Düsseldorf. . Billig-Importe aus China, Subventionen, Klima-Auflagen: Stahl-Präsident Kerkhoff warnt vor Belastungen für die Branche mit ihrem Standort Duisburg.
Der deutschen Stahlindustrie machen chinesische Billig-Importe zu schaffen. Derzeit gelange „in großen Mengen Stahl aus China zu Dumpingpreisen nach Europa und Deutschland“, sagt Deutschlands Stahl-Präsident Hans Jürgen Kerkhoff. „Das besorgt uns sehr.“ Die Folge der chinesischen Exportpolitik sei, dass in Europa marktwirtschaftlicher Wettbewerb verhindert werde. Insofern sei es folgerichtig, dass die EU-Kommission mit vorläufigen Zöllen auf einzelne Stahlsorten aus China reagiert habe.
Sorgen bereiten der deutschen Stahlindustrie auch Pläne für eine Verschärfung des Handels mit industriellen Rechten zum Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). „Vor einer weiteren Verschärfung des Emissionshandels kann ich nur warnen. Sonst könnten einige Hersteller in eine dramatische Lage geraten“, betont Kerkhoff.
Vor wenigen Wochen hat der finnische Konzern Outokumpu das frühere Thyssen-Krupp-Edelstahlwerk in Bochum stillgelegt. Ob weitere Werke in Gefahr sind und wo die Risiken für die Brache liegen, erläutert Stahl-Präsident Kerkhoff im Interview.
Die deutsche Stahlindustrie steht unter Druck. Vielerorts gab es Stellenabbau. Unter anderem in Bochum und Düsseldorf sind unlängst sogar Werke geschlossen worden. Müssen wir uns auch um Europas größten Stahlstandort Duisburg Sorgen machen?
Kerkhoff: Nein. Grundsätzlich hat der Werkstoff Stahl gute Perspektiven. Viele Potenziale sind noch nicht gehoben, etwa bei der Entwicklung neuer Stähle für den Bau besonders leichter Stahl-Anwendungen. Welche Zukunft die Stahlindustrie in Deutschland hat, hängt aber auch entscheidend von den Rahmenbedingungen ab.
Was meinen Sie damit?
Kerkhoff: Die Werksschließungen hatten unter anderem mit den Energiepreisen in Deutschland zu tun. Weitere finanzielle Sonderlasten wären nicht tragbar. Wir müssen außerdem darauf achten, dass wir die energieintensive Industrie nicht mit unrealistischen Klimaschutzzielen überfordern.
Der Branche machen seit geraumer Zeit Überkapazitäten zu schaffen. Da viel Stahl auf dem Markt ist, sind die Preise niedrig. Müssen weitere Stahlwerke schließen?
Kerkhoff: Die Stahlwerke in Deutschland sind zu rund 90 Prozent ausgelastet. Das zeigt, dass die Unternehmen den Bedarf decken. In Europa liegt die Auslastung bei etwa 75 Prozent. Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen sind eine ständige unternehmerische Aufgabe. Sie werden aber mancherorts durch staatliche Eingriffe verhindert.
Sie spielen auf den italienischen Stahlhersteller Ilva an.
Kerkhoff: Ilva ist jüngst re-verstaatlicht worden und erhält rund zwei Milliarden Euro als staatliche Hilfe, während es die europäischen Nachbarn alleine schaffen müssen. Gegen die Subventionen der Italiener haben wir bei der EU-Kommission eine förmliche Beschwerde eingereicht. Fairer Wettbewerb wird auch dadurch verhindert, dass in großen Mengen Stahl aus China zu Dumpingpreisen nach Europa und Deutschland gelangt. Das besorgt uns sehr. In China gibt es Überkapazitäten im Umfang von 300 Millionen Tonnen. Das ist das Doppelte dessen, was wir in Europa verwenden. China exportierte 2014 mehr als 90 Millionen Tonnen. Das belastet auch den deutschen Markt.
Autohersteller und Maschinenbauer in Europa bekommen allerdings auch preisgünstigen Stahl. Was soll daran schlecht sein?
Kerkhoff: Die Stahlindustrie ist nicht grundsätzlich gegen Importe. Stahl zu Dumpingpreisen hat aber nichts mit fairem Wettbewerb zu tun. China ist keine Marktwirtschaft. Die Folge der chinesischen Exportpolitik ist, dass in Europa marktwirtschaftlicher Wettbewerb verhindert wird und leistungsfähige innovative Unternehmen geschädigt werden. Insofern ist es folgerichtig, dass die EU-Kommission mit vorläufigen Zöllen auf einzelne Stahlsorten aus China reagiert hat.
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Bei der Produktion von Stahl gelangt viel klimaschädliches Kohlendioxid in die Umwelt. Zuletzt hat sich die Öffentlichkeit in Deutschland aber insbesondere auf die Zukunft der Kohlekraftwerke konzentriert. Rechnen Sie damit, dass auch die Stahlindustrie in absehbarer Zeit strengere Klimaschutzauflagen erfüllen soll?
Kerkhoff: Wir werten es als positives Zeichen, dass die „Klimaabgabe“ für Kraftwerke nun vom Tisch ist. Der Einsatz insbesondere des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Duin hat sich offensichtlich gelohnt. Tatsächlich stehen wir als Stahlindustrie mit Blick auf die Klima- und Energiepolitik vor entscheidenden Monaten.
Warum?
Kerkhoff: Beim EU-Handel mit CO2-Zertifikaten stehen wichtige Weichenstellungen an. Stahlproduktion ohne CO2 ist nicht möglich. Selbst die besten Stahlhersteller, die am technischen Optimum arbeiten, müssen Zertifikate kaufen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die global konkurrierenden Unternehmen in Deutschland. Vor einer weiteren Verschärfung des Emissionshandels kann ich nur warnen. Sonst könnten einige Hersteller in eine dramatische Lage geraten. Wir sollten Stahl im Übrigen auch danach beurteilen, dass er in vielerlei Hinsicht zum Klimaschutz beiträgt, etwa bei der Produktion von immer leichteren Autos. Außerdem ist Stahl recycelbar und insofern schon seit jeher ein grüner Werkstoff.
Gleichwohl wird bei der Stahlproduktion viel Energie benötigt.
Kerkhoff: Tatsächlich drohen der Branche auch an dieser Stelle weitere Belastungen. Ich denke an die sogenannte Eigenstrom-Erzeugung. Deutschlands Stahlhersteller, die Gase aus dem Hochofen verstromen, sind noch bis zum Jahr 2017 teilweise von der Zahlung der Erneuerbare-Energien-Umlage befreit. Durch einen Wegfall dieser Regelung könnten den Unternehmen zusätzliche Kosten von 120 Millionen Euro jährlich entstehen. Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene für eine allgemeine Befreiung der industriellen Eigenstromerzeugung von der EEG-Umlage einsetzt. Unternehmen, die Hüttengase ökologisch sinnvoll einsetzen, sollten nicht dafür bestraft werden.
Am Beispiel von Thyssen-Krupp lässt sich erkennen, wie sich die Stahlbranche insgesamt verändert. Konzernchef Hiesinger will nicht allein auf den Stahl setzen, sondern baut das Unternehmen zu einem breit aufgestellten Industriekonzern um. Die Bedeutung des Stahls nimmt ab. Können Sie sich Thyssen-Krupp ganz ohne Stahl vorstellen?
Kerkhoff: Thyssen-Krupp, Arcelor-Mittal und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) haben in den letzten Jahren am Standort Duisburg zusammen rund eine Milliarde Euro investiert und damit ein Zeichen für die Zukunft des Stahls gesetzt. Generell profitiert die deutsche Industrie von einer gut funktionierenden Wertschöpfungskette, in der Stahl eine wichtige Rolle spielt. Bundesweit zählt die Stahlindustrie rund 87.000 Arbeitsplätze, 47.600 davon befinden sich in NRW. Laut einer Studie des Essener Instituts RWI hängen sogar 3,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland direkt oder indirekt vom Stahl ab. Unsere Stahl-Werkstoffkompetenz entscheidet also auch über die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.