Essen. . Interview mit Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger: Er will den Konzern als Ganzes erhalten. Für den Stahl erwägt er einen Zusammenschluss mit Konkurrenten.
Konzernchef Heinrich Hiesinger lässt keinen Zweifel daran, dass es eine existenzielle Krise war, in der sich das Essener Traditionsunternehmen Thyssen-Krupp vor wenigen Jahren befand. Nach Jahren mit schweren Verlusten hat der Konzern vor wenigen Tagen aber zum zweiten Mal eine Bilanz mit schwarzen Zahlen vorgelegt. Der Jahresüberschuss von 268 Millionen Euro entspricht einer Steigerung um 37 Prozent. „Noch sind wir nicht am Ziel, aber wir sind einen großen Schritt vorangekommen“, urteilte Hiesinger. Warum die weltweit 155 000 Mitarbeiter trotz vieler Fortschritte auch jetzt nicht durchatmen können, sagt Hiesinger im Gespräch mit Andreas Tyrock, Stefan Schulte und Ulf Meinke.
Herr Hiesinger, die ersten Jahre nach Ihrem Amtsantritt 2011 waren von der tiefen Krise des Konzerns geprägt. Wo steht das Unternehmen heute?
Hiesinger: Wir haben im vergangenen Geschäftsjahr wieder deutliche Fortschritte bei der Umsetzung unserer strategischen Weiterentwicklung gemacht und uns bei den wichtigen Finanz-Kennzahlen weiter verbessert. Das ist ein Erfolg, aber die Transformation ist noch nicht vollständig gelungen. Unsere Mitarbeiter liefern hervorragende Leistungen, dennoch müssen wir feststellen: Von unserem eigenen Anspruch sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Im Vergleich mit unseren Wettbewerbern gehören wir in vielen Bereichen noch nicht zu den Besten.
Thyssen-Krupp stand in den vergangenen Monaten und Jahren unter enormer Anspannung. Ist nun Durchatmen möglich?
Hiesinger: Die Anspannung wird hoch bleiben. Unser Umfeld ist herausfordernd. Auf konjunkturellen Rückenwind können wir nicht setzen. In China geht das Wachstum zurück, auch Brasilien – ein wichtiger Markt für uns – entwickelt sich nicht gut. Dieses Umfeld können wir nicht ändern. Gerade deshalb dürfen wir jetzt nicht aufhören, weiter an unserer Leistungsfähigkeit zu arbeiten. In der komplexen Welt von heute müssen wir uns an dauerhafte Veränderungen gewöhnen.
Ist Thyssen-Krupp aus eigener Kraft zu höheren Leistungen fähig? Könnte das Unternehmen effizienter sein?
Hiesinger: Ja. In uns steckt noch viel Potenzial – im Vertrieb, im Einkauf, bei Innovationen. Wir müssen kontinuierlich an der inneren Stärke des Unternehmens arbeiten. Für dieses Geschäftsjahr haben wir uns weitere 850 Millionen Einsparungen vorgenommen. Zudem setzen wir konsequent auf die Digitalisierung im Unternehmen, um noch effizienter zu werden und uns mit unseren Kunden zu vernetzen.
Gehen mit der Digitalisierung Arbeitsplätze verloren?
Hiesinger: Es wird vermutlich eine Verschiebung geben. Einfache Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung weniger, dafür werden anspruchsvollere Stellen neu entstehen. Entscheidend ist aber, dass wir es schaffen, mit der Digitalisierung zu wachsen. Das wirkt sich langfristig positiv auf die Beschäftigung aus.
Die Kraft aus der Gruppe - darum soll Thyssen-Krupp ein Ganzes bleiben
Sie sind mit dem Konzept angetreten, Thyssen-Krupp im Verbund, also als Ganzes weiterzuentwickeln. Ein Verkauf von Sparten – Aufzüge, Anlagenbau oder Autozulieferer – könnte kurzfristig viel Geld in die Kassen spülen. Sind das für Sie Optionen?
Hiesinger: Nein, wir können als integriertes Unternehmen mehr erreichen. Die einzelnen Geschäfte profitieren von der Zusammenarbeit, beispielsweise durch eine gemeinsame Forschungsstrategie. Wir ergänzen unsere Fähigkeiten und schaffen neue Produkte wie unseren seillosen Aufzug Multi. Unsere integrierte Arbeitsweise macht uns auch effizienter. 2,7 Milliarden Euro hat das schon gebracht. Wir haben uns so in den vergangenen Jahren Stück für Stück aus der operativen Krise herausgearbeitet. Dass unser Plan aufgeht, zeigt die kontinuierliche Verbesserung unserer Finanzen. Wir haben geliefert, was wir versprochen haben.
Gibt es Ihnen zu denken, dass die Aufzugsparte an der Börse möglicherweise mehr Wert ist als Thyssen-Krupp insgesamt?
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Hiesinger: Solche Rechnungen klingen gut, sind aber unvollständig. Denn dabei wird oft vergessen, dass die Pensionen und Schulden auf der Konzernebene verbucht sind. Insofern helfen uns solche Gedankenspiele nicht weiter. Unser Ziel ist es, alle Geschäfte von Thyssen-Krupp kontinuierlich besser zu machen.
Der Finanzinvestor Cevian macht Druck und sieht die Verbund-Strategie dem Vernehmen nach skeptisch. Cevian hält immerhin 15 Prozent an Thyssen-Krupp. Mehr, nämlich 23 Prozent, hat nur die Krupp-Stiftung. Macht es Sie nervös, wenn gestreut wird, Cevian sei unzufrieden?
Hiesinger: Vor meiner Vertragsverlängerung vor einem Jahr haben wir uns viel Zeit dafür genommen, im Aufsichtsrat ausführlich über die Strategie zu diskutieren. Wir haben damals auch über verschiedene Optionen gesprochen. Danach hat sich der Aufsichtsrat einstimmig für unseren Weg entschieden, der nicht auf Kurzfristigkeit, sondern auf mittel- bis langfristige Wertsteigerung ausgelegt ist.
Aber die Eigenkapitalquote ist nach wie vor unbefriedigend – oder?
Hiesinger: Ja. Die Eigenkapitalquote ist mit neun Prozent nicht da, wo sie sein sollte. Unser Ziel lautet mindestens 15 Prozent. Zur Erinnerung: Wir lagen aber auch schon bei sieben Prozent. Wir kommen also voran und arbeiten daran, unser Eigenkapital Schritt für Schritt zu verbessern.
Wann wird Thyssen-Krupp in einer Verfassung sein, wie Sie es sich wünschen?
Hiesinger: Angesichts des volatilen Umfelds fehlt die verlässliche Basis, um langfristige Ziele mit genauen Zeitplänen zu verbinden. Wir sind noch nicht auf dem Niveau, wo wir sein müssen, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
In der Stahlbranche mehren sich die Krisensignale. Wie groß ist die Belastung für Thyssen-Krupp?
Hiesinger: Unsere Stahlmannschaft hat tolle Arbeit geleistet und das Ergebnis im abgelaufenen Jahr verdoppelt. Auch jetzt werden weitere Verbesserungsmaßnahmen angestoßen. Aber klar ist auch, dass wir uns in einem schwierigen Umfeld bewegen. Es gibt Überkapazitäten in Europa. Sorge bereitet uns auch, dass sehr viel mehr Stahl importiert wird, der im Vergleich zu unseren Standards in Deutschland mit einem höheren CO2-Ausstoß produziert wurde und zu Dumpingpreisen verkauft wird. Daher kämpfen wir für vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört auch, dass in der aktuellen Klimaschutzdebatte keine Ziele aufgestellt werden, die unsere Industrie im globalen Wettbewerb weiter benachteiligen.
Sie haben einmal gesagt, Thyssen-Krupp sei „kein Stahlkonzern mehr“. Schon heute trage die Stahlsparte „nur noch“ rund 30 Prozent zum Konzernumsatz bei – Tendenz fallend. Wollten Sie damit eine Trennung von der Sparte vorbereiten?
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Hiesinger: Die Aussage ist nicht gegen den Stahl gerichtet, sondern zeigt, wie wir uns als Unternehmen gewandelt haben. Früher war es so: Ging es dem Stahl gut, ging es Thyssen-Krupp gut. Ging es dem Stahl schlecht, ging es Thyssen-Krupp schlecht. Heute haben wir mehrere starke Standbeine wie die Aufzüge, den Anlagenbau, das Autozuliefergeschäft und den Stahl.
Ist auch eine komplette Trennung von der Stahlsparte möglich?
Hiesinger: Die Ergebnisse zeigen, dass unsere Stahlsparte zu den Besten in Europa gehört. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass das auch so bleibt. Aber wir sehen die Probleme der gesamten Stahlindustrie und gehen dabei davon aus, dass es irgendwann zu Zusammenschlüssen von Stahlherstellern in Europa kommen wird. Nur: Niemand kann sagen, wann es soweit sein wird. Wenn sich Chancen bieten, müssen und werden wir uns daran beteiligen. Das wollen wir aus einer Position der Stärke tun. Damit gehen wir offen und ehrlich um. Das ist aber nicht neu, diese Position ist allen bekannt.
Warum im neuen Logo keine Bramme mehr ist
Thyssen-Krupp bekommt ein neues Konzernlogo. Beim Markenauftritt ist die Stahlbramme schon verschwunden. Ein Zufall?
Hiesinger: Auch mit unserem Markenauftritt möchten wir zeigen, dass wir ein anderes Unternehmen sind als noch vor wenigen Jahren. Unser Logo strahlt Leichtigkeit und Frische aus und verbindet Tradition und Moderne. Wir sind jetzt eins.
Warum kümmern Sie sich nun um den Markenauftritt? Salopp gefragt: Haben Sie keine anderen Sorgen?
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Hiesinger: Wir haben bei Thyssen-Krupp viele Veränderungen auf den Weg gebracht und damit überhaupt erst die Voraussetzung für diesen Schritt geschaffen. Wir haben die Kultur verändert. Wir arbeiten gemeinsam als integriertes Unternehmen und wir haben uns finanziell Schritt für Schritt aus der Krise herausgearbeitet. Noch sind wir nicht am Ziel, aber wir sind einen großen Schritt vorangekommen. Auch viele Mitarbeiter haben uns gesagt: Bei Thyssen-Krupp hat sich so viel verändert, aber das wird nirgends sichtbar. Genau hier setzt die neue Marke an.
Stand auch zur Debatte, den Namen von Thyssen-Krupp komplett zu ändern?
Hiesinger: Wir sind ergebnisoffen gestartet und haben mehr als 6000 Menschen gefragt, wofür Thyssen-Krupp ihrer Meinung nach steht. Da war schnell klar, dass der Name Thyssen-Krupp eine große Wirkung und eine hohe Zugkraft hat. Gerade aus dem Ausland gab es starke Stimmen, auf jeden Fall am Namen festzuhalten.
Der neue Slogan lautet „engineering. tomorrow. together“. Wie würden Sie das übersetzen?
Hiesinger: Eine deutsche Übersetzung des Claims gibt es bewusst nicht. Auch das gehört zum Wandel. Von unseren 155 000 Beschäftigten arbeiten mehr als 100 000 außerhalb Deutschlands. Wir sind ein internationaler Konzern. Aber es gibt eine inhaltliche Übersetzung: Thyssen-Krupp steht für Ingenieurkompetenz, wir arbeiten an Lösungen für die Zukunft, und wir tun das gemeinsam mit unseren Kunden. Oder anders: Die drei Worte beschreiben, wer wir sind, was wir tun und wie wir dies tun.
Mit dem neuen Markenauftritt sollen auch traditionsreiche Unternehmensnamen wie Rasselstein, Uhde, Hoesch Hohenlimburg oder Polysius verschwinden oder zu Produktnamen degradiert werden. Manchem Beschäftigten fällt das schwer.
Hiesinger: Dafür habe ich Verständnis. Aber auf Produktebene bleiben viele Namen erhalten. Wir reden dann beispielsweise vom „Uhde-Verfahren“. Zurzeit gibt es bei Thyssen-Krupp noch 180 Marken. Das ist viel zu komplex und zu teuer. Eine einheitliche und starke Dachmarke bringt viele Vorteile. Wir kennen das doch alle: Unsere Welt wird von Bildern und Botschaften beherrscht. Marken sorgen für Wiedererkennung. Alle unsere großen Konkurrenten treten einheitlich auf. Unser bisheriges Markensammelsurium schwächt uns im Wettbewerb.
Sie haben rasch nach Ihrem Amtsantritt die Firmenkultur von Thyssen-Krupp verändern wollen. Die Diskussion über die Jagden und den Firmenflieger im Firmenbesitz ist noch in guter Erinnerung. Geht es auch um Symbole?
Hiesinger: Symbole müssen sein – nach innen und außen. Aber entscheidend ist, dass wir uns nachhaltig verbessern. Daher haben wir Hierarchien im Unternehmen gestrichen, wir agieren deutlich offener. Wir ermutigen unsere Mitarbeiter ausdrücklich immer wieder, auf uns zuzugehen, wenn es an der einen oder anderen Stelle nicht rund läuft. Das ist wichtig, damit wir uns kontinuierlich verbessern. Wir setzen auf Offenheit, gegenseitige Wertschätzung und Respekt.
Sie setzen in Ihrem Markenversprechen ausgerechnet auf den guten Ruf des Ingenieurs. Doch der Ruf von „German Engineering“ droht durch den VW-Skandal Schaden zu nehmen. Sehen Sie auch Risiken für Thyssen-Krupp?
Hiesinger: „Made in Germany“ wird weiterhin einen guten Klang haben. Ich war gerade in China, da spielte die deutsche Diskussion keine Rolle. Natürlich wird sich die ganze Industrie die Frage stellen: Was können wir lernen? Für mich gilt grundsätzlich, dass mit einer Leistungsorientierung immer auch eine Werteorientierung einhergehen muss. Das ist die Unternehmenskultur, an der wir bei Thyssen-Krupp unablässig arbeiten.
Thyssen-Krupp stand unlängst am Abgrund, weil Probleme zu lange verschleppt und verschwiegen worden sind. Wie stellen Sie sicher, dass sich so ein Fall nicht wiederholt?
Hiesinger: Auch wir haben uns die Frage gestellt: Wie konnte es passieren, dass wir in eine solche Existenzkrise geraten sind – und keiner hat warnend die Hand gehoben? Das darf nie wieder passieren. Deshalb ist es so wichtig, dass Mitarbeiter ermutigt werden, sich zu melden, wenn etwas in die falsche Richtung läuft. Und als Führungskräfte müssen wir mit diesen Themen umgehen können und haben eine Vorbildfunktion.
Sie haben bei einer breit angelegten Befragung herausgefunden, dass Thyssen-Krupp eine „eigene DNA“ hat. Wie viel von der Thyssen-Krupp-DNA steckt in Ihnen, Herr Hiesinger?
Hiesinger: Ich denke schon, dass es einige Übereinstimmungen gibt. Ich bin auch mit Leidenschaft Ingenieur. Ich versuche, Menschen mit Wertschätzung zu begegnen. Verlässlichkeit steht für mich ganz oben, und ich bin ein optimistischer Mensch, auch wenn es rau wird.