Bochum. Die Frage nach der Zukunft der Stahl-Sparte bestimmt die Hauptversammlung von Thyssen-Krupp. Konzernchef Hiesinger wirbt für Fusion mit Tata.

Es ist nicht gerade alltäglich, dass ein frisch gewähltes Aufsichtsratsmitglied seinen ersten Auftritt vor den Aktionären mit Protest verbindet. Es war eine stille, aber klar sichtbare Demonstration von Tekin Nasikkol. Als Thyssen-Krupp-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner den Duisburger Arbeitnehmervertreter zu Beginn der Hauptversammlung vorstellte und die Regie im Bochumer Ruhr-Congress einen Kameraschwenk auf den neuen Mann im Gremium vorsah, stach ein rot-weißer Anstecker an Nassikols Sakko hervor. „Stopp Stahl-Exit“ stand darauf. Schließlich sind die Sorgen in der Belegschaft groß, dass eine Stahl-Fusion mit dem indischen Konkurrenten Tata gleichbedeutend mit dem Anfang vom Ende des Thyssen-Krupp-Traditionsgeschäfts sein könnte.

Seit Jahren findet die Hauptversammlung des Essener Industriekonzerns in Bochum statt – in der Kongresshalle neben dem Stadion des VfL Bochum. Das benachbarte Stahlwerk an der A40 liegt nur wenige Kilometer entfernt. Zwischen Wattenscheid und Stahlhausen ragen die riesigen Fabrikhallen in den Himmel. Wenn der VfL Fußball spielt, ist immer auch das Bochum-Lied von Herbert Grönemeyer zu hören, in dem es um den „Pulsschlag aus Stahl“ geht. Nach Duisburg-Beeckerwerth ist Bochum der zweitgrößte Standort von Thyssen-Krupp im Ruhrgebiet. Entsprechend stark sind die Emotionen, wenn nun über eine mögliche Schließung des Werks mit mehr als 2000 Beschäftigten spekuliert wird. „Grönemeyer müsste sein Lied umschreiben“, sagen Gewerkschafter.

„Sparprogramme verschaffen uns nur kurzfristig eine Atempause“

Ob die Sorge berechtigt ist, blieb auch nach der Hauptversammlung unklar. „Heute gibt es keine Entscheidungen zu Anlagen oder Standorten“, sagte Vorstandschef Heinrich Hiesinger. Die konzerninterne Prüfung, was zu tun sei, werde „sicher noch bis zum Frühsommer andauern“. Einen entscheidenden Einfluss dürfte dabei spielen, ob die Stahlsparte von Thyssen-Krupp tatsächlich in einer Gemeinschaftsfirma mit dem indischen Konkurrenten aufgeht.

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Eindringlich warb Hiesinger vor den Aktionären für eine Fusion mit Tata, wohl wissend, dass es um „nichts Geringers als die Keimzelle“ des Unternehmens geht. „Sparprogramme verschaffen uns nur kurzfristig eine Atempause“, sagte er. „Ohne grundlegende Änderungen würden wir unweigerlich ein Restrukturierungsprogramm nach dem anderen anstoßen müssen.“

Betriebsrat warnt: Fusion könnte gesamten Konzern ins Wanken bringen

Hiesinger präsentierte sich als Moderator gegenläufiger Interessen im Konzern. Stahl-Betriebsratschef Günter Back etwa warnt, durch eine Fusion könne der gesamte Konzern ins Wanken geraten. Anteilseigner wie der Finanzinvestor Cevian hingegen würden sich wohl eher heute als morgen Veränderungen wünschen.

Dass nicht in allen Punkten Einigkeit im Konzern herrscht, ließ sich erneut an der Diskussion über die Dividende ablesen. Für 2015/16 schüttet Thyssen-Krupp – wie im Vorjahr – 15 Cent pro Aktie aus. Bereits im vergangenen Jahr lehnte Cevian die Zahlung ab, die mancher als Zugeständnis an die Krupp-Stiftung einordnet. Auch in diesem Jahr lag die Zustimmung der Aktionäre für die Dividende nur bei mageren 74 Prozent – offenbar hat Cevian erneut ein Veto eingelegt. Der Finanzinvestor ist mit etwas mehr als 18 Prozent zweitgrößter Anteilseigner nach der traditionsreichen Essener Krupp-Stiftung mit ihren 23 Prozent.

Nachdenkliche Stimmen aus dem Kreis der Aktionäre

Wenn es um Tata und Thyssen-Krupp geht, gibt es auch nachdenkliche Stimmen aus dem Kreis der Aktionäre. „Wie sieht ihr Plan B aus?“, wollte beispielsweise Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) wissen. Auch Ingo Speich von Union Investment mahnte, Thyssen-Krupp benötige dringend alternative Pläne zu einer Fusion mit Tata.

Als attraktiver Standort von Tata gilt das niederländische Stahlwerk in Ijmuiden. Problematischer sehen Branchenkenner die Zukunft des britischen Tata-Werks in Port Talbot. Ein Haupthindernis für eine Stahl-Fusion sind die Pensionsverpflichtungen von Tata, die bei ungerechnet rund 17,5 Milliarden Euro liegen sollen. Konzernchef Hiesinger mahnte, Tata müsse „eine tragfähige Lösung für die hohen Pensionsverpflichtungen“ finden. Zugleich warb er bei den Aktionären um Geduld. Für eine gute Lösung brauche es Zeit. Hiesinger betonte allerdings auch, solange es Fortschritte bei Tata gebe, verfolge er keinen Plan B.

2017 könnte bei Thyssen-Krupp konfliktreich werden

So oder so könnte es ein konfliktreiches Jahr bei Thyssen-Krupp werden. Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath kündigte unlängst an, auch auf die NRW-Landespolitik zuzugehen, „wenn bei uns die Hütte brennt“. Im Mai wird in NRW gewählt. Von den 27 000 Jobs der Stahlsparte befinden sich rund 20 000 an Rhein und Ruhr.

Auch Aktionärsvertreter sehen die Gefahr, dass Zusagen für die Tata-Belegschaft in Großbritannien zum Nachteil der Mitarbeiter im Ruhrgebiet geraten könnten. Thomas Hechtfischer warnte, Garantien für die britischen Standorte, um eine Lösung in Sachen Pensionen zu finden, könnten zulasten der deutschen Werke gehen. „Das kann man weder in Duisburg noch in Essen oder Bochum wollen“, sagte er.