Essen. Was passiert, wenn eine Jobvermittlerin und eine Hartz-IV-Empfängerin außerhalb der Behörde aufeinandertreffen? Susanne Müller und Waltraut Steuer haben sich auf dieses Experiment eingelassen. Das Ergebnis: Sie haben viel zu beklagen – aber auch Verständnis füreinander.

Susanne Müller arbeitet als Jobvermittlerin in der Arbeitsagentur Dortmund. Die 35-Jährige wird täglich mit der Wut und Resignation der Menschen konfrontiert, die von Arbeitslosengeld II leben müssen und teilweise jahrelang vergeblich einen Job suchen. Waltraut Steuer ist seit drei Jahren Hartz-IV-Empfängerin. Wegen einer Krankheit hat die 56-Jährige ihren Beruf als Therapeutin verloren. Nun kämpft sie in Essen für die Rechte der Arbeitslosen. Sie beklagt die „unwürdigen und kundenfeindlichen Zustände in Jobcentern“.

Im Gespräch mit DerWesten trafen die beiden aufeinander.

Frau Steuer, Sie haben schon länger Erfahrungen mit Arbeitsagenturen gemacht. Wie fühlen Sie sich dort behandelt – eher als Kunde oder als Bittsteller?

Waltraut Steuer: In der Jobvermittlung habe ich mich immer als Kunde gefühlt. Die Gespräche dauern so lange, wie ich es für nötig halte. Ein Gespräch kann auch mal 45 Minuten in Anspruch nehmen. Ich befürchte allerdings, dass ich eine Ausnahme bin. Als Beraterin für das Hartz4-Netzwerk Essen höre ich anderes. Da haben viele das Gefühl, dass einfach über sie verfügt wird.

Warum sollten Sie eine Ausnahme sein?

Steuer: Ich bin seit 2006 im Leistungsbezug. Und man hat mir selten einen Ein-Euro-Job angeboten. Und wenn ich dann das Angebot abgelehnt habe, hat man es wieder zurückgezogen. Man hat mich nie herabgewürdigt oder zu etwas gezwungen. Ich denke, das hängt mit meiner Person und mit meiner akademischen Ausbildung als Sozialpädagogin zusammen.

Frau Müller, was sagen Sie als Jobvermittlerin dazu, behandeln Sie nicht alle Kunden gleich?

Susanne Müller: Frau Steuer hat ein ruhiges und freundliches Wesen. Sie kommt sehr sachlich rüber. Das macht es einem Jobvermittler einfach. Sie wissen ungefähr, wo sie hinwollen. Sie bringen eine qualifizierte Ausbildung mit. Das ist nicht bei jedem Arbeitslosen so. Mit Ihnen kann ein Jobvermittler ganz anders arbeiten, da ist viel Potenzial gegeben.

Steuer: Bezogen auf ein Gespräch durchaus, bezogen auf eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle aber nicht.

Das hat auch mit Ihrer ganz persönlichen Situation zu tun. Sie sind 56 Jahre alt und als chronisch Kranke nur an vier Tagen in der Woche einsetzbar. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Jobvermittler noch an Ihre berufliche Zukunft glauben?

Steuer: Eindeutig nein. Denen war stets bewusst, dass ich kaum vermittelbar bin. Denn gerade für meinen Berufszweig ist der Arbeitsmarkt eng. Seit den 90er Jahren wurden im sozialen Bereich massiv Stellen abgebaut. Viele Verträge sind nur befristet. Die Arbeitgeber bevorzugen Leute, die gerade frisch von der Hochschule kommen. Ältere Arbeitnehmer sind einfach zu teuer.

Was können Sie als Jobvermittlerin überhaupt in einem solchen Fall tun, Frau Müller?

Müller: Im besonderen Fall von Frau Steuer hat man natürlich eingeschränkte Möglichkeiten. Man könnte Ihre begrenzte Einsatzfähigkeit über Lohnkostenzuschüsse finanziell ausgleichen. Dadurch könnten Sie für Arbeitgeber attraktiver werden. Das wird nicht einfach sein, aber man kann für Sie eine Lücke finden. Das heißt, dass man nicht nur die Stellen anschaut, die vorhanden sind, sondern Ihre Fähigkeiten betrachtet und für Sie eine passgenaue Stelle sucht.

Steuer: Ich befürchte jedoch, dass diese Strategie in der Regel entweder an der mangelhaften Ausbildung der Arbeitsvermittler oder am Willen der Arbeitgeber scheitert. Zudem sind die Arbeitgeber nach Ablauf der Förderung, zum Beispiel beim Kombilohn-Modell, meist nicht bereit, den Arbeitsvertrag zu verlängern.

Wie haben Sie das bei Ihrer Arbeitsvermittlung erlebt? Haben Sie Jobangebote bekommen, die auf Sie gepasst hätten?

Steuer: Ich habe mir immer vorher schon im Internet passende Jobangebote herausgesucht und mich direkt beworben. Zwei, drei Tage später kam dann der Vermittlungsvorschlag vom Jobcenter. Bezogen auf Ihre Frage bedeutet das: Ich führe nette Gespräche und das war es.

Müller: Sie sind aber auch eine sehr aktive Person. Wenn sie selbst über die Jobbörse alle Stellen suchen, kann der Arbeitsvermittler Ihnen natürlich auch nichts Neues präsentieren. Man hat Sie ja auch schon richtig über passende Stellen informiert.

Steuer: Von Seiten des Jobcenters kommt ein Angebot in sechs Monaten. Ein großes Problem ist auch die Erreichbarkeit. Es dauert unglaublich lange, ehe ich einen Termin vereinbaren kann. Mit sechs Wochen Wartezeit ist man noch gut bedient. Auch telefonisch sind die Vermittler schwer zu erreichen.

Haben Sie nicht genug Zeit für Ihre Kunden, Frau Müller?

Müller: Wenn man den ganzen Tag von 8 bis 16 Uhr ein Gespräch nach dem anderen führt, möchte man dem jeweiligen Kunden natürlich auch nicht unhöflich begegnen und während des Gesprächs andauernd ans Telefon gehen. Ich habe einen Anrufbeantworter und nehme mir die Zeit, die Anrufe einmal am Tag abzuhören und zurückzurufen. Das machen viele Kollegen so.

Wie viele Arbeitslose betreuen Sie im Schnitt?

Müller: Ich betreue Arbeitssuchende unter 25 Jahren, die sehe ich einmal im Monat. Ich habe bis zu 250 Kunden. Die Kollegen im Erwachsenenbereich betreuen dagegen zwischen 400 und 500 Kunden und treffen sie alle drei Monate.

Frau Steuer hat sich im Vorfeld bereits Angebote herausgesucht. Was ist Ihre Erfahrung? Geben sich die meisten Kunden Mühe, eine Arbeit zu finden?

Müller: Viele Kunden nutzen die Jobbörse. Einige sind jedoch auch mit der Technik überfordert und brauchen unsere Hilfe. Die meisten möchten einen Job. Viele haben nur nicht die Möglichkeiten, weil sie nur gering qualifiziert sind. Einige sind auch von den vielen Absagen enttäuscht und sind selbst nicht mehr so aktiv. Man sagt, dass nur rund 20 Prozent wirklich nicht an einer Arbeitsstelle interessiert sind.

Wie oft müssen Sie Hartz-IV-Empfänger dazu bringen, einen Job anzunehmen, der nicht ihren Vorstellungen entspricht?

Müller: Das passiert häufig. Das Arbeitslosengeld II ist ja nur als Notleistung vorgesehen. Es ist unser Ziel, für unsere Kunden möglichst schnell wieder eine Arbeit zu finden. Es ist ganz wichtig, dass ein Mensch einen Job hat, damit er wieder im Arbeitsmarkt integriert ist. Vielleicht kann er darüber auch in eine gewünschte Tätigkeit kommen. Deshalb muss ich meinen Kunden diese Alternative aufzeigen. Ich versuche das weniger über Druck, sondern über persönliche Beratung. Man sucht ein paar Monate lang im gewünschten Bereich. Aber wenn das nicht klappt, müssen wir eine Alternative finden. Das hat auch mit Gerechtigkeit gegenüber den Menschen zu tun, die arbeiten.

Werden Sie auch von Hartz-IV-Empfängern beschimpft oder gar bedroht?

Müller: Sicher, damit muss ich zurechtkommen. Ich versuche immer, mit den Kunden ganz sachlich umzugehen. In ihrer Hilflosigkeit können manche Menschen natürlich auch überreagieren. Doch was an Stellenangeboten zumutbar ist, gibt das Gesetz vor. Danach muss ich handeln.

Was ist Ihre Erfahrung, auch mit anderen Hartz-IV-Empfängern, Frau Steuer. Gibt es viel Wut auf die Jobvermittler oder eher Verständnis dafür, dass diese auch nur in einem gewissen gesetzlichen Rahmen handeln können.

Steuer: Da gibt es häufig viel Frust auf beiden Seiten. Das mündet in Geschrei, in Sanktionsdrohungen oder Dienstaufsichtsbeschwerden. Viele Hartz-IV-Empfänger leben in ständiger Unzufriedenheit und haben große Schwierigkeiten, mit dem wenigen Geld klar zu kommen. Da bleibt zum Beispiel kaum etwas für gesunde Ernährung übrig. Und die Jobcenter-Mitarbeiter sind ihrerseits mit einem System konfrontiert, das kaum handhabbar ist, sowohl im Schriftverkehr als auch in der Leistungsberechnung. Da passieren so viele Fehler, die systemimmanent sind. Und damit wird der Hartz-IV-Empfänger konfrontiert.

Die Situation in den Argen ist momentan ohnehin angespannt. Viele Mitarbeiter haben nur befristete Verträge. Ab 2010 ist unklar, wie es weitergeht. Ist das in Ihrem Jobcenter auch zu spüren, Frau Müller?

Müller: Ja, natürlich spürt man das. Wir müssen abwarten, wie sich das entwickelt. Wir diskutieren auch darüber.

Das beeinflusst unter Umständen die Arbeit der Jobvermittler?

Müller: Natürlich gibt es Fluktuation, natürlich gibt es diesbezügliche Belastungen. Das kann man nicht von der Hand weisen. Dennoch sind wegen der Krise allein 2009 mehr als 2500 neue Stellen geschaffen worden. Insgesamt hat sich die personelle Situation in den Argen verbessert.

Hat ihr Vermittler schon häufiger gewechselt, Frau Steuer?

Steuer: Ich wurde bislang von vier unterschiedlichen Jobvermittlern betreut. Andere haben einen häufigeren Wechsel erlebt. Was in den Essener Jobcentern auch daran liegt, dass es einen permanent hohen Krankenstand gibt. Viele Jobcenter-Mitarbeiter tun mir leid. Ich habe den Eindruck, dass vor allem die befristeten Kräfte nur in einer Art Crashkurs auf ihre Arbeit vorbereitet werden. Später werden sie dann mit den vielen Fragen der Hartz-IV-Empfänger allein gelassen. Die zugrundeliegenden Gesetze sind vollkommen wirklichkeitsfremd. Das macht nicht nur die Kunden krank, sondern auch die Jobcenter-Mitarbeiter. Eventuell müssen sie dabei auch gegen das eigene Empfinden handeln. Der Druck ist unheimlich hoch.

Müller: In den vergangenen Jahren wurde sehr viel für die Qualifizierung der Mitarbeiter getan. Die Gesetzeslage ist komplex und jeder Kunde ist individuell. Auf jeden Fall kann ich nicht vorbereitet sein. Dann habe ich mich eben zu informieren und das dem Kunden mitzuteilen. Das verlangt sehr viel Energie.

Frau Steuer sprach gerade davon, dass Jobcenter-Mitarbeiter manchmal gegen ihr persönliches Empfinden handeln müssten. Geht Ihnen das auch so?

Müller: Natürlich kann ich den Kunden nicht immer ihren Traumjob anbieten. Aber ich gebe ihnen eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen. Ich habe auch Verständnis dafür, dass manche wütend werden. Manchmal wird man aber auch persönlich angegriffen. Und dafür habe ich kein Verständnis. Ein hohes Maß an Verantwortung ist auf beiden Seiten nötig. Man erlebt auch Fälle mit, die einen persönlich mitgenehmen. Dann muss man trotzdem das nächste Gespräch mit voller Kraft führen. Arbeitsvermittler sind nur Menschen.

Macht ihnen Ihr Job Spaß?

Müller: Sonst würde ich ihn nicht machen.