Essen/Herne. Raffinerie-Rückstände von Shell sind jahrelang in Steag-Kraftwerken verbrannt worden. Grüne sprechen von Skandal. Umweltministerium ermittelt.

Raffinerie-Rückstände des Mineralölkonzerns Shell sind jahrelang in nordrhein-westfälischen Kohlekraftwerken verbrannt worden. Betroffen sind unter anderem die Steag-Standorte in Herne und Lünen, wie der kommunale Energiekonzern auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte. Die Vorgänge sollen nun nach Angaben des NRW-Umweltministeriums auch mit Blick auf strafrechtliche Gesichtspunkte überprüft werden.

„Diese Prüfungen dauern noch an“, erklärte das von Ursula Heinen-Esser (CDU) geführte Ministerium. Aus einem Bericht des Ministeriums geht hervor, dass die in den Kraftwerken verbrannten Raffinerie-Rückstände des Shell-Standorts Wesseling bei Köln mittlerweile als „gefährlicher Abfall“ eingestuft worden sind. Shell habe die Rückstände aber in der Vergangenheit als „Petrolkoks“ klassifiziert.

Zahlreiche Standorte in NRW betroffen

Lieferungen habe es „nachweislich an mindestens vier Kraftwerke“ in NRW gegeben, dort seien die Raffinerie-Rückstände „als Regelbrennstoff“ eingesetzt worden, heißt es im Ministeriumsbericht. Auch mindestens zwei Ziegelwerke und eine Kokerei seien versorgt worden. Standorte werden in dem Bericht nicht genannt. Das Ministerium ist eigenen Angaben zufolge im Zusammenhang mit der Beseitigung von Ölpellets aus der Ruhr-Oel-Raffinerie des Aral-Mutterkonzerns BP in Gelsenkirchen-Scholven auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Daher habe es Nachforschungen zu den Rückständen aus der Schwerölvergasung von Shell im Rheinland gegeben.

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Bei „intensiven Recherchen“ haben sich nach Angaben des Ministeriums Hinweise darauf ergeben, dass die Raffinerie-Rückstände nicht als „Petrolkoks“ einzustufen sind. Gründe seien ein hoher Wassergehalt und eine Belastung mit Schwermetallen. So weise der Raffinerie-Rückstand von Shell im Vergleich zu „handelsüblichem Petrolkoks“ nach bisherigem Kenntnisstand höhere Gehalte von Nickel, Vanadium und Schwefel auf.

Steag verweist auf effektive Rauchgas-Reinigungsanlagen

Shell betonte, der „abfiltrierte Ruß“ aus der Raffinerie sei wegen seines Brennwertes als „Petrolkoks“ klassifiziert und mit behördlichen Genehmigungen genutzt worden. Der Essener Kraftwerksbetreiber Steag verwies auf Genehmigungen durch die Bezirksregierung Arnsberg, denen zufolge bis zu 20 Prozent Petrolkoks bezogen auf den Einsatz von Steinkohle als Hauptbrennstoff verwendet werden durften. Diese Menge sei „bei weitem nicht ausgeschöpft“ worden. In Herne sei der Stoff aus der Shell-Raffinerie im Jahr 2017 letztmalig eingesetzt worden, berichtete die Steag. Im Betrieb gebe es effektive Rauchgas-Reinigungsanlagen.

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Wie viel Material über Jahre als „Petrolkoks“ verbrannt worden sei, wollte Shell auf Anfrage nicht mitteilen. Shell verwies auf „Wettbewerbsgründe“. Abnehmer sei die Gladbecker Firma Mineralplus gewesen – eine Steag-Tochter. Auf der Website des Unternehmens steht: „Wir sind spezialisiert auf die Entsorgung von industriellen Abfällen und auf die Produktion von Baustoffen aus Abfällen.“

Grünen-Abgeordneter Rüße spricht von Skandal

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Norwich Rüße bezeichnet die Lieferungen von Raffinerie-Rückständen an Kraftwerke als inakzeptabel. „Für uns ist die Verbrennung dieser Abfälle in klassischen Kraftwerken ein Skandal, weil schon das Umdeklarieren als Brennstoff rechtlich mehr als zweifelhaft ist“, sagte Rüße unserer Redaktion.

Der BP-Standort in Gelsenkirchen: Ölpellets aus der Raffinerie werden im benachbarten Uniper-Kraftwerk verbrannt.
Der BP-Standort in Gelsenkirchen: Ölpellets aus der Raffinerie werden im benachbarten Uniper-Kraftwerk verbrannt. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Rüße hob hervor, dass die umstrittene Verbrennung von Ölpellets aus der Gelsenkirchener BP-Raffinerie im benachbarten Uniper-Kraftwerk kein Einzelfall sei. „Diese Praktiken erhöhen ohne Not im Umfeld der Kraftwerke die Belastung mit möglicherweise gesundheitsgefährdenden Luftschadstoffen“, kritisierte er. „Uns ärgert das Verhalten von Shell kolossal.“ Erst Monate, nachdem die Vorgänge bei BP öffentlich geworden seien, habe sich Shell zu Wort gemeldet. „Transparenz und Bürgernähe sehen anders aus.“

Auch Mitarbeiter der Wanne-Herner Eisenbahn (WHE) äußerten sich besorgt. Die WHE schlug jahrelang Rückstände aus der Schwerölvergasung um, der zur Verbrennung ins Steag-Kraftwerk in Herne-Baukau transportiert wurde. Beschäftigte berichteten, der Brennstoff habe eine schmierige Konsistenz gehabt und übel nach Ammoniak gestunken. „Wir hatten zeitweise täglich damit zu tun. Das Atmen fiel uns schwer“, sagte WHE-Mitarbeiter Oguz Ceylan.

Shell hält Details unter Verschluss

Shell hat sich eigenen Angaben zufolge mit der Bezirksregierung Köln darauf geeinigt, den Raffinerie-Ruß „vorsorglich bis zu einer endgültigen Klärung einer Einstufung“ nach den strengen Regeln für gefährlichen Abfall zu entsorgen. Das Material werde nun auf Deponien gebracht.

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Offene Fragen bleiben. Das NRW-Umweltministerium erklärte, die Informationen dazu, in welchen Anlagen Rückstände aus der Shell-Raffinerie eingesetzt wurden, seien vom Unternehmen als „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ gekennzeichnet worden. Es werde nun geprüft, „ob in diesem Fall das Interesse der Allgemeinheit an einer Bekanntgabe der Informationen überwiegt“, so das Ministerium. Inwiefern die Genehmigungspraxis der Behörden korrekt gewesen und ob eine strafrechtliche Überprüfung der Vorgänge geboten sei, werde noch ermittelt.