Essen. . Thyssenkrupp-Technologiechef Reinhold Achatz will den Gründergeist im Konzern fördern. Ein Ergebnis ist ein neues Mini-U-Boot.

Der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp will von Start-ups lernen. „Üblicherweise sind klassische Großunternehmen auf kontinuierliche Verbesserungen ausgerichtet. Mit plötzlichen Veränderungen können sie oft schlechter umgehen“, räumt Thyssenkrupp-Technologiechef Reinhold Achatz im Gespräch mit unserer Redaktion ein. Daher sucht Thyssenkrupp nun die Nähe zu Start-ups – beispielsweise mit einem unkonventionellen Format namens „Beyond Conventions“: Große deutsche Unternehmen wie Innogy, Open Grid Europe, Schacht One (Haniel) und Funke Medien NRW suchen dabei gemeinsam mit Thyssenkrupp nach Partnern für ihre digitalen Herausforderungen.

Herr Achatz, wie viel Gründergeist steckt in Thyssenkrupp?

Achatz: Wir tun viel dafür, dass neben dem klassischen Geschäft auch eine Start-up-Mentalität im Unternehmen entsteht. Die Welt um uns herum verändert sich mit einer enormen Geschwindigkeit – politisch und technologisch. Üblicherweise sind klassische Großunternehmen auf kontinuierliche Verbesserungen ausgerichtet. Mit plötzlichen Veränderungen können sie oft schlechter umgehen. Zunehmend gibt es disruptive Technologien, also Technologien, die innerhalb kurzer Zeit bestehende Produkte vom Markt verdrängen. Dafür müssen wir uns wappnen.

Wie gehen Sie vor?

Achatz: Wir wollen schneller und digitaler werden und uns für neue Ideen öffnen. Dabei sind uns Impulse von außen wichtig, zum Beispiel von Start-ups. Auch konzernintern wollen wir noch stärker als bisher das Potenzial unserer Mitarbeiter nutzen. Ein Konzept ist unsere „Innovation Garage“: Mitarbeiter können sechs Monate die Hälfte ihrer Arbeitszeit in ein Gründungsprojekt stecken, der normale Job läuft in Teilzeit weiter. Wir fördern Ideen, die Erfolg versprechen, mit Projektmitteln von bis zu 50 000 Euro. Wenn alles gut läuft, entsteht am Ende ein Prototyp für eine neue Technologie.

Ein Beispiel, bitte.

Achatz: Aus unserem Garagen-Projekt ist beispielsweise ein Sensor entstanden, der zum Beispiel an Stoßdämpfern von Autos montiert das Fahrverhalten der Nutzer aufzeichnet. Wir befinden uns derzeit im Gespräch mit Autovermietern, die Interesse an dem Produkt haben. Denkbar wäre es, dass in Zukunft das Fahrverhalten Einfluss auf die Preisbildung der Autovermieter hat. Eine weitere Entwicklung aus der Garage ist ein Mini-U-Boot, mit dem Fischer ermitteln können, welche Fische wirklich in einem Schwarm sind. Das Boot liefert viel genauere Informationen als ein Echolot. Ein Prototyp des Mini-U-Boots fährt bereits. Auf diese Weise können Fischer den Beifang reduzieren.

Thyssenkrupp-Technologiechef Reinhold Achatz will den Konzern mit Start-ups vernetzen. Foto: Kai Kitschenberg/FunkeFotoServices
Thyssenkrupp-Technologiechef Reinhold Achatz will den Konzern mit Start-ups vernetzen. Foto: Kai Kitschenberg/FunkeFotoServices © Kai Kitschenberg

Kann ein Konzern überhaupt Strukturen schaffen, die einem Start-up ähneln?

Achatz: Durchaus. Ich denke beispielsweise an unsere Tech-Center in Mülheim und Dresden. Hier beschäftigen wir uns mit dem 3D-Druck und Produkten aus dem Werkstoff Karbon. Dabei setzen wir gezielt auf kleinere Teams, um Dinge auszuprobieren, die wir später in größerem Stil zum Erfolg bringen möchten.

Beim unkonventionellen Veranstaltungsformat namens „Beyond Conventions“ kooperieren sie mit Unternehmen wie dem Energiekonzern Innogy, dem Gasnetzunternehmen Open Grid Europe, Haniel und der Funke Mediengruppe. Ist es wichtig für Thyssenkrupp, Allianzen zu bilden?

Achatz: Wir haben ein großes Interesse daran, dass Netzwerke für Innovationen im Ruhrgebiet entstehen. Was wir machen, ist kein Alleingang. Das zeigt auch das Beispiel „Beyond Conventions“. Das weltweit bekannteste Ökosystem für Start-ups ist das Silicon Valley in Kalifornien. Ich bin davon überzeugt, dass auch das Ruhrgebiet gute Chancen hat, ein funktionierendes Ökosystem für Innovationen zu sein – insbesondere für industrienahe Ideen. Das dichte Netz von Unternehmen, Universitäten und Forschungszentren bietet Gründern im Ruhrgebiet hervorragende Möglichkeiten.

Was erhoffen Sie sich von der Begegnung mit den Start-ups?

Achatz: Es geht bei „Beyond Conventions“ nicht um ein Spiel, Show oder ein Preisgeld, sondern um handfeste Aufträge, die wir an Start-ups vergeben möchten. Wir haben in der Einladung an die jungen Unternehmen konkrete Aufgaben formuliert. 220 Start-ups wollten die Herausforderung annehmen, 35 haben wir eingeladen. Eine Aufgabe ist beispielsweise, eine Drohne bereitzustellen, die wir einsetzen können, um zu analysieren, wie weit der Bau einer Industrieanlage gediehen ist.

Will Thyssenkrupp auch Start-up übernehmen, wenn eine Idee besonders gut zum Konzern passt?

Achatz: Darum geht es bei „Beyond Conventions“ nicht. Grundsätzlich schauen wir uns aber regelmäßig Start-ups genau an. Interesse an Zukäufen besteht durchaus, wenn eine Idee zu uns passt. Wir sind immer auf der Suche nach Ideen, die uns besser machen.