Bochum/Gelsenkirchen. . Nach dem Umweltskandal um die Ölpellets stellt das Landgericht Bochum dem Aral-Mutterkonzern BP und den Behörden ein schlechtes Zeugnis aus.

Es ist ein Urteil, das den Raffineriekonzern BP in schlechtem Licht erscheinen lässt – und auch die für die Kontrolle des Unternehmens zuständige Bezirksregierung Münster muss sich kritische Fragen gefallen lassen: Akribisch beschreibt das Landgericht Bochum, was jahrelang schiefgelaufen ist im Umgang mit giftigen Rückständen aus der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen. Das Urteil zum Ölpellet-Verfahren, in dem ein Angeklagter im vergangenen Jahr zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist, liegt nun schriftlich vor.

Es ist ein Text, der sich wie ein Krimi liest. Ausgangspunkt ist die BP-Raffinerie im Stadtteil Scholven mit dem benachbarten Kohlekraftwerk der früheren Eon-Tochter Uniper. Bei der Kraftstoffherstellung fallen täglich tonnenweise Ölpellets an – ein mit krebserregenden Schwermetallen belastetes Gemisch aus Ruß und Schweröl. Diese Pellets gilt es zu entsorgen, „da es andernfalls zu einem vollständigen Produktionsstillstand in der Raffinerie mit massiven wirtschaftlichen Folgen käme“, wie es im Urteilstext heißt.

Ölpellets werden noch heute verbrannt

Seit geraumer Zeit werden die Ölpellets im Kohlekraftwerk Scholven verbrannt – auch heute noch. Doch vor einigen Jahren, nach der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, sank bei Eon die Nachfrage. Auf dem Werksgelände stapelten sich die Pellet-Bestände. BP gründete eine „Taskforce“ mit hochrangigen Mitarbeitern, um – wie es im Urteil heißt – die Kosten für eine Entsorgung in einer Sondermüll-Verbrennungsanlage möglichst zu vermeiden oder zu reduzieren, „um die Unternehmensgewinne nicht zu schmälern“.

So kamen Firmen ins Spiel, die BP die Ölpellets abnahmen. Am Ende landeten rund 30.000 Tonnen der Pellets illegal in einer Tongrube bei Schermbeck und Hünxe und sind nun eine Gefahr für das Grundwasser. Der Angeklagte im Ölpellet-Fall, mit dem BP zusammengearbeitet hat, ist wegen fahrlässigen unerlaubten Umgangs mit Abfällen verurteilt worden.

BP-Taskforce hat Schlüsselrolle

Um die Raffinerierückstände besser loszuwerden, sei von der Taskforce der BP-Tochter Ruhr Oel zwischenzeitlich versucht worden, die Pellets „nicht länger als gefährlichen Abfall, sondern als ungefährlichen Industrieruß“ zu deklarieren, heißt es in dem Urteil der Kammer mit dem Vorsitzenden Richter Markus van den Hövel. Absicht des Unternehmens sei es gewesen, „geringere Preise an die Abnehmer der Ölpellets zahlen zu müssen“. Um dieses Ziel zu erreichen, habe das Unternehmen Kontakt mit der Bezirksregierung Münster aufgenommen.

Augenscheinlich mit Erfolg: Im Urteil ist davon die Rede, wie eine Mitarbeiterin der Bezirksregierung Münster „überraschend offen ihren unkritischen Umgang“ mit den Angaben von Ruhr Oel bekundet habe, „die letztlich nur ,abgenickt‘ wurden“. Von „umfassendem Versagen“ der Kontrollbehörden schreiben die Richter.

Brände durch Selbstentzündung der Ölpellets

Denn die Pellets sind ein heikles Material. Es kam sogar zu Bränden durch Selbstentzündung. Schon Ende 2009 wurde durch ein Feuer in einem Lager eine Brücke an der Autobahn 59 bei Duisburg beschädigt. „Äußerlich gleichen die Pellets kleinen Kugeln mit einer Körnung und Farbe, die Kaviar ähnelt“, so das Gericht, aber klar sei: „Bei den Ölpellets handelt es sich um einen Abfall.“ Und: „Die problematischen Eigenschaften der Ölpellets wären für alle Beteiligten ohne größeren Aufwand erkennbar gewesen.“

Auch von einer „Umdeklarierung“ der Pellets „allein zur Profitsteigerung“ ist im Urteil die Rede: Auf Seiten der Ruhr Oel sei bekannt gewesen, „dass für eine ordnungsgemäße Entsorgung Kosten in Höhe von mindestens 500 Euro“ pro Tonne anfallen würden. „Gleichwohl wurden die Pellets völlig bedenkenlos an den Angeklagten für nur etwa 20 Prozent des eigentlichen Preises für eine korrekte Entsorgung weitergereicht.“

SPD-Abgeordneter Hübner zeigt sich empört

Der SPD-Landtagsabgeordnete Michael Hübner kommentiert das Urteil mit den Worten: „Es ist empörend, wie lasch die Kontrollbehörde vorgegangen ist.“ Hübner fordert, die Verbrennung der Ölpellets in Gelsenkirchen auszusetzen. „Es muss Konsequenzen aus diesem Urteil geben. Den Menschen, die in der Nachbarschaft des Kohlekraftwerks leben, ist nicht zuzumuten, dass dort Sondermüll verbrannt wird.“

Die Bezirksregierung Münster betonte auf Anfrage, sie habe „die Absatz- und Entsorgungswege der Ölpellets kritisch überprüft“. Das Ergebnis laute: Ölpellets, die zielgerichtet hergestellt werden und die genehmigten Ersatzbrennstoff- Kriterien etwa zum Schwefel- oder Schwermetallgehalte erfüllen, dürfen im Kraftwerk Scholven eingesetzt werden. Die Anlage sei mit entsprechender Filtertechnik ausgestattet.

Ratsappell bislang ohne Folgen

Zudem habe die Bezirksregierung Münster nach Bekanntwerden der illegalen Abfallentsorgung Konsequenzen gezogen. So lasse sich die Behörde nun von BP monatliche Übersichten über den Verbleib der Ölpellets vorlegen. Für den Nachweis der Einhaltung der Grenzwerte für Schwermetalle sei einmal im Jahr ein Gutachten vorzulegen.

Schon im Oktober hat der Rat der Stadt Gelsenkirchen BP und Uniper dazu aufgefordert, ihre Praxis im Umgang mit den Ölpellets zu ändern und die Verbrennung in Scholven vorerst zu stoppen. Anlässlich des Ratsbeschlusses überprüfen das NRW-Umweltministerium und die Bezirksregierung derzeit erneut die Rechts- und Genehmigungslage zum Einsatz der Ölpellets. Das Ergebnis soll nach Angaben der Behörde „in Kürze“ vorliegen.

Aral-Mutterkonzern BP verwundert über Urteil

BP zeigte sich verwundert über das Urteil des Landgerichts Bochum. „Die in Bezug auf unser Haus getroffenen Feststellungen sind überwiegend unzutreffend oder werden aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt“, teilte der Konzern mit. „Mit Unverständnis und Kopfschütteln haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Verurteilte nur wegen Fahrlässigkeit verurteilt worden ist. Nach unserem Kenntnisstand hat aber auch die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt.“

Das Unternehmen fügte hinzu: „Den in dem Urteil zum Ausdruck kommenden Vorwurf einer möglicherweise rechtswidrigen ,Umdeklarierung’ durch unser Haus weisen wir auf das Schärfste zurück.“