Duisburg. . Haniel-Chef Stephan Gemkow kritisiert fehlende Investitionen in Straßen und Brücken. Der „Verkehrskollaps“ sei nirgends so groß wie im Revier.

Haniel-Chef Stephan Gemkow ist gut gelaunt. Im Garten der Duisburger Konzernzentrale werden gerade die letzten Kabel vom Betriebsfest zusammengerollt. Wenige Tage zuvor gab es grünes Licht für das Joint Venture des Haniel-Unternehmens CWS boco mit Rentokill Initial, über das Gemkow erstmals mit den WAZ-Redakteuren Andreas Tyrock und Frank Meßing öffentlich spricht.

Haniel betreibt längst keine Zechen mehr und ist aus der Schifffahrt ausgestiegen. Jetzt handeln Sie mit Matratzenbezugsstoffen und verdienen Geld mit Waschraumhygiene. Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Neuerfindung dieses 261 Jahre alten Familienkonzerns?

Stephan Gemkow: Über unserem unternehmerischen Handeln steht die Überschrift „Enkelfähig“. So heißt auch unser Firmenmagazin. Wir wollen das Familienunternehmen Haniel auch für die nächsten Generationen langfristig überlebensfähig machen. Vor einigen Jahren steckten wir noch in einer krisenhaften Situation, die für Haniel existenziell war. Unter anderem durch die hohe Schuldenlast hätten wir beinahe unser Schicksal nicht mehr selbst in der Hand gehabt. Nach dem Prinzip „nicht alle Eier in einen Korb“ setzen wir deshalb auf Diversifizierung und investieren zudem in die Digitalisierung der Beteiligungen.

Derzeit gehören fünf Beteiligungen zur Holding. Wo wollen Sie hin?

Unser Ziel sind plus/minus zehn Unternehmen, die uns zuverlässig in die Lage versetzen, unsere Kosten zu decken und eine Dividende auszuschütten. Wir wollen größere Klumpenrisiken vermeiden und suchen deshalb in unterschiedlichen Bereichen nach Unternehmen, die in Wachstumsfeldern unterwegs sind.

2018 Ergebnisschub für CWS boco erwartet

Von der Zahl zehn sind Sie aber noch weit entfernt. Dabei haben sie seit längerem eine Milliarde Euro für Zukäufe in der Kasse.

2015 und 2016 sind die Matratzenbezugsstoff-Hersteller Bekaert Textiles und Deslee Clama zu uns gekommen, die wir zu Bekaert Deslee fusioniert haben. In der vergangenen Woche ist unser Unternehmen CWS boco für 800 Millionen Euro ein Joint Venture mit dem britischen Hygienespezialisten Rentokil Initial eingegangen. Mit dem Ergebnis sind wir äußerst zufrieden. Für 2018 rechnen wir mit einem deutlichen Ergebnisschub für CWS boco. Aber Sie haben Recht – unser Ziel haben wir noch nicht erreicht. Angesichts der niedrigen Zinsen ist es schwierig, geeignete Unternehmen zu vertretbaren Preisen zu finden. Die Preise sind im Moment einfach sehr hoch, weil eine Flut billigen Geldes im Markt ist. Das Eigenkapital für Zukäufe steht uns zeitlich unbefristet zur Verfügung. Wir stehen nicht unter Druck, hier Zugeständnisse machen zu müssen.

Haniel-Chef Stephan Gemkow (M.) mit den WAZ-Redakteuren Andreas Tyrock (l.) und Frank Meßing in der der Duisburger Konzernzentrale.
Haniel-Chef Stephan Gemkow (M.) mit den WAZ-Redakteuren Andreas Tyrock (l.) und Frank Meßing in der der Duisburger Konzernzentrale. © Kai Kitschenberg

Nach welchen Übernahmekandidaten suchen Sie?

Wir haben eine ganze Reihe von Kriterien mit unseren Gesellschaftern, der Familie Haniel, vereinbart. Wir sind an langfristigen, nachhaltigen und entwicklungsfähigen Engagements interessiert. Im Gegensatz zu Private-Equity-Fonds wollen wir die Unternehmen also nach einigen Jahren nicht gleich wieder gewinnbringend verkaufen. Bei der Auswahl denken wir auch die Megatrends dieser Zeit wie Digitalisierung mit. Gerade sie wird die Wertschöpfungsketten entscheidend verändern.

Klopfen denn auch Unternehmen bei Ihnen an, die von sich aus unter das Haniel-Dach schlüpfen wollen?

Leider nein. Das würde uns das Leben sehr viel leichter machen. Aber das kommt vielleicht noch – unsere Positionierung und die langfristige Perspektive helfen dabei.

Haniel ist mit einem Anteil von 25 Prozent Hauptaktionär des Handelsriesen Metro. Im Sommer soll die beschlossene Aufspaltung in ein Lebensmittelunternehmen mit Metro Cash & Carry und Real sowie ein Elektronikunternehmen mit den Ketten Media-Markt und Saturn wirksam werden. Sind Sie zufrieden mit der Lösung?

Das ist absolut der richtige Schritt, den wir natürlich mit vorangetrieben haben. Die Aufspaltung reduziert aus Haniel-Sicht das Klumpenrisiko. Beide Unternehmen werden sich sehr unterschiedlich entwickeln. Sie werden jetzt „sortenreiner“. Die Konzentration auf das jeweilige Geschäft ist gut für die wirtschaftliche Entwicklung.

„Zufrieden mit den Metro-Beteiligungen“

In der Vergangenheit hatte Haniel den Metro-Anteil verringert. Wäre das eine erneute Option für Sie?

Zur Zeit sind wir sehr zufrieden mit unseren Beteiligungen, die wir an der neuen Metro und an der Ceconomy halten werden. Ich sehe deshalb keine Notwendigkeit, über eine Abgabe von Anteilen nachzudenken. Der Klumpen ist geteilt. Wir haben unsere Ziele erreicht.

Haniel bekennt sich immer wieder zum Stammsitz Duisburg und dem Ruhrgebiet. Hat die Schlusslicht-Diskussion im zurückliegenden Landtagswahlkampf der Region geschadet?

Die Frage kann man nicht pauschal mit ja oder nein beantworten. Es hat in den vergangenen Wochen sicherlich unsachgemäße Überhöhungen gegeben, die dem Ruhrgebiet geschadet haben. Es wurden aber auch Missstände wie in der Schulpolitik und bei der inneren Sicherheit thematisiert, die dringend abgestellt werden müssen. Wir haben eine gewisse Selbstzufriedenheit der früheren Landesregierung bei einigen Problemen wie der Infrastruktur beobachtet. Nordrhein-Westfalen und vor allem das Ruhrgebiet sind eine enorme Wirtschaftsmacht. Einen so ausgeprägten Verkehrskollaps wie hier gibt es aber in keiner anderen Metropolregion.

„Arbeit an neue Herausforderungen anpassen“

Können Sie uns drei Erwartungen oder Hoffnungen nennen, die Sie der neuen Landesregierung mit auf den Weg geben wollen?

Es gibt ein massives Unbehagen in der Bevölkerung bei der inneren und äußeren Sicherheit. Das liegt an der gestiegenen Zuwanderung, aber auch an der Vielzahl von Wohnungseinbrüchen und der schlechten technischen Ausrüstung von Polizei und Bundeswehr. Wir brauchen mehr sichtbare Polizei auf der Straße. Zum Zweiten: Kanäle und Schleusen sind in einem dramatisch schlechten Zustand, ganz zu schweigen von Straßen und Brücken. Hier muss Politik investieren. Und wir müssen die Arbeit an neue Herausforderungen anpassen, in dem wir beispielsweise die Arbeitszeitgesetze reformieren. In unserer Digital-Einheit Schacht One auf der Essener Zeche Zollverein haben wir hoch qualifizierte Mitarbeiter, deren Projekte nicht an Regelarbeitszeiten ausgerichtet sind. Sie bringen lieber ein Projekt mit viel Leidenschaft zu Ende, um dann am Stück zu entspannen, anstatt von neun bis fünf im Büro zu sitzen. So geht es vielen Unternehmen in Zeiten der Digitalisierung. Das heißt aber nicht, dass die Tarifpartnerschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaft in Frage gestellt werden muss.

Haben Sie eine Vision vom Ruhrgebiet, wie es in zehn Jahren aussehen sollte?

Meine Hoffnung ist, dass wir den zweiten Strukturwandel hin zur Digitalisierung, der gerade im Gange ist, erfolgreicher bewerkstelligen als den ersten mit dem Auslaufen von Kohle und Stahl. Dafür sehe ich viele positive Anzeichen. Wir brauchen eine Balance zwischen dem industriellen Erbe, das die Identität des Reviers bestimmt, und Themen wie Innovation, Digitalisierung, Bildung und Kreativität. Dafür müssen wir uns erheblich anstrengen. Auch in der Kommunalpolitik.

Die Verkrustung, die sich dort in vielen Städten breitgemacht hat, ist enorm.