Brüssel. . Hand drauf: Thyssenkrupp-Chef Hiesinger und Tata-Chef Chandrasekaran besiegeln auf neutralem Terrain in Brüssel ihre Stahl-Fusion.
Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran ist am Morgen aus Mumbai angereist. Für den Abend ist der Rückflug geplant. Für ihren ersten gemeinsamen Auftritt haben Chandrasekaran und Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger bewusst einen neutralen Ort gewählt: Brüssel. Nicht eine der Firmenzentralen, sondern Europas Hauptstadt soll als Ortsmarke zum Auftakt des deutsch-britisch-niederländischen Stahlkonzerns dienen. Die Gebäude der EU-Kommission befinden sich in Sichtweite der historischen Bibliothek Solvay, in der Chandrasekaran und Hiesinger öffentlichkeitswirksam den Schulterschluss üben.
Nach monatelangen Verhandlungen haben Thyssenkrupp und Tata am Wochenende die Verträge zur Fusion ihrer europäischen Stahlgeschäfte unterschrieben. Mit dem Joint Venture Thyssenkrupp Tata Steel soll ein starker Konkurrent für den bisher unangefochtenen Marktführer Arcelor-Mittal entstehen. Auch die Thyssenkrupp-Hochöfen in Duisburg sowie Werke in anderen-Städten wie Bochum und Dortmund sollen Teil von „Thytata“ werden, wenn die Wettbewerbsbehörden in einigen Monaten ihren Segen geben.
Chandrasekaran, von vielen kurz Chandra genannt, spricht von einem „historischen Moment“ für sein Unternehmen. Auch die Wurzeln von Tata liegen im Stahl. Heute ist die Tata-Gruppe ein Mischkonzern mit knapp 700 000 Beschäftigten und Geschäftsaktivitäten, die von der Energieversorgung über die IT-Branche bis zum Autobau mit Marken wie Jaguar und Land-Rover reichen.
Noch sind dem Zusammenwachsen von Thyssenkrupp und Tata Grenzen gesetzt. „Noch dürfen wir nicht gemeinsam agieren“, sagt Hiesinger. Bis zum Abschluss der Transaktion, dem sogenannten Closing, sind die Stahlhersteller zum Wettbewerb verpflichtet.
Spekulationen zum Börsengang
Einige Antworten blieben Chandrasekaran und Hiesinger in Brüssel noch schuldig. So ist unklar, wie sich der auf der Insel beschlossene und im Detail derzeit mit Brüssel auszuhandelnde EU-Austritt Großbritanniens auf die Stahlfusion auswirkt. Neben Duisburg und dem niederländischen IJmuiden ist Port Talbot in Wales der dritte große Hochofen-Standort von Thyssenkrupp Tata Steel.
Sowohl Hiesinger als auch Chandrasekaran betonen, dass ihre Unternehmen langfristig am neuen Stahlkonzern beteiligt bleiben wollen. Doch es zeichnet sich schon jetzt ein Börsengang ab. Damit könnte der Anteil von Thyssenkrupp am Joint Venture spürbar sinken.
Im Fall eines Börsengangs erhält Thyssenkrupp einen höheren Anteil der Erlöse, der dann einem Verhältnis von 55 zu 45 Prozent entspricht. Das spiegelt die unterschiedliche Entwicklung der Stahlsparten seit der Grundsatzvereinbarung vom vergangenen September wider: die von Thyssenkrupp hat mehr verdient, Tata weniger.
Auftritt als Führungsduo
Die Führung des Konzerns soll paritätisch sein. Thyssenkrupp hat zugesagt, mindestens sechs Jahre beteiligt zu bleiben. Für diesen Zeitraum wollen Thyssenkrupp und Tata gemeinsam die Mehrheit halten. Aber die Gewichte könnten sich verschieben.
Chandrasekaran und Hiesinger kommen erkennbar gut miteinander aus. Nicht in langen, voneinander getrennten Reden präsentieren sie ihre Pläne, sondern mit kurzen, aufeinander abgestimmten Bemerkungen – wie ein Führungsduo. Während der intensiven Verhandlungen der vergangenen Wochen ist Vertrauen gewachsen. Auch der Name Thyssenkrupp Tata Steel soll die enge Verbindung dokumentieren. Ein Kunstname hätte mehr Distanz ausgestrahlt.