Essen. . Die Hauptversammlung von Thyssen-Krupp rückt näher: Schon jetzt wird Kritik von Aktionären laut, aber auch Lob für Konzernchef Hiesinger.

Seit sechs Jahren steht Heinrich Hiesinger an der Spitze von Thyssen-Krupp. Der ehemalige Siemens-Manager treibt den Umbau des Essener Traditionskonzerns voran. Hiesinger, der einen Vertrag bis September 2020 hat, sieht das Unternehmen noch nicht am Ziel. Wie viel Geduld Aktionäre und Mitarbeiter noch haben müssen, dürfte im Mittelpunkt der Hauptversammlung an diesem Freitag in Bochum stehen.

Was hat Hiesinger bisher erreicht?

Er hat das Unternehmen stabilisiert. Nach dem Desaster beim Bau des Stahlwerks in Brasilien verbuchte Thyssen-Krupp Milliardenverluste. Bei der jüngsten Bilanz im November konnte Hiesinger zum dritten Mal in Folge einen Jahresüberschuss präsentieren. Seine selbst gesteckten Gewinnziele musste er aber zwischenzeitlich korrigieren. Hiesingers großes Ziel ist, Thyssen-Krupp zu einem modernen Industriegüterkonzern zu formen. Während der Stahl an Bedeutung verliert, setzt Hiesinger auf Geschäfte mit Aufzügen, Autoteilen und Industrieanlagen.

Wo liegen die Probleme?

Die Stahlkrise und ein schwaches Geschäft im Anlagenbau hinterließen Spuren in der Bilanz des Konzerns mit seinen weltweit 155. 000 Mitarbeitern. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) schrumpfte um zwölf Prozent auf 1,47 Milliarden Euro. Hiesinger will mindestens zwei Milliarden Euro erwirtschaften. Gespräche mit dem indischen Konzern Tata zur Gründung einer Gemeinschaftsfirma für die Stahlsparte blieben bislang ohne Ergebnis. Auch den geplanten Verkauf des Stahlwerks in Brasilien konnte Hiesinger noch nicht verkünden.

Muss Hiesinger mit Gegenwind bei der Hauptversammlung rechnen?

„Unter dem Strich sind wir mit der bisherigen Arbeit von Herrn Hiesinger zufrieden. Die Marschroute stimmt, das Tempo nicht“, sagte Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment unserer Redaktion. „Herr Hiesinger braucht mehr Mut zur Veränderung.“ Auch Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz erklärte: „Mit Herrn Hiesinger sind wir bislang zufrieden, auch wenn der Umbau des Unternehmens noch immer nicht abgeschlossen ist.“

Wie beurteilen die Aktionäre die Dividende?

Für 2015/16 will Thyssen-Krupp – wie im Vorjahr – eine Dividende von 15 Cent pro Aktie ausschütten. Der Finanzinvestor Cevian lehnte zuletzt die Zahlung ab und ließ damit durchblicken, in einem wichtigen Punkt anderer Meinung zu sein als Hiesinger. Cevian ist mit etwas mehr als 18 Prozent zweitgrößter Anteilseigner nach der traditionsreichen Essener Krupp-Stiftung mit rund 23 Prozent.

„Die Dividende sehen wir erneut kritisch“, sagte Speich. „Statt fast 85 Millionen Euro an die Aktionäre auszuschütten, müsste dringend die Bilanz gestärkt werden.“ Rochus Brauneiser vom Investmenthaus Kepler Cheuvreux urteilt: „Dass erneut eine Dividende ausgeschüttet wird, dürfte auch ein Zugeständnis an die Krupp-Stiftung sein.“ Im Unternehmen wird indes auf eine Ausschüttungspflicht laut Aktiengesetz verwiesen. Demnach müssten ohnehin mindestens 11 Cent pro Anteilsschein fließen.

Kommt die Stahlfusion mit Tata?

Das ist unklar. Fest steht: In einem möglichen Deal steckt viel Konfliktpotenzial. Tata betreibt Stahlwerke in Großbritannien und den Niederlanden. Betriebsräte von Thyssen-Krupp befürchten, dass Zusagen für die Tata-Belegschaften zum Nachteil der Mitarbeiter im Ruhrgebiet sein könnten. Zur Stahlsparte von Thyssen-Krupp mit großen Standorten in Duisburg und Bochum gehören rund 27 000 Arbeitsplätze, 20 000 davon in NRW.

Auch ohne einen Zusammenschluss mit Tata drohen Einschnitte. Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath kündigte unlängst an: „Wir würden natürlich auch auf die NRW-Landespolitik zugehen, wenn bei uns die Hütte brennt.“ Im Mai wird in NRW gewählt, im Frühjahr sollen bei Thyssen-Krupp Entscheidungen fallen.

Wie beurteilen Experten die Fusionspläne?

Ingo Speich von Union Investment sagte, was derzeit noch gegen Tata als Partner spreche, seien die politischen Unsicherheiten nach dem Brexit und das Problem ungelöster Pensionsverpflichtungen des indischen Konzerns in Großbritannien. Rochus Brauneiser äußerte sich ebenfalls skeptisch. „Ich habe Zweifel, dass eine Verbindung mit Tata bei einer Beibehaltung des britischen Stahlwerks in Port Talbot ohne Risiko für Thyssen-Krupp ist.“ Auch Brauneiser verwies auf den Brexit: „Exporte von Großbritannien nach Europa könnten durch einen harten Brexit beeinträchtigt werden.“