Essen. Die Gesundheit wird im alternden Deutschland zwangsläufig teurer. Doch die Politik weigert sich zu sagen, wer das zahlen soll.
Für ihre Gesundheit werden die Deutschen in den kommenden Jahrzehnten immer mehr ausgeben müssen. Weil sie immer älter und Ältere häufiger krank werden. Den meisten ist das längst bewusst, der Politik auch. Jede neue Regierung verspricht eine große, grundlegende Reform. Und traut sich dann doch nicht. Die schwarz-gelbe Koalition hat bereits wenige Wochen nach Amtsantritt ihren im Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Radikalumbau erst einmal verschoben. Er soll erst nach 2013 kommen, bis dahin soll es nur einige Korrekturen am bestehenden System geben.
Das Verliererthema
Warum nur tut sich jede Regierung, gleich welcher Coleur, so schwer mit dem Gesundheitswesen? Es muss mehr dahinter stecken als das übliche parteitaktische Zaudern. Vielleicht hat die Politik einfach erkannt, dass Gesundheit ein Verliererthema ist. Jedes Versprechen, das System „zukunftsfest” zu machen, klingt wie eine Drohung. Denn was das in einer alternden Gesellschaft bedeutet, sieht jeder bei der Rente: Sie wurde „zukunftsfest” gemacht durch eine historische Rentenkürzung mit diversen Faktoren und der Rente mit 67.
Die Demografie-Falle
Heute ist jeder fünfte Bürger älter als 65, laut Prognose wird in 50 Jahren jeder Dritte im Rentenalter sein. Das hat Folgen: Die Ausgaben der Krankenkassen verdoppeln sich für Versicherte zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf rund 4000 Euro im Jahr. Bei einer langfristig angelegten Reform muss es darum gehen, genügend Geld zu besorgen, es also jemandem wegzunehmen.
Im Gesundheitswesen ist eine Kürzung der Leistungen kaum möglich. In Deutschland gilt der Grundsatz, dass jeder unabhängig von seinem Einkommen die medizinisch notwendige Behandlung erhält. Das stellt keine Partei in Frage. Die Ausgaben für Honorare und Arzneien kann man deckeln, doch jede Rationierung hat ihre Grenzen.
Die Kosten steigen unweigerlich und sie werden unsere Wirtschaftskraft schwächen. Experten rechnen damit, dass die Gesundheitsausgaben weit stärker wachsen als die Wirtschaft. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt von heute rund 11 Prozent wird sich bis 2070 verdoppeln (optimistische Variante) bis vervierfachen (pessimistische Variante). Die Politik wird klären müssen: Wer soll wieviel mehr zahlen, welche Kostenverteilung schadet der Wirtschaft am wenigsten?
Die Schadensbegrenzung
Die meisten Ökonomen wollen die Arbeitgeber entlasten, weil die Lohnkosten ihrer Wettbewerbsfähigkeit schaden. Gerade eine derart auf den Export fixierte Wirtschaft wie die deutsche muss darauf achten, dass ihre Produkte nicht zu teuer werden.
Das hieße jedoch, dass die Bürger allein die steigenden Kosten stemmen müssten. Das würde ihre Kaufkraft und damit den Konsum schwächen. Wäre das weniger schlimm? Die Stärkung der Binnenkonjunktur galt bis in die 90er als sozialistischer Irrweg, heute gibt es keine flammenderen Nachfrage-Stimulierer als die Liberalen. Man wird sich entscheiden müssen, was Vorrang hat: die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei den Lohnnebenkosten oder die Binnenkonjunktur? Oder ist beides gleich wichtig?
Bisher tragen Arbeitgeber etwas weniger als die Hälfte der Beiträge, Arbeitnehmer und Rentner etwas mehr. Schon in den vergangenen Jahren sind die Kosten heftig gestiegen, obwohl der demografische Wandel noch gar nicht richtig begonnen hat. Ärztehonorare, Arzneikosten und Fortschritt waren dafür verantwortlich. Gestopft haben die Löcher die Versicherten – über eine Sonderprämie von 0,9 Prozent ihres Einkommens sowie über die Praxisgebühr und Arzneizuzahlungen.
Die unbemerkte Zäsur
FDP und Union wollen den Arbeitgeberbeitrag nun ganz einfrieren. Diese Zäsur wird bisher kaum wahrgenommen. Viel mehr interessiert das Ringen um die Kopfprämie. Dass jeder unabhängig vom Einkommen gleich viel zahlen soll, ist ein dankbares Streitthema. Dabei wird nur noch gestritten, w i e das Geld kassiert wird. D a s s es allein von den Versicherten kommen soll, wird vorausgesetzt, als wäre das immer so gewesen.
Wenn es aber so ist, dass allein die Bürger zahlen sollen, ist es wichtig zu schauen, welche Schichten wie belastet werden, um die ökonomischen Folgen abschätzen zu können. Bereits der Gesundheitsfonds sieht kleine Kopfprämien vor. Viele Kassen werden bald „Zusatzbeiträge” verlangen von acht, zehn oder 20 Euro. Sie ließen sich ausbauen zur großen Pauschale, wie sie die FDP will. Vieles spricht dafür, dass Union und FDP einen solche schrittweise Umstellung anstreben.
Pauschalen belasten besonders Menschen mit geringen Einkünften. Weil sie fast jeden Euro sofort wieder ausgeben, werden ihre Zusatzbeiträge in der Supermarktkasse fehlen. Genau das will die FDP verhindern. Wenn die Pauschale am Ende die Prozentbeiträge ganz abgelöst hat, sollen Geringverdiener Zuschüsse erhalten, damit sie sich die Prämie leisten können.
Die Kinder sollen zahlen
Ökonomen gehen von einer Pauschale um 150 Euro aus. Damit würde es für Durchschnittsverdiener und erst recht für Gutverdiener günstiger. Doch wenn viele weniger zahlen und Geringverdiener nicht mehr – woher kommt dann das fehlende Geld? Aus Steuern, lautet die Antwort – 15 bis 20 Milliarden werden für den Sozialausgleich benötigt. Dieses Geld müsste vor allem die Mittelschicht über höhere Steuern aufbringen.
Doch FDP und Union wollen bekanntlich die Steuern senken. Dann müsste nach der Steuerreform auch die Gesundheitsreform über neue Schulden finanziert werden. Damit würde das Problem einer kinderarmen Gesellschaft ausgerechnet ihren wenigen Kindern aufgehalst.