Essen. . Der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Thyssenkrupp: Gabriel sieht in Investoren wie Elliott eine Gefahr für die Demokratie.

Wenn Sigmar Gabriel über Thyssenkrupp spricht, kann er sich in Rage reden. Ein „böses Spiel“ laufe beim Essener Industriekonzern – „Klassenkampf von oben“. Gabriel, der SPD-Chef, Wirtschaftsminister und Außenminister war, greift den Thyssenkrupp-Aktionär Elliott frontal an. „Finanzinvestoren wie Elliott sind Gegner unserer Wirtschafts- und Sozialordnung“, sagt Gabriel im Gespräch mit Ulf Meinke. Er warnt, der Fall Thyssenkrupp könnte Populisten Zulauf bescheren.

Herr Gabriel, bei Thyssenkrupp sind Vorstandschef Heinrich Hiesinger und der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner zurückgetreten – auch unter dem Druck von Finanzinvestoren. Sind Deutschlands Unternehmen aggressiven Aktionären schutzlos ausgeliefert?

Gabriel: Sie sind nicht schutzlos, aber angreifbar. Um es klar zu sagen: Finanzinvestoren wie Elliott sind Gegner unserer Wirtschafts- und Sozialordnung. Deshalb sind sie Gegner unserer Verfassung. Artikel 14 Absatz 2 unseres Grundgesetzes bindet das Eigentum an das Gemeinwohl. Die deutsche Wirtschaft ist stark geworden, nicht trotz, sondern wegen dieser Idee einer sozialen Marktwirtschaft. Unser Wirtschaftsmodell steht für langfristigen und dauerhaften Erfolg und nicht für schnelle Supergewinne. Wohlstand für Millionen und nicht Milliarden für wenige ist unsere Idee. Unsere Wirtschaft hat diesen Grundsatz mit Leben gefüllt hat. Das gilt vor allem für die vielen Mittelständler, aber eben auch für große Konzerne wie Thyssenkrupp. Finanzinvestoren wie Elliott sind Gegner dieses Modells.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Thyssenkrupp zerschlagen wird?

Gabriel: Die Gefahr ist da und konkret, das zeigen die Sprüche der Elliotts. Umso wichtiger ist es, jetzt zu handeln. Im konkreten Fall ist es zunächst einmal die wichtigste Aufgabe der Großaktionäre Krupp-Stiftung und Cevian, gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern und der IG Metall ein Zukunftskonzept für Thyssenkrupp zu entwickeln. Dieses Dreieck muss zusammenkommen. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Markus Grolms hat dafür sehr gute Vorschläge. Es gibt die Chance, dass sich Cevian anders verhält als Elliott und als Investor seiner Verantwortung gerecht wird.

Auch Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather wird für den Rückzug von Hiesinger und Lehner verantwortlich gemacht. Sehen Sie das unternehmerische Erbe der Konzernlegende Berthold Beitz bedroht?

Gabriel: Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Stiftung ihrer Verantwortung bewusst ist und nicht nur an ihre Dividende denkt. Sie ist entstanden aus der Tradition großer sozialer Verantwortung und wird sicher danach handeln. Mag sein, dass es in der Vergangenheit auch Verwerfungen gegeben hat. Aber Schuldzuweisungen helfen jetzt nicht weiter – weder dem Unternehmen noch den Arbeitnehmern oder dem Ruhrgebiet. Ich kann nur raten, in der aktuellen Situation, in der das Unternehmen führungslos ist und einige Leute ein böses Spiel treiben wollen, nicht zurückzublicken. Für Vergangenheitsbewältigung ist jetzt keine Zeit.

Der Finanzinvestor Elliott hat am freien Markt Aktien von Thyssenkrupp gekauft. Es dürfte schwer sein, Elliott aus dem Unternehmen zu drängen.

Gabriel: Aber isolieren kann man Elliott im Aufsichtsrat – und der Heuschrecke den Geschmack an Thyssenkrupp verderben. Wer von außen in den deutschen oder europäischen Wirtschaftsraum will, muss sich an unsere Regeln halten. Wo das Gemeinwohl in Gefahr ist, hat der Staat das Recht und sogar die Pflicht, zu intervenieren. Es kann doch nicht sein, dass derzeit ausländische Investoren von den inländischen Regeln in der Praxis weitestgehend befreit sind. Das gilt für Finanzakteure ebenso wie für Online-Händler oder Importeure, die sich in ihren Ländern nicht an Arbeits-, Umwelt- und Klimastandards halten. So kann es nicht weitergehen.

Sie fordern, Finanzinvestoren wie Elliott durch strengere Regeln zu zähmen?

Gabriel: Der große Erfolg der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zähmung des Kapitalismus auf nationaler Ebene. Die große Aufgabe in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist es, das Gleiche auf internationaler Ebene zu tun. Und in Europa muss es anfangen. Wir leben in einem Gezeitenwechsel. Wenn wir nichts tun, verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in unsere Gesellschaftsordnung. Es muss uns gelingen, den Markt der Finanzinvestoren so zu regulieren, dass sich die Akteure an unsere Wirtschafts- und Sozialordnung halten. Wie es gehen könnte, hat uns der Europäische Gerichtshof unlängst mit einem Urteil zum Datenschutz bewiesen. Das sogenannte Marktortprinzip zwingt alle ausländischen Datennutzer wie Google und Amazon zur Einhaltung europäischer Datenschutzstandards. Die Durchsetzung europäischer Regeln nicht nur für Inländer sondern für alle, die in der EU Geschäfte betreiben, ist dringend erforderlich. Das zeigt auch der Fall Thyssenkrupp.

Wie könnte eine strengere Regulierung von Finanzinvestoren aussehen?

Gabriel: Wir haben im Außenwirtschaftsrecht die Möglichkeit, ausländische Investitionen oder Kapitalbeteiligungen zu unterbinden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist. Das ist zurzeit sehr eng geregelt. Aber das kann man auch erweitern. Ein solches Vorgehen könnte ich mir auch bei aggressiven Finanzinvestoren vorstellen. Heuschreckenüberfälle sind eine Plage. Sie fressen schnell, ziehen weiter und hinterlassen Wüsten. Das darf und kann man bekämpfen.

Sollte sich die Politik wirklich so direkt bei Unternehmen einmischen?

Gabriel: Zuzuschauen, wie die soziale Marktwirtschaft angegriffen wird, wäre fahrlässig und verantwortungslos. Wenn die Beschäftigten von Unternehmen wie Thyssenkrupp sehen, dass die soziale Marktwirtschaft eine hohle Phrase ist, wenn es ernst wird, dann laufen auch sie der Demokratie davon. Investoren, die allein mit dem Ziel bei Unternehmen einsteigen, um ohne Rücksicht auf die Menschen Kasse zu machen, sind eine Gefahr für die Demokratie. Das ist Klassenkampf von oben. Meine große Sorge ist: Wenn wir nichts dagegen tun, ernten wir einen Klassenkampf von unten – und zwar von rechts, durch rücksichtslose und rüde Populisten. Auch Donald Trump war in den einstigen Industriehochburgen in den USA besonders erfolgreich.

Ist es nicht ein gefährliches Spiel, Finanzinvestoren den Einstieg bei Unternehmen zu erschweren und damit auch die deutsche Wirtschaft abzuschotten?

Gabriel: Niemand will die deutsche Wirtschaft abschotten gegen Investitionen. Aber wenn das Ziel das Skelettieren ist, dann muss man dem nicht tatenlos zusehen. Ich vermute, 99 Prozent der Investoren handeln verantwortungsvoll. Aber das verbleibende Prozent richtet einen riesigen Schaden an. Wenn Hedgefonds wie Elliott unsere Wirtschafts- und Sozialordnung auf den Kopf stellen wollen, müssen wir als Politik Einfluss nehmen. Das Verrückte ist: Solche Investoren gefährden ja auch ihr eigenes Geschäftsmodell. Denn sie sind ja auch auf offene Märkte und die Freiheit des Kapital- und Warenverkehrs angewiesen. Es ist abstrus, dass deutsche Unternehmen absehbar durch neue US-Zölle und zunehmenden Protektionismus unter Druck geraten, während aggressive Finanzinvestoren in Europa kaum Einschränkungen befürchten müssen. Wenn wir als Politik jetzt nicht handeln, überlassen wir den Feinden der Demokratie das Feld.