Essen. Thyssenkrupp im Visier: Finanzstarke Investoren wetten auf fallende Aktienkurse des Konzerns. Aktionärsschützer und der DGB zeigen sich besorgt.

Thyssenkrupp ist ins Visier von Spekulanten geraten, die auf fallende Aktienkurse setzen. Das lässt sich dem Bundesanzeiger entnehmen, in dem aktuell sogenannte Leerverkäufe mit einem beträchtlichen Volumen verzeichnet sind. In Bankenkreisen ist zu hören, dass sich momentan rund zehn Prozent der Thyssenkrupp-Aktien in Händen entsprechender Spekulanten befinden. „Es ist auffällig, dass sich bei Thyssenkrupp in den vergangenen Wochen die Leerverkäufe häufen“, sagte Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) unserer Redaktion. „An der Anzahl und dem Volumen der Leerverkäufe lässt sich ablesen, wie stark das Unternehmen unter Druck ist.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert Konsequenzen.

Mit Leerverkäufen wird auf sinkende Börsenkurse eines Unternehmens spekuliert. Dafür leihen sich Händler zunächst ein Aktienpaket. Geht ihre Wette auf, können sie die Anteilsscheine später bei fallenden Kursen günstiger erwerben und dem Verleiher zurückgeben. Die Differenz bleibt als Gewinn in der Kasse.

Zu den Finanzmarktakteuren, die auf einen Absturz der Thyssenkrupp-Aktie spekulieren, gehören internationale Investmentfirmen wie BlackRock, Capital Fund Management, PDT Partners und AQR Capital Management. Diese Namen lassen sich im Bundesanzeiger nachlesen.

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Der Deutsche Gewerkschaftsbund blickt mit Sorge auf das Gebaren der Investoren. „Leerverkäufe sind höchst problematisch“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell unserer Redaktion. „Sie haben keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, sondern dienen einzig und allein den Spekulanten, die auf fallende Kurse setzen.“

Auch Aktionärsschützer Hechtfischer sieht Leerverkäufe kritisch. „Unternehmenskrisen können sich durch diese Art der Spekulation erheblich verschärfen“, erklärte der DSW-Geschäftsführer. „Wenn ein Akteur ein Interesse an fallenden Kursen hat, liegt es nahe, auf einen Absturz von Aktien hinzuwirken, möglicherweise durch gezieltes Schlechtreden oder das Schüren von Zweifeln am Unternehmen. Dann wirken Leerverkäufe wie Brandbeschleuniger.“

Hechtfischer regte eine stärkere Regulierung von Leerverkäufen an. So könnten Aktien, die über ein bestimmtes Maß hinaus abstürzen, automatisch für eine gewisse Zeit vom Handel ausgesetzt werden. „Es wäre zu erwägen, solche Regeln auch in Deutschland zu etablieren“, sagte der Anlegerschützer.

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Ähnlich äußerte sich DGB-Vorstandsmitglied Körzell. Bereits in der großen Finanzmarktkrise vor zehn Jahren habe sich gezeigt, „wie toxisch solche Geschäfte sein können“, gibt Körzell zu bedenken. „Leerverkäufe waren der Brandbeschleuniger der damaligen Krise und wie Öl im weltweiten Flächenbrand. Nicht umsonst waren solche Geschäfte zeitweise untersagt.“ Die Entwicklung rund um Thyssenkrupp zeige einmal mehr, dass die Kapital- und Finanzmärkte „anfällig gegenüber Manipulationen seien“. Der DGB forderte die Finanzaufsicht Bafin dazu auf, sie solle „hier schnellstmöglich handeln und solchen Geschäften ein für alle Mal einen Riegel vorschieben”.

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Die Finanzaufsicht Bafin verwies auf Anfrage unserer Redaktion darauf, dass Meldungen zu Leerverkäufen laufend überwacht werden. Ein Schwellenwert von 0,5 Prozent werde bei Thyssenkrupp aktuell in sieben Fällen überschritten. Am 21. November, dem Tag der Bilanzpressekonferenz, ist der Kurs von Thyssenkrupp regelrecht abgestürzt. Dazu erklärte die Bafin: „Wir haben aktuell keine Anhaltspunkte für Insiderhandel oder Marktmanipulation.“ Am Tag der Bilanzpressekonferenz habe es zwar einen erheblichen Kursverlust von 13,6 Prozent gegeben, dieser dürfte aber auf die bei diesem Anlass „verbreiteten, wenig optimistischen Informationen zurückzuführen sein, die negativ vom Markt aufgenommen wurden“, erklärte die Bafin.

Nach Einschätzung des Deutsches Aktieninstituts (DAI) können Leerverkäufe generell „zur Steigerung der Markteffizienz“ beitragen. Problematisch sei indes, wenn ein Leerverkäufer gezielt negative Gerüchte oder Falschinformationen streue, um von Auswirkungen auf den Kurs zu profitieren. „Handlungsbedarf besteht in solchen Fällen in Bezug auf die Verfolgung und Unterbindung der Marktmanipulation durch Gerüchte oder Falschinformationen“, betont das Institut. Daneben könne die Finanzaufsicht Bafin bereits jetzt Leerverkäufe unter bestimmten Bedingungen verbieten, um die Preisbildung an den Märkten zu beruhigen.