Witten. 672 Mitglieder der Haniel-Familie halten Anteile am Duisburger Traditionskonzern. Die Uni Witten blickte in zwölf deutsche Familienunternehmen.

90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland werden von Familien geführt. Sie gelten deshalb als das Rückgrat der Wirtschaft. Oft sind diese Unternehmerfamilien verschlossen, ja geheimnisvoll. Sie lassen ungern Einblicke in ihr Inneres zu. In zwölf der größten deutschen „Dynastien“ erhielten Professoren des Wittener Instituts für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke (Wifu) über drei Jahre hinweg tiefere Einblicke.

Die Duisburger Unternehmerfamilie Haniel wächst und wächst. Stand 2016 gehörten 1429 Personen dazu. 672 von ihnen sind Gesellschafter der Haniel-Gruppe, die längst nicht mehr in der Schifffahrt und im Bergbau oder der Eisenindustrie tätig ist. Haniel hat sich zu einer Beteiligungs-Holding entwickelt. Die Duisburger sind größter Aktionär des Handelsriesen Metro. Zur Gruppe gehören der Hygiene-Spezialist CWS-boco, der Unternehmensausrüster Takkt, der Matratzenbezugsstoff-Hersteller Bekaert Deslee sowie der Rohstoffhändler ELG.

Haniel-Familie hat ihr eigenes Intranet

Die Haniel-Familie tritt selten in der Öffentlichkeit auf. Die Rede von Beirats-Chef Christoph Böninger beim Wifu in Witten gilt deshalb als die große Ausnahme. Böninger gibt Einblicke, wie sich die große Familie organisiert. „Es soll kein Herrschaftswissen entstehen. Wir wollen nicht den Eindruck vermitteln, dass ein Familienmitglied unersetzbar ist“, sagt der Haniel-Vertreter. Aus diesem Grunde hat sich die Familie ein Intranet zugelegt – das „Haniel Familiy Net“, eine zentrale Datenbank für alle Gesellschafter. „Klingt einfach, ist aber hochkomplex“, sagt Böninger. Immerhin seien inzwischen 85 Prozent der Stakeholder auf der Plattform präsent, die Hälfte nutze sie regelmäßig. „Inzwischen sind drei Generationen im Haniel Family Net unterwegs“, so der Beirats-Vorsitzende. Auch einen digitalen Familien-Stammbaum könne man sich dort herunterladen.

Christoph Böninger, Mitglied der Haniel-Familie.
Christoph Böninger, Mitglied der Haniel-Familie. © Florian Bachor

Mit dem Intranet verknüpfen die Haniels auch eine politische Aussage. „Ohne Transparenz kommt Misstrauen auf. Das ist wie ein schleichendes Gift“, sagt Böninger und ruft in Erinnerung, dass sich exakt vor 100 Jahren die Familie Haniel aus dem operativen Geschäft zurückzog und mit Johann Welker den ersten externen Vorstandsvorsitzenden berief. Seither ist nie wieder ein „echter Haniel“ im Unternehmen tätig gewesen – nicht einmal als Praktikant. Diese eiserne Regel gehört ebenso zur „Wertegemeinschaft“ wie der Grundsatz, dass Familienmitglieder durchschnittlich „25 Prozent des Eigenanteils am Konzern-Jahresüberschuss“ für sich beanspruchen können und Unternehmensanteile nur untereinander weitergeben können. 2015 betrug der Jahresüberschuss 193 Millionen Euro. 50 Millionen Euro Dividende wurden ausgeschüttet.

Diese Organisationsprinzipien der Haniels sind wichtige Erkenntnisse für die Forscher des Wittener Instituts für Familienunternehmen. Denn längst nicht in jeder Unternehmerfamilie läuft es rund. Entscheidungen verzögern sich, weil man keine Einigung erzielen kann. Nachfolgefragen werden zuweilen erst spät gelöst. „In unserer Studie interessierten wir uns dafür, wie Familienunternehmen ihre Probleme lösen und ob diese Strategien nachhaltig sind“, sagt Arist von Schlippe.

Meilenstein für „Wittener Theorie“

Wenn eine Firma in der vierten Generation noch erfolgreich sei, spreche das für die richtigen Rezepte. Das Bankhaus Metzler werde von der zwölften Generation geführt. Das Chemie- und Pharma-Unternehmen Merck blicke auf eine ähnliche Familientradition zurück.

„Das war eine gemeinsame Lernreise – für uns und die Unternehmerfamilien selbst“, sagt Tom A. Rüsen. Ziel der Erhebung sei es auch gewesen, dass die Unternehmerfamilien vonein­ander lernen. Mit dem Forschungsprojekt, so Rüsen, sei seinem Institut „ein Meilenstein“ auf dem Weg zur „Wittener Theorie der Familienunternehmen“ gelungen.

„Familien hängen mit Herzblut am Unternehmen“

Denn bislang war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass Familie und Unternehmen eigentlich überhaupt nicht zueinander passen. Mitautor Torsten Groth spricht vom Gegensatz der „spezifischen Intelligenz“ der Familie mit ihrer auch sozial geprägten Logik und der „betriebswirtschaftlichen Rationalität“ des Managements, das zuerst Umsatz- und Gewinnzahlen im Blick habe.

Dennoch zeigt die Praxis, dass viele Familienfirmen über Generationen bestehen. „Es ist eine Stärke, wenn eine Familie mit Herzblut an ihrem Unternehmen hängt“, sagt Arist von Schlippe. „Deutschland ist auch deshalb so gut durch die Finanzkrise gekommen, weil Familienunternehmen nicht sofort zu Entlassungen neigen.“

>>> Buch: Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie“

An der Studie des Wittener Instituts beteiligten sich Gesellschafter von Henkel, Merck, Boehringer, Haniel, Pictet, Dörken, Freudenberg, Metzler, Bitburger, Oetker, Rethmann und Wuppermann. Die Ergebnisse fasst das Buch „Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie“ zusammen.