Essen. . Nach einer Schlappe bei einem Bundeswehr-Projekt erwägt Thyssenkrupp einen Verkauf des Werftgeschäfts. IG Metall und Abgeordnete sind alarmiert.

Es kommt nicht oft vor, dass Oberbürgermeister bei Aktionärstreffen das Wort ergreifen. Doch als der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp seine Anleger im Januar zur Hauptversammlung nach Bochum bat, war auch Bernd Bornemann, das Stadtoberhaupt von Emden, angereist. Sorgen um die Zukunft der Thyssenkrupp-Werften trieben den SPD-Politiker aus dem Norden ins Ruhrgebiet.

Bornemanns Besorgnis scheint berechtigt zu sein. Nachdem Thyssenkrupp bei einem Großauftrag der Bundeswehr eine Schlappe hat einstecken müssen, stehen die Standorte der Marine-Sparte auf dem Prüfstand. Einem Insider zufolge lotet Thyssenkrupp eine komplette oder teilweise Trennung aus. Es wäre ein tiefer Einschnitt für Thyssenkrupp. Bislang war der Revierkonzern mit seiner Sparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) Hauslieferant der Bundeswehr. Neben U-Booten baut Thyssenkrupp auch Überwasserschiffe für die deutsche Marine.

Milliarden-Auftrag verpasst

Eine wichtige Rolle spielt bei den konzerninternen Planspielen die Entscheidung der Bundesregierung, Thyssenkrupp nicht am Bau des Mehrzweckkampfschiffs MKS 180 zu beteiligen. Bereits vor einigen Wochen hatte die Bundeswehr Thyssenkrupp vom Vergabeverfahren für den Bau des Schiffes aussortiert. Dabei ging es um ein Auftragsvolumen von mindestens 3,5 Milliarden Euro für vier Schiffe. Insider sehen nun an den Thyssenkrupp-Standorten Emden, Hamburg und Kiel rund 1000 Stellen bedroht.

Das „Handelsblatt“ berichtet, Thyssenkrupp sei grundsätzlich offen für Gespräche mit dem französischen Rivalen Naval Group (früher DCNS) und dem Bremer Familienunternehmen Lürssen. Dabei soll es vor allem um die Überwasser-Schiffe gehen. Die Überlegungen der Konzernführung betreffen dem Bericht zufolge aber auch das Geschäft mit U-Booten. Der U-Boot-Bau ließe sich ohne Ingenieure aus der Überwasser-Sparte nicht rentabel betreiben, heißt es. TKMS ist bislang Weltmarktführer bei konventionellen Unterseebooten. Zu den Kunden zählen unter anderem Israel und die Türkei. Einen milliardenschweren, historisch großen ­U-Boot-Auftrag für Australien hat Thyssenkrupp aber vor einigen Monaten verpasst.

„Lässt am Geschäftsmodell der TKMS zweifeln“

Die IG Metall forderte von der Thyssenkrupp-Führung ein klares Bekenntnis zum Werftgeschäft. Besorgte Stimmen kommen auch aus der Politik. „Der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen im Werftensektor ist besorgniserregend und für die betroffenen Standorte nur schwer zu verkraften“, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Müller unserer Redaktion. „Die Entscheidung von Thyssenkrupp lässt am Geschäftsmodell der TKMS zweifeln.“ Der Linken-Politiker Klaus Ernst gab zu bedenken: „Die mögliche Trennung des Thyssenkrupp-Konzerns vom Werften-Geschäft zeigt prinzipiell, wie unsicher das Rüstungsgeschäft ist, da es vor allem von politischen Entscheidungen abhängt.“

Mit Blick auf den missglückten Marine-Deal sieht die SPD insbesondere bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Versäumnisse. „Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei der Verteidigungsministerin“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff unserer Redaktion. „Es geht nicht nur um Thyssenkrupp, sondern auch um sicherheits- und industriepolitische Aspekte.“

Saathoff bemängelt, dass der sensible Auftrag europaweit ausgeschrieben worden sei. „Wir reden bei Überwasserkriegsschiffen von einer nationalen Schlüsseltechnologie. Insofern war eine europäische Ausschreibung falsch.“

Hiesinger ohnehin unter Druck

Der FDP-Parlamentarier Hagen Reinhold sagte hingegen: „Nach meiner Kenntnis liegen die Gründe des Ausschlusses offenbar in Performance und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens TKMS.“

Für Konzernchef Heinrich Hiesinger kommt die Diskussion über die Zukunft des Marine-Geschäfts in einer Zeit, in der er ohnehin stark unter Druck steht. Der aggressive US-Investor Elliott sagte Hiesinger unlängst den Kampf an. Auch der Thyssenkrupp-Großaktionär Cevian hat sich kritisch zur Arbeit des Vorstandschefs geäußert. Im Konzern binden die Gespräche zur geplanten Abspaltung der traditionsreichen Stahlsparte derzeit viele Kräfte. In wenigen Tagen dürfte das Thema auch bei einer Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats eine Rolle spielen.

Ein politisches Geschäft

In Berlin wird betont, dass Thyssenkrupp zwar im Ringen um den Bau des Kriegsschiffes MKS 180 eine Niederlage einstecken musste, zuletzt aber auch durchaus von politischen Entscheidungen profitiert habe. So hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor wenigen Monaten ein Bündnis der deutschen und der norwegischen Marine auf den Weg gebracht.

Im Zuge der Kooperation soll TKMS vier U-Boote an das skandinavische Land verkaufen. Das Auftragsvolumen soll dem Vernehmen nach bei mehr als vier Milliarden Euro liegen. Die Bundeswehr will zwei baugleiche U-Boote abnehmen und hat im Gegenzug den Kauf von Lenkflugkörpern des norwegischen Kongsberg-Konzerns zugesagt.