Essen. Nirgendwo anders drückt sich der Wandel im Handel krasser aus als in den alten, oft leerstehenden Kaufhäusern des Ruhrgebiets. Vor allem Hertie hat eine große Lücke hinterlassen. Das Problem der ehemaligen Hertie-Häuser sind die vielen Etagen. Kaum ein Mieter will diese komplett übernehmen.
Vom Konsumtempel zur Reste-Rampe. Vom Stolz der Städte zu ihrem Sorgenkind. Und zum Albtraum der Wirtschaftsförderer: Nirgendwo anders drückt sich der Wandel im Handel krasser aus als in den alten, oft leerstehenden Kaufhäusern des Ruhrgebiets. Ob in Herne, Gladbeck oder Buer, ob in Walsum, Essen oder Oberhausen - überall zeugen die angegrauten Riesen von einer Vergangenheit, in der Shopping Mall noch ein Fremdwort war. Die Zukunft vieler Einkaufsperlen von einst liegt im Dunkeln. Investoren werden gesucht.
Der Mann, bei dem viele Fäden zusammenlaufen, sitzt in Berlin. Christoph Meyer, Mitglied der Geschäftsführung von BNP Paribas Real Estate, versucht seit Monaten, 64 frühere Hertie-Häuser zu vermarkten. Für 13 Gebäude wurden bereits Abnehmer gefunden. Gespräche mit potenziellen Käufern und Mietern laufen. „Angesichts der Wirtschaftskrise ist das ein sehr gutes Ergebnis”, findet Meyer. Und bittet um Geduld: „Ein solches Geschäft lässt sich nun mal nicht in drei Monaten abwickeln.” Das Problem vieler Häuser seien die zahlreichen Etagen. So habe Buer vier, Gladbeck drei und Herne gar fünf Stockwerke: „Es gibt keinen Mieter, der diese Flächen eins zu eins übernehmen würde”, weiß der Manager. Was bedeutet, dass jede Immobilie häppchenweise entwickelt wird. Wenn es gut geht, mit einem angesagten Filialisten wie H+M im Erdgeschoss und Büros oben.
Reges Interesse an Filialen in Essen
Wie läuft es denn im Ruhrgebiet? Wirklich euphorisch klingt die Antwort nicht: Essen sei für ihn „nicht die schwierigste Gegend”, Hertie war hier gleich in vier Stadtteilen vertreten: Borbeck, Rüttenscheid, Steele und Altenessen. Dass sich Kaufland für das Borbecker Haus interessiert, will Meyer ausdrücklich nicht bestätigen. Interessenten gebe es aber auch für andere ehemalige Hertie-Filialen. Doch was im nördlichen Revier passiert, lasse sich noch nicht genau sagen. Meyers Job ist auch deshalb schwierig, weil viele Eigentümergesellschaften vom britischen Investor Dawnay Day kontrolliert werden. Auf den hielten Insolvenzverwalter und Banken ein Auge.
Szenenwechsel: In Buer hat im Erdgeschoss des alten Hertie-Hauses „Santa's Outlet Store” aufgemacht, betrieben von einer holländischen Kette. Plastik-Tannenbäume, kitschige Winterszenen, Weihnachtsdeko für jeden Geschmack, überdeckt von einem gnadenlos klebrigen Musikteppich. Innen eine Glitzerwelt auf Zeit.. Aber draußen nimmt niemand mehr Geld in die Hand, als notwendig ist. Abzulesen am kaputten Vordach, schmutzigen Fenstern, Graffiti und alten Klebestreifen. Auch in Herne, in einem denkmalgeschützten Haus, das kaum zu vermarkten ist, wartet Santa jetzt auf Kunden.
Medizinisches Zentrum in Duisburg
Verhaltener Optimismus in Gladbeck. Stadtsprecher Peter Breßer-Barnebeck bestätigte der WAZ, dass es auf der Immobilienmesse Expo Real vier ernsthafte Anfragen für das dortige Hertie-Haus gegeben habe, zu dem ein Parkhaus mit 340 Plätzen gehört. Aber auch hier heißt es: Alles offen.
Konkrete Ergebnisse gibt es in Duisburg. So hat eine Gruppe Hamborner Ärzte die ehemalige Kaufhalle, die früher einmal zum Metro.Konzern gehörte, über Dawnay Day gekauft und baut nun ein schmuckes Medizinisches Zentrum Nord. Das NRW-Wirtschaftsministerium unterstützte die Verhandlungen. Und die Supermarkt-Kette Kaufland übernimmt das seit Februar leerstehende Hertie-Haus in Walsum. Im Herbst 2010 will man einziehen und 70 bis 90 neue Arbeitsplätze schaffen.
Oberhausen traf der Wandel am härtesten. Als die Neue Mitte und das Centro 1996 eröffneten, sah die Innenstadt sehr alt aus. Renommierte Namen wie Mensing, P&C und zuletzt C&A verschwanden.Ihre Häuser wieder mit Leben zu füllen, ist Aufgabe von City-Manager Franz Muckel, der allerdings nur bei der Mensing-Immobilie Vollzug melden kann. Im Erdgeschoss residieren jetzt Läden, darüber ein Weiterbildungsinstitut. Im C&A-Gebäude hat ein Billigmarkt eröffnet, darüber ein Lager. Zwei Etagen stehen leer.
Hoher Mietpreis
Beim Anblick der P&C-Immobilie blutet Muckel das Herz. Das Gebäude mit Jugendstilfassade an zentraler Stelle steht seit langem leer: „Es ist eines der schönsten Warenhäuser weit und breit.” Doch Besitzer Cloppenburg halte den Preis bewusst hoch: „Der möchte nicht verkaufen und will nicht von Oberhausen belästigt werden.”
Tabula rasa dagegen in Mülheim. Der glanzlose Kaufhof wird ab Sommer 2010 abgerissen und macht Platz für das „Ruhrbanium” mit 35 bis 70 Shops. Knapp über 100 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Als Hauptmieter sind ein Elektronik-Anbieter und ein Textil- oder Buchhandel im Boot. Ob die Kunden dadurch über die Schloßstraße, einst die erste Fußgängerzone der Region, gelockt werden, muss sich zeigen. Sicher ist: Es gibt einen Verdrängungswettbewerb.