Brüssel. . Exklusives Doppelinterview mit Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger und Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran über ihre Pläne nach der Stahlfusion.

Die Dienstwagen können diesmal stehen bleiben. Den Weg durch den Brüsseler Leopoldpark zu einem nahegelegenen Hotel gehen Heinrich Hiesinger und Natarajan Chandrasekaran zu Fuß. Die Chefs von Thyssenkrupp und Tata wirken entspannt. Gerade haben sie die Verträge für ihre Stahlfusion besiegelt. Im Interview mit Ulf Meinke sprechen die Konzernlenker über ihr historisches Bündnis, den Brexit, Trumps Zölle und die Zukunft der Werke im Ruhrgebiet.

Viele Fusionen scheitern, weil sie zu komplex sind oder die Unternehmen nicht zueinander passen. Warum sollte das bei Thyssenkrupp Tata Steel anders sein?

Chandrasekaran: Weil unser neues Unternehmen eine starke industrielle Logik hat. Wir profitieren beide in gleicher Weise erheblich von der Bündelung unserer europäischen Stahlaktivitäten. Das schafft Mehrwert für unsere Unternehmen – für die beiden Stahlbereiche und für Tata und Thyssenkrupp. Wir haben uns die Zeit genommen, Vertrauen aufzubauen, kritische Punkte anzusprechen und Lösungen zu finden, die Bestand haben werden.

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Hand aufs Herz, Herr Hiesinger. Waren Sie in den vergangenen zwei Jahren immer davon überzeugt, dass es die Unterschriften zum Fusionsvertrag geben wird?

Hiesinger: Ja, das war ich. Es gab aber auch unvorhersehbare Veränderungen wie beispielsweise den Brexit, der uns Zeit gekostet hat. Aber uns hat immer die Sinnhaftigkeit dieses Zusammenschlusses angetrieben. Die ist heute genauso groß wie vor zwei Jahren.

Hatten Sie den harten Widerstand der Gewerkschaften erwartet?

Hiesinger: Uns ist bewusst gewesen, dass wir viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Was mich aber besonders freut: Nachdem wir anfangs mit einem klaren „Nein“ der Gewerkschaften konfrontiert waren, gibt es nun ein eindeutiges „Ja“. Wir wollten die Stahlfusion immer mit den Mitarbeitern gestalten, nicht gegen sie. Da ist es doch beeindruckend, dass am Ende mehr als 90 Prozent im Stahl dem Tarifvertrag zur Fusion zugestimmt haben.

Im britischen Port Talbot befindet sich eines der wichtigsten Stahlwerke des neuen Konzerns. Macht es Sie nervös, dass die Folgen des Brexit noch unklar sind?

Chandrasekaran: Nein. Ich gehe davon aus, dass es keine gravierenden Einschränkungen für unsere Märkte geben wird und die Handelsbeziehungen von Großbritannien nach Europa intakt bleiben.

Port Talbot wird oft als Sanierungsfall beschrieben. Trifft das Bild zu?

Chandrasekaran: Wir haben viele Veränderungen auf den Weg gebracht und sehen erste gute Ergebnisse. Wir sind da noch nicht fertig. Verbesserungen zu erzielen, ist eine andauernde Aufgabe.

Synergien im Wert von fünf Milliarden Euro erwartet

In einigen Jahren stehen ein Bochumer Thyssenkrupp-Werk und der Standort Duisburg-Hüttenheim auf dem Prüfstand. Die Schließung von Anlagen droht. Hat die Fusion auch harte Einschnitte zur Folge?

Hiesinger: Die Fusion ist erst einmal eine gute Nachricht für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben Garantien formuliert, die es in diesem Ausmaß zuvor noch nicht gegeben hat. Aber wir sind auch ehrlich: Mit Blick auf einige wenige Anlagen müssen wir schauen, wie es nach dem Jahr 2020 weitergeht. Insgesamt ist uns ein guter Ausgleich der Interessen gelungen. Wir stehen beim Stahl zu unserer Verantwortung.

Wie wichtig ist es, die Überkapazitäten in Europa zu senken?

Chandrasekaran: Entscheidend für uns sind die Synergien, die letztlich einen Wert von insgesamt fünf Milliarden Euro darstellen. Das stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit, und das gibt uns auch die Kraft, in Forschung und Entwicklung, also in die Zukunft des gemeinsamen Unternehmens zu investieren.Hiesinger: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Mit dem Joint Venture gehen wir gestärkt und mit einer viel besseren Position in den Wettbewerb.

Verglichen mit Arcelor-Mittal und Stahlkonzernen aus China oder Japan ist aber auch Thyssenkrupp Tata Steel noch klein. Sind weitere Fusionen in Europa denkbar?

Hiesinger: Schon aus Wettbewerbsgründen wäre ein weiterer Fusionsschritt innerhalb Europas ziemlich schwierig. Ich bin davon überzeugt: Das Joint Venture mit Tata gibt den Beschäftigten eine stabile Zukunft.

Konzernsitz von Duisburg nach Amsterdam

Dass die Konzernzentrale für den Stahl von Duisburg nach Amsterdam abwandert, hat für Wirbel gesorgt. Musste diese Entscheidung wirklich sein?

Hiesinger: Uns beiden ist wichtig, dass wir gleichberechtigte Partner in dieser Fusion sind. Wenn wir uns für Großbritannien als Firmensitz entschieden hätten, wäre dies als Gewinn für Tata gesehen worden. In gleicher Weise wäre eine Entscheidung für Duisburg gedeutet worden. Die geographische Mitte als Sitz – das ergibt viel Sinn, und wir bleiben ja auch mit dem Joint Venture sehr stark in NRW vertreten. Und um auch das nochmal ganz klar zu sagen: Es waren nicht steuerliche Gründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Wir zahlen unsere Steuern an unseren Standorten.

Bis zum Tata-Stahlwerk IJmuiden sind es von Amsterdam nur wenige Kilometer, Duisburg ist deutlich weiter weg.

Hiesinger: Viel wichtiger als die räumliche Entfernung ist doch die Art und Weise, wie miteinander gearbeitet wird…

Chandrasekaran: …wir sind gleichberechtigte Partner im Joint Venture. Das wird auch durch die Wahl des Unternehmenssitzes klar.

Ihre Planungen für den neuen Stahlkonzern sehen auch einen möglichen Börsengang vor. Warum darf Thyssenkrupp allein über den Zeitpunkt entscheiden?

Hiesinger: Ganz einfach: Das ist ein Teil des Ausgleichs, den wir vereinbart haben, um den unterschiedlichen Bewertungen der beiden Unternehmen gerecht zu werden. Das gibt uns als Thyssenkrupp einen wirtschaftlichen Vorteil, der erst einmal niemanden zusätzlich belastet – vor allem das neue Unternehmen nicht.

Chandrasekaran: Außerdem wollten wir jetzt Klarheit schaffen, damit das Joint Venture ohne offene Fragen an den Start gehen kann. Kritische Punkte sollte man immer im Vorhinein klären anstatt sie zu vertagen…

Hiesinger: …und klar ist auch: Für sechs Jahre werden Tata und Thyssenkrupp gemeinsam die Mehrheit halten.

Gemeinsam die Mehrheit zu halten, heißt aber auch: Thyssenkrupp könnte auf 20 Prozent runtergehen, wenn Tata 30 Prozent hätte.

Hiesinger: Solche Fragen stellen sich jetzt nicht. Wir planen derzeit keinen Börsengang. Wir haben bewusst ein langfristiges Bekenntnis abgelegt, was auch im Namen Thyssenkrupp Tata Steel zum Ausdruck kommt.

Stahl gehört zum Kerngeschäft von Tata, aber künftig nicht mehr von Thyssenkrupp.

Chandrasekaran: Es gibt ein klares Bekenntnis von beiden Unternehmen. Wir werden erst einmal das Joint Venture bauen und Wert schaffen, danach können wir über alles Weitere nachdenken.

Hiesinger: Apropos Werte schaffen. Unser 50-Prozent-Anteil am Joint Venture wird für Thyssenkrupp einen deutlich höheren Wert haben als unser gesamtes Stahlgeschäft heute. Das Gemeinschaftsunternehmen zahlt sich damit nicht nur für den Stahlbereich, sondern bilanziell auch für den Konzern erheblich aus.

Ist ein Abschluss der Stahl-Transaktion zum Beginn des nächsten Jahres realistisch?

Hiesinger: Es ist schwierig für uns, einen genauen Zeitplan zu nennen. Wir haben es ja nicht selbst in der Hand.

Chandrasekaran: Wir sind nicht die EU-Kommission und wollen deren Arbeit in keiner Weise vorgreifen.

Erwarten Sie Auflagen wie den Verkauf von Unternehmensteilen?

Hiesinger: Dazu können wir aktuell nichts sagen. Wir werden den Behörden alle Informationen zur Verfügung stellen, die nötig sind und eng mit ihnen zusammenarbeiten.

Neben dem Brexit könnten sich auch die Stahlzölle von US-Präsident Trump negativ auf die europäische Industrie und damit auch auf Thyssenkrupp Tata Steel auswirken. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Hiesinger: Die Erfahrung zeigt, dass freier Handel den Wohlstand der Volkswirtschaften insgesamt erhöht. Daher kämpfen wir dafür. Protektionismus hat noch nie langfristig Werte geschaffen. Zölle gehen einfach in die falsche Richtung. Die aktuelle Eskalation ist deshalb schädlich. Wir werden hoffentlich sehen, dass die internationale Politik einen Weg zur Deeskalation findet. Wir als Unternehmen haben unsere Hausaufgaben gemacht. Das Gemeinschaftsunternehmen ist viel besser gewappnet, um Unsicherheiten zu begegnen als jeder von uns alleine. Wir können so besser auf das reagieren, was auch immer kommt.

Chandrasekaran: Das sehe ich auch so.

Hiesinger: Das Stahlgeschäft, das wir direkt mit den USA machen, ist überschaubar. Besorgt sind wir mehr über die indirekten Effekte. Denn Stahl, der künftig womöglich nicht mehr in die USA gelangt, könnte zusätzlich auf den europäischen Markt gelangen. Noch sehen wir diese Auswirkungen nicht, aber das Risiko ist da.

Man schätzt sich

Herr Chandrasekaran, Herr Hiesinger, es scheint, die Verhandlungen in den vergangenen Monaten haben Sie zusammengeschweißt. Richtig?

Chandrasekaran: Ja, das stimmt. Heinrich ist geradeheraus, offen und fair. Das schätze ich sehr. Er ist immer darauf fokussiert, Probleme zu lösen und gute Ergebnisse zu erzielen. Ja, wir vertrauen einander.

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Hiesinger: Es sind ähnliche Eigenschaften, die wir aneinander schätzen. Wir können sehr offen miteinander umgehen. Wir schreiben einfach eine SMS oder greifen zum Telefon. Wenn etwas mal nicht so gut läuft, sprechen wir es direkt an, ohne Schuldzuweisungen. Wir wollen beide, dass die Dinge vorangehen. Zwischen uns beiden gibt es ein großes Vertrauen. Dafür sind keine großen Worte nötig, es ist einfach da.

Wann haben Sie die Entscheidung zum Firmennamen Thyssenkrupp Tata Steel getroffen, der ja auch eine besondere Verbindung demonstriert?

Chandrasekaran: Ich war im August vergangenen Jahres zum Besuch in Essen, auf Schloss Landsberg und auf Villa Hügel. Da haben wir auch über den Namen gesprochen und uns dafür entschieden. Er steht für ein langfristiges Bekenntnis beider Seiten zum Joint Venture.

Hiesinger: Wir haben schon zu diesem Zeitpunkt sehr offen gesprochen. Er hat mich gebeten, ihm Zeit zu geben, weil er damals noch neu in der Funktion als Chairman von Tata war. Ich habe ihm gesagt, er müsse sich nicht daran gebunden fühlen, was andere vor ihm verhandelt haben, sondern er sollte natürlich seine eigenen Entscheidungen treffen. Ich habe mich dann auch sehr über die Gegeneinladung zum 150-jährigen Gründungsjubiläum von Tata gefreut. So ist Vertrauen in die gemeinsame Sache entstanden.

Ein deutsches und ein indisches Unternehmen gründen eine Firma mit Mitarbeitern in Wales, den Niederlanden und Deutschland. Eine interessante Mischung, aber lässt sich daraus eine eigene Unternehmenskultur schaffen?

Hiesinger: Ja, aus meiner Sicht wird eine eigene Kultur entstehen. Dafür sind die folgenden Zutaten entscheidend: Offenheit, gegenseitiger Respekt, Transparenz und ein klares Bekenntnis zum Kunden.

Chandrasekaran: Richtig, aber du hast die Tradition und die Leistungsorientierung vergessen, die zu unseren beiden Kulturen gehört. Wenn sich alle der Gemeinsamkeiten bewusst sind, dann wird auch das neue Unternehmen eine starke Kultur haben.

Die Tata-Gruppe ist ein gigantischer Mischkonzern. In Deutschland werden solche Konglomerate von Aktienkurs-Analysten kritisch beäugt. Können Sie einem Investor die Vorteile eines Mischkonzerns erklären?

Chandrasekaran: Wir haben eine lange und erfolgreiche Geschichte mit einer großen Tradition. Wir haben eine Holding-Struktur und sind in vielzähligen Industrien tätig: Auto, Textilien, Hotels, Energie, Versicherungen. Unser Stahlgeschäft gehört zu den Flaggschiffen. Unser Motto war und ist: Was gut ist für Indien, ist gut für Tata.

Die Automarken Jaguar und Land Rover gehören ebenfalls zu Tata.

Hiesinger: Jaguar Land Rover ist ein sehr wichtiger Kunde von uns.

Thyssenkrupp hat auch ein großes Automobilgeschäft. Können Sie sich eine intensivere Zusammenarbeit vorstellen?

Chandrasekaran (lacht): Sie wollen schon die nächste Story!

Hiesinger (lacht): Lassen Sie uns doch erstmal das Joint Venture abschließen.

Herr Hiesinger, Sie möchten Thyssenkrupp zu einem Ingenieurkonzern umbauen. Mit der Stahlfusion kommen Sie einen großen Schritt nach vorne. Ist Ihre Mission mit dem Abschluss des Joint Ventures erfüllt?

Hiesinger: Zunächst einmal: Wir haben Thyssenkrupp tatsächlich tiefgreifend verändert. Als ich angetreten bin, hatten wir acht Sparten im Konzern. Nach dem Joint Venture werden es vier sein. Wir haben den Anteil des Stahls, der viel Kapital bindet, von 40 auf fünf Prozent gesenkt. Wir haben einen umfassenden Kulturwandel umgesetzt. Wir haben die Schulden des Unternehmens erheblich gesenkt und die Ergebnissituation in den letzten Jahren deutlich verbessert. Aber die Arbeit ist nie zu Ende. Und unser Weg ist sehr klar. Thyssenkrupp wird zu einem starken Industrie- und Dienstleistungskonzern. In der nächsten Woche werden wir dazu dem Aufsichtsrat unser geschärftes Strategiebild vorstellen.

Soll das Thema im Aufsichtsrat intern bleiben – oder gehen Sie auch an die Öffentlichkeit?

Hiesinger: Zunächst einmal besprechen wir das mit unserem Aufsichtsrat. Das gehört zum Respekt gegenüber diesem Gremium.

Stehen große Veränderungen an?

Hiesinger: Ich möchte das, was ansteht, nicht in Kategorien wie groß oder klein beschreiben. Wir verfolgen seit 2011 einen klaren Weg, Thyssenkrupp zu einem starken Industriekonzern umzubauen. Mehr werde ich an dieser Stelle nicht dazu sagen.

Sie stehen unter Druck: Der Finanzinvestor Cevian, immerhin ihr zweitgrößter Aktionär, hat schon erklärt, die Stahlfusion reiche ihm nicht aus.

Hiesinger: Es ist doch normal im Wirtschaftsleben, dass nach einem Erfolg der nächste Schritt kommen muss.

Haben Sie nach der Unterschrift zur Stahlfusion schon ein Gratulationsschreiben ihres neuen Anteilseigners Elliott erhalten?

Hiesinger (lacht): Nein, aber vielleicht sollte ich mal meine E-Mails checken.