Berlin. Auf Millionen von gesetzlich Krankenversicherten kommen im nächsten Jahr zusätzliche Kosten zu. Der Spitzenverband der Krankenkassen rechnet damit, dass erstmals in großem Maße Zusatzbeiträge erhoben werden müssen. Die Opposition wirft der Bundesregierung Tatenlosigkeit vor.
Viele der rund 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten müssen im nächsten Jahr offenbar mit Mehrkosten rechnen. Wegen der Finanzlage der Kassen seien in großem Maßstab Zusatzbeiträge zu erwarten, sagte die Vorsitzende des Spitzenverbandes der Krankenkassen, Doris Pfeiffer, der «Berliner Zeitung». Die Opposition forderte die Bundesregierung auf, den Ausgabenanstieg im Gesundheitssystem zu bremsen.
Auf die gesetzliche Krankenversicherung kommt nach der Prognose des Schätzerkreises im Gesundheitswesen nächstes Jahr ein Defizit von fast 7,5 Milliarden Euro zu. Der Bund hat Steuerzuschüsse in Höhe von 3,9 Milliarden Euro angekündigt, um die krisenbedingten Mindereinnahmen und damit zumindest etwa die Häfte des Gesamtdefizits auszugleichen. Das verbleibende Defizit von etwa 3,6 Milliarden Euro würde demnach rein rechnerisch einen Zusatzbetrag von sechs Euro monatlich für Versicherte ergeben.
Noch unklar, wie viele Kassen betroffen sind
Pfeiffer sagte, trotz der vom Bund zugesagten Steuerzuschüsse sei die Finanzlage der Kassen kritisch. Daher gehe sie davon aus, «dass wir im nächsten Jahr im großen Maße Zusatzbeiträge bekommen werden», sagte sie. Die Sprecherin des Spitzenverbandes, Ann Marini, sagte der Nachrichtenagentur AFP, es gebe noch «keine konkreten Zahlen», wie viele Kassen betroffen sein könnten.
Auch die Bundesregierung erwartet, dass «einzelne Kassen» im nächsten Jahr Zusatzbeiträge erheben müssen. Dies sei Folge der «bestehenden Gesetzeslage», sagte der parlamentarische Gesundheits-Staatssekretär Daniel Bahr (FDP) der Berliner Zeitung «B.Z.». Danach können die Kassen Zusatzbeiträge erheben, wenn sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Den Zusatzbeitrag müssen Versicherte zusätzlich zum Einheitsbeitrag von derzeit 14,9 Prozent allein zahlen. Er ist auf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens begrenzt, kann aber bis zu einer Summe von acht Euro pauschal erhoben werden.
Vorwürfe an Gesundheitsminister Rösler
Pfeiffer warf der schwarz-gelben Bundesregierung und Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vor, in der Gesundheitspolitik die falschen Schwerpunkte zu setzen. Zwar sei es richtig, sich Gedanken über das Beitragssystem zu machen. Kurzfristig müsse es aber vor allem darum gehen, den Ausgabenanstieg zu bremsen. «Es kann doch nicht sein, dass die Bürger, die um ihren Arbeitsplatz bangen, immer öfter zur Kasse gebeten werden, die Einnahmen von Ärzten, Krankenhäusern und der Pharmaindustrie aber ungebremst weiter steigen». Pfeiffer forderte mehr Wettbewerb im Apothekensektor und eine Preisregulierung für neuartige, fast immer sehr teure Arzneimittel.
Kritik an der schwarz-gelben Gesundheitspolitik kam erneut von SPD und Linkspartei. Statt darüber nachzudenken, «wie mehr Geld vom Bürger besorgt wird», hätte sich die Bundesregierung zuerst auf Sparvorschläge für das Gesundheitssystem konzentrieren müssen, sagte der Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, im Nachrichtensender n-tv. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion Martina Bunge, kritisierte, während Millionen von Krankenversicherten Zusatzbeiträge drohten, schaue die Bundesregierung «tatenlos zu».
Nach Ansicht der FDP ist es hingegen Aufgabe der Kassen, nach weiteren Einsparpotenzialen zu suchen. Diese sollten jetzt «keine Kostendämpfungs-Diskussion lostreten», sagte die gesundheitspolitische Fraktionssprecherin Ulrike Flach der «Welt». (afp)