirklich der beste Eigentümer sind. Deshalb denken wir für bestimmte Geschäftsaktivitäten über Fusionen oder Partnerschaften nach.
Wo zum Beispiel?
Merz: Ich denke beispielsweise an den Anlagenbau. In der Sparte stellen wir Fabriken für so unterschiedliche Branchen wie die Zementindustrie, Chemiebetriebe und den Bergbau her. Da gehen wir mit großem Engagement das Thema Leistungsfähigkeit an. Aber wir prüfen nun auch für jeden einzelnen Bereich, ob es Interesse potenzieller Käufer oder Partner gibt.
Erwägen Sie auch für das Autozuliefergeschäft einen Verkauf?
Merz: Unsere Priorität ist hier derzeit, das Geschäft im eigenen Haus weiterzuentwickeln.
Durch die geplante, aber letztlich gescheiterte Fusion mit dem Konzern Tata sollte die traditionsreiche Stahlsparte aus der Thyssenkrupp-Bilanz verschwinden. Jetzt ist der Stahl wieder Kerngeschäft. Warum?
Merz: Der Stahl hat als Material ganz viel Zukunft. Wenn es um den Stahl geht, komme ich richtiggehend ins Schwärmen. Als Maschinenbauingenieurin liebe ich Stahl. Es hat viele Versuche gegeben, Stahl als Material
zu ersetzen, alle sind gescheitert. Mit unseren Standorten, wie zum Beispiel dem Werk in Duisburg, haben wir eine hervorragende Ausgangssituation, von der viele Wettbewerber träumen. Aber klar ist auch: Aktuell leiden wir unter massiven Stahlimporten aus Asien und hohen Eisenerzpreisen. Das belastet derzeit unser Geschäft.
Planen Sie Standortschließungen? Die Beschäftigten vor allem im Grobblechwerk im Duisburger Süden und am Bochumer Warmband machen sich große Sorgen. Zurecht?
Merz: Ich kann angesichts der aktuell schwierigen Situation die Sorgen, die es gibt, nicht wegnehmen. Das wäre nicht ehrlich. Der Druck, der auf uns lastet, ist groß. Klar ist: Wir wollen den Stahl zukunftsfähig machen. Dabei haben wir immer den gesamten Produktionsverbund im Blick und treffen nicht nur isolierte Entscheidungen für einzelne Standorte.
Wird es Thyssenkrupp aus eigener Kraft gelingen, ein klimaneutrales Stahlwerk zu bauen?
Merz: Mit der CO2-freien Stahlproduktion stehen wir in der Branche vor einem großen Technologie-Umbruch. In einer solchen Phase sind in der Industrie Kooperationen beinahe zwangsläufig. Die Not bringt die Menschen immer zusammen.
Geht das nur mit Hilfe des Staates?
Merz: Bei dieser Frage sehe ich Ähnlichkeiten zur Diskussion über die Elektromobilität. Was wir hier wie dort benötigen, sind zum Beispiel eine funktionsfähige Infrastruktur und technische Standards. So etwas kann kein Unternehmen alleine stemmen. Da liegt auch Verantwortung bei der Politik. Die Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen agiert da übrigens vorbildlich.
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Für das nun abgeschlossene Geschäftsjahr soll die Dividende ausfallen. Müssen sich die Aktionäre danach auf eine weitere Nullrunde einstellen?
Merz: Zunächst einmal bin ich froh, dass unsere großen Aktionäre den Spekulationen über eine etwaige Sonderdividende ein klares Ende gesetzt haben. Auch die Entscheidung zum Ausfall der Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr trägt der Aufsichtsrat mit. Eine Aussage für das kommende Jahr ist derzeit noch zu früh.
Der Aufsichtsrat hat Sie für ein Jahr auf den Chefsessel entsandt, der Umbau wird aber länger dauern. Wären Sie bereit, Ihr Mandat länger auszuüben, wenn der Aufsichtsrat das vorschlägt?
Merz: Das entscheidet allein der Aufsichtsrat.
Neuen Vorstandsvorsitzenden wird in der Regel eine Schonfrist gewährt – Ihnen nicht, oder?
Merz: Nein, ich habe keine Schonfrist und nehme sie auch nicht für mich in Anspruch. Dafür ist in der momentanen Situation auch keine Zeit.
Sie sind die erste Frau auf dem Chefsessel von Thyssenkrupp und im engeren Führungszirkel auch die einzige. Spielt das für Sie eine Rolle?
Merz: Ich habe wirklich Spaß in diesem Job. Die Industrie ist noch eine Männerwelt. Trotzdem kann ich da ganz Frau sein. Und ich hoffe natürlich, dass mehr Frauen technische Berufe wählen. Tatsächlich sind Frauen in Führungspositionen oft der erste Schritt in Unternehmen zu mehr Diversität. Und mehr Diversität führt zu mehr Kreativität und mehr Offenheit für Anderes. Das schadet nie.