Düsseldorf. Jahrelang ist Industrie-Abfall von Shell als „Petrolkoks“ verkauft worden. NRW-Umweltministerium legt Liste mit vielen betroffenen Städten vor.

Ein Fall rund um den Shell-Standort Wesseling beschäftigt die Landespolitik. Jahrelang sind Raffinerie-Rückstände aus den Anlagen des Mineralölkonzerns, die das NRW-Umweltministerium mittlerweile als gefährlichen Abfall einstuft, als „Petrolkoks“ verkauft worden. Allein in den Steag-Kohlekraftwerken Herne und Lünen wurden nach Angaben des Ministeriums über mehrere Jahre hinweg insgesamt mehr als 150.000 Tonnen des mit Schwermetallen belasteten Materials verbrannt. Auch die Bottroper Kokerei des Stahlkonzerns ArcelorMittal erhielt in den Jahren 2015 bis 2017 einem Ministeriumsbericht zufolge vermeintlichen „Petrolkoks“ im Umfang von knapp 12.000 Tonnen.

Darüber hinaus sind Standorte in zahlreichen Städten der Rhein-Ruhr-Region beliefert worden, wie aus einer vor wenigen Tagen formulierten Antwort von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) auf eine Anfrage von zwei SPD-Abgeordneten hervorgeht. Demnach ist die Liste der Anlagen, in denen die Raffinerie-Rückstände verwendet worden sind, recht lang:

  • Herne
  • Lünen
  • Bottrop
  • Gelsenkirchen
  • Duisburg
  • Essen
  • Marl
  • Moers
  • Castrop-Rauxel
  • Krefeld
  • Ratingen
  • Dinslaken
  • Köln-Niehl
  • Rheinberg-Orsoy
  • Eschweiler-Weisweiler
  • Rietberg
  • Dülmen
  • Petershagen
  • Troisdorf

Vermeintlicher Petrolkoks für Kraftwerke, eine Zinkhütte und Ziegeleien

„Unfassbar, in wie vielen Städten beziehungsweise Verbrennungsanlagen der Petrolkoks von Shell zum Einsatz gekommen ist“, kommentiert SPD-Landtagsfraktionsvize Michael Hübner die Vorgänge. Hübner hatte die Anfrage an die Landesregierung gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Thomas Göddertz formuliert. Die Namen der belieferten Unternehmen sind dem aktuellen Bericht des Ministeriums nicht zu entnehmen. Früheren Angaben zufolge geht es unter anderem um mehrere Kraftwerke, eine Zinkhütte und zwei Ziegeleien.

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Der Einsatz der Raffinerie-Rückstände hätte „nach heutigen Erkenntnissen nicht genehmigt werden dürfen“, kritisieren die Abgeordneten. Gleichwohl habe die zuständige Aufsichtsbehörde, die Bezirksregierung Köln, die Einstufung des Materials von Shell als „Petrolkoks“ akzeptiert. Shell erklärte bereits vor einigen Wochen, das Unternehmen habe die Zusammensetzung und Produktion des abfiltrierten Rußes „stets transparent dargestellt und die erforderlichen Genehmigungen eingeholt“.

Material mit Schwermetallen wie Nickel und Vanadium belastet

Das NRW-Umweltministerium ist eigenen Angaben zufolge im Zusammenhang mit der Beseitigung von Ölpellets aus der Raffinerie des Aral-Mutterkonzerns BP in Gelsenkirchen-Scholven auf die Vorgänge rund um die Shell-Raffinerie in Wesseling bei Köln aufmerksam geworden. Daher habe es Nachforschungen zu den Rückständen aus der Schwerölvergasung von Shell gegeben.

Bei Recherchen haben sich nach Angaben des Ministeriums Hinweise darauf ergeben, dass die Raffinerie-Rückstände nicht als „Petrolkoks“ einzustufen sind. Gründe seien ein hoher Wassergehalt und eine Belastung mit Schwermetallen. So weise das Material von Shell im Vergleich zu „handelsüblichem Petrolkoks“ höhere Gehalte von Nickel, Vanadium und Schwefel auf.

Der Landtagsabgeordnete Hübner kritisiert Shell mit scharfen Worten. „Shell hat offenbar nichts aus dem Pellets-Skandal bei BP gelernt“, sagt Hübner im Gespräch mit unserer Redaktion. „Offenbar ist man froh, nicht ertappt worden zu sein.“

Schwermetall-Emissionen lediglich alle drei Jahre überprüft

Abnehmer des Materials ist nach Angaben des Mineralölkonzerns die Gladbecker Firma Mineralplus gewesen – eine Tochterfirma des kommunalen Energiekonzerns Steag. Auf der Website von Mineralplus steht: „Wir sind spezialisiert auf die Entsorgung von industriellen Abfällen und auf die Produktion von Baustoffen aus Abfällen.“

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Mitarbeiter der Wanne-Herner Eisenbahn (WHE), die im örtlichen Hafen in Kontakt mit dem Raffinerie-Rückstand gekommen waren, hatten sich gegenüber unserer Redaktion besorgt gezeigt. Sie berichteten unter anderem über Reizungen von Luftwegen, Augen und Haut.

In ihrer Anfrage gehen die Abgeordneten Hübner und Göddertz auch der Frage nach, wie häufig die Emissionen der Betriebe, die den vermeintlichen „Petrolkoks“ verbrannt haben, überprüft worden sind. Das Ministerium erklärte, die Einhaltung der Schwermetall-Emissionen werde „durch Einzelmessungen alle drei Jahre überprüft“. Hübner sagt dazu, ein solches Prüfintervall müsse „fast als Witz bezeichnet werden“.