Essen. . Sozialdemokraten und Gewerkschaften sind sehr zufrieden mit der Einführung des Mindestlohns. Politik entscheidet aber nicht über künftige Anpassungen.

Die Diskussion über eine Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland nimmt zum ersten Jahrestag seiner Einführung weiter Fahrt auf. Nachdem die neue SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im WAZ-Interview eine Erhöhung „über das geltende Niveau von 8,50 Euro hinaus“ gefordert hatte, legt nun der Sprecher der 22 SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet, Michael Groß, nach.

„Wir müssen bei einem Stundenlohn von 11 oder 12 Euro landen, damit die Beschäftigten eine Chance haben, im Alter oberhalb der Grundsicherung abgesichert zu sein“, sagte Groß dieser Zeitung. Das Thema Mindestlohn braucht nach Einschätzung des Politikers aus Marl „eine neue politische Begleitmusik“. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte sich zuletzt zufrieden über das Projekt Mindestlohn geäußert und von einer „großen Sozialreform“ gesprochen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete den Mindestlohn als „arbeitsmarktpolitischen Meilenstein“. „Der Mindestlohn kommt genau dort an, wo er am dringendsten gebraucht wird: bei Ungelernten, Beschäftigten der Dienstleistungsbranchen und in Ostdeutschland“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der WAZ. Ungelernte hätten im Schnitt ein Lohnplus von 3,3 Prozent verbuchen können. Der DGB forderte mehr Kontrolleure zur Überwachung des Mindestlohns.

Über den Mindestlohn entscheidet eine Kommission

Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat der Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung. IAB-Direktor Joachim Möller warf Ökonomen vor, vor der Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro ein „Schreckensszenario“ entworfen zu haben, das sich nicht bewahrheitet habe.

Die Politik kann sich einen höheren Mindestlohn zwar wünschen, frei durchsetzen kann sie ihn aber nicht. Über eine Erhöhung entscheidet eine Kommission, die aus je drei Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern und einem unparteiischen Vorsitzenden besteht. Sie werden in den nächsten Monaten mehrfach zusammenkommen und bis zum Sommer eine Entscheidung treffen, ob und wie stark der Mindestlohn zum 1. Januar 2017 steigen soll. Maßstab dafür sollen die zuvor erzielten Tarifabschlüsse sein. Sie waren 2015 um bis zu drei Prozent gestiegen. Bezogen auf den Mindestlohn wäre das eine Erhöhung um 25 Cent auf 8,75 Euro.

Michael Groß fordert nicht nur einen viel höheren Mindestlohn, sondern auch einen öffentlich finanzierten sozialen Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet für Langzeitarbeitslose und Menschen, die geringe Chancen auf reguläre Beschäftigung haben. „Sie könnten in der Unterstützung der Pflege arbeiten, in Kitas und anderen sozialen Einrichtungen, als Zugbegleiter, oder sie könnten sich um öffentliche Gebäude und Räume in Wohnquartieren kümmern“, sagte der Politiker.

Mehr Eigenständigkeit für das Ruhrgebiet?

Groß bezeichnete es im Gespräch mit dieser Redaktion als „sinnvoll, das Ruhrparlament und den RVR weiter aufzuwerten.“ Der Regionalverband Ruhr sollte Kompetenzen von den Bezirksregierungen und den Landschaftsverbänden übernehmen, zum Beispiel bei der Jugendhilfe und bei der Raumordnung. „Der RVR sollte eigenständig als Gebietskörperschaft gegenüber dem Land auftreten können. Die alte Vorstellung, ein einiges Ruhrgebiet wäre im Vergleich mit den umliegenden Regionen zu mächtig, ist heute völlig falsch. Das Ruhrgebiet hat heute eher Nachholbedarf im Vergleich zu Sauer-, Sieger- und Münsterland“, sagte der Abgeordnete.