Essen. RWE-Chef Peter Terium sieht das Unternehmen in einer schwierigen Lage, aber verweist auf Fortschritte. Auch eine Konzernaufspaltung sei eine Option.
Der Energieriese RWE befindet sich im Umbruch. Jahrelang sprudelten die Gewinne, doch das ist vorbei. Die Stromerzeugung in großen Kraftwerken rechnet sich oft kaum noch. Bei einem Redaktionsbesuch nimmt sich RWE-Chef Peter Terium zweieinhalb Stunden Zeit, um über die Lage zu reden. Mit Terium sprachen Andreas Tyrock, Stefan Schulte und Ulf Meinke.
Herr Terium, seit vielen Monaten befindet sich RWE schon im Krisenmodus. Hätten Sie das bei Ihrem Amtsantritt vor mehr als drei Jahren erwartet?
Terium: Es war mir sehr wohl bewusst, dass RWE eine Krise bevorsteht. Wie tief und andauernd die Krise sein würde, war mir nicht klar, auch nicht die schwierige Planbarkeit der politischen Prozesse. Nichtsdestotrotz habe ich diese Aufgabe gerne übernommen. Wohl wissend, dass der Wandel von RWE nicht von heute auf morgen zu bewältigen sein wird.
Bei Ihrem Amtsantritt im Juli 2012 hat eine RWE-Aktie noch mehr als 30 Euro gekostet. Zuletzt näherte sich der Wert der 10-Euro-Marke. Auch wenn es in den vergangenen Wochen wieder eine leichte Erholung gab: Tut dieser Kurseinbruch weh?
Terium: Natürlich ist das nicht schön. Dass der Verfall der Großhandelsstrompreise auch unsere Ergebnisse negativ beeinflusst, war aber 2012 absehbar. Das hat auch den Börsenkurs gedrückt. Auch die Sprunghaftigkeit der Politik und die Diskussion über die Rückstellungen für die Kernenergie haben Investoren verunsichert.
Gibt es für RWE und damit auch für die Beschäftigten und Aktionäre eine Aussicht auf Besserung?
Terium: Unsere Krise ist noch nicht ausgestanden. Wir haben zu kämpfen. Aber wir haben schon viel erreicht. Wir haben unsere Schulden abgebaut, Ballast abgeworfen, uns effizienter aufgestellt und das Unternehmen solide durchfinanziert. Gleichzeitig haben wir einen Kulturwandel im Unternehmen auf den Weg gebracht. Nun wollen wir uns verstärkt dem Thema Innovationen widmen und unsere Wachstumsbereiche stärken. Um in Zeiten des Umbruchs bestehen zu können, braucht es Kreativität. An dieser Stelle haben wir einiges zu bieten.
Es wurde sogar über einen Abstieg von RWE aus dem Dax spekuliert. War das übertrieben?
Terium: Dass es angesichts der Kursentwicklung Spekulationen gibt, lässt sich nicht vermeiden. Unsere aktuelle Frage ist: Wie gestalten wir die Zukunft? Danach ergibt sich vieles von selbst.
Wohin steuert RWE denn in Zukunft?
Terium: Wir gehen derzeit weiterhin von einem integrierten Ansatz aus – mit Stromerzeugung durch konventionelle Großkraftwerke und erneuerbare Energien, mit einem Netzgeschäft und Vertrieb. Wir sehen aber, dass die konventionelle Stromerzeugung angesichts sinkender Börsenstrompreise immer schwieriger wird.
Weshalb sich Eon jetzt von der klassischen Stromerzeugung in großen Kohle- und Gaskraftwerken trennt. Als Ihr Konkurrent das vor einem Jahr verkündete, haben Sie trotzig gesagt: „Wir sorgen dafür, dass das Licht anbleibt.“ Kann es sein, dass Sie nun doch dem Vorbild von Eon folgen?
Terium: Nein. Wir gehen unseren eigenen Weg. Zu unserer Gesamtverantwortung gehört nicht nur, den Ausstieg aus der Kernenergie zu begleiten, sondern auch, unseren Beitrag zu einer sicheren Stromversorgung zu leisten. Wir wollen uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Ich habe aber auch schon in der Vergangenheit gesagt, dass der Fall X eintreten kann, wenn es entsprechende politische oder regulatorische Vorgaben gibt oder der Markt uns dazu zwingt. Bei einem Börsenstrompreis von dauerhaft unter 28 Euro wird es langsam spannend.
Mit „Fall X“ meinen Sie eine Aufteilung des Konzerns? Weit entfernt vom besagten Börsenstrompreis sind Sie ja nicht.
Terium: Es ist nicht so, dass wir bei einem bestimmten Preis auf den Knopf drücken werden. Aber wir halten uns Handlungsoptionen offen. Wie wir reagieren, liegt in unserer Hand. Wir wollen wachsen und könnten schneller aus der Krise kommen, wenn uns der Zugang zu frischem Geld gegeben würde. Der Kapitalmarkt hält sich aber derzeit zurück, denn Investoren wollen die Sicherheit, dass ihr Geld in Wachstum fließt und nicht in die falsche Richtung abgezweigt wird.
Ein Grund mehr für eine Aufspaltung.
Terium: Im Moment steht das nicht an. Aber seien Sie gewiss: Sollte es irgendwann soweit sein, werden wir eine gute Lösung finden.
Müssen die Stromverbraucher mit weiter steigenden Preisen rechnen?
Terium: Das liegt nicht allein in unserer Hand. Ein Großteil des Preises ist politisch bedingt oder liegt in den Folgen der Energiewende begründet. Durch den Ausbau des Stromnetzes steigen die Netzentgelte, hinzu kommen unter anderem die Stromsteuer und die Umlage für Erneuerbare Energien. Als Unternehmen arbeiten wir daran, effizienter zu werden und im starken Wettbewerb um die Kunden zu bestehen.
Viele Jahre hinweg wurde durch die kommunalen Aktionäre mit den Gewinnen von RWE auch der Nahverkehr im Ruhrgebiet subventioniert. Doch das wird schwieriger. Schon die im vergangenen Jahr ausgezahlte Dividende hat RWE auf 1 Euro je Aktie halbiert. Einige Städte stellen sich bereits auf eine weitere Kürzung ein. Zu Recht?
Terium: Das Thema Dividende steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Generell wäre es aber falsch, übertriebene Hoffnungen zu verbreiten. Unsere Eigenkapitaldecke ist dünn. Und wir brauchen Geld im Unternehmen, um Investitionen in die Zukunft tätigen zu können.
Müssen sich die Beschäftigten auf weiteren Stellenabbau einstellen?
Terium: Dass wir effizienter werden müssen, ist ein Dauerthema. Wir müssen uns regelmäßig fragen, wo wir noch besser werden und Kosten einsparen können. Auch der Rückgang in der konventionellen Stromerzeugung wird Arbeitsplätze kosten. An anderer Stelle wollen wir durch neue Geschäftsfelder Jobs aufbauen.
Sie haben RWE einen strikten Sparkurs verordnet. Aber Sparen allein dürfte kaum ausreichen, um RWE wieder zu einem erfolgreichen Unternehmen zu machen. Womit wollen Sie künftig Geld verdienen, wenn die Stromerzeugung immer weniger abwirft?
Terium: Wir haben mit dem Netzgeschäft, unseren Vertriebsaktivitäten und den erneuerbaren Energien mehrere profitable Standbeine. Darauf können wir aufbauen. In den nächsten drei Jahren möchten wir eine Milliarde Euro in die Erneuerbaren investieren, insbesondere in Windenergie und neuerdings auch in große Photovoltaikanlagen. Auch das Geschäft rund um Energiedienstleistungen, mit dem wir heute bereits 500 Millionen Euro umsetzen, und intelligente Gebäudetechnik bietet vielfältige Chancen. Außerdem werden wir massiv Geld in neue und intelligente Netze stecken.
Ist die Krise notwendig, um RWE neu zu erfinden?
Terium: Oft hilft eine Krise auch, um Dinge in Bewegung zu bringen. Als Vorstand ist es unsere Aufgabe, die Dinge zu beschleunigen und in die richtige Richtung zu lenken. Gelegentlich neigen Unternehmen, in denen es lange Zeit gut lief, zu einer gewissen Arroganz. Eine solche Haltung oder eine Wagenburgmentalität kann sich heute kein Unternehmen leisten. Auch wir müssen uns als Unternehmen noch stärker unseren Kunden und Geschäftspartnern öffnen.
Das Beispiel VW zeigt, wie schnell ein großer Konzern ins Taumeln geraten kann. Ist bei VW auch ein wesentlicher Grund für die Krise, dass Probleme zu lange unter der Decke gehalten worden sind?
Terium: Ich möchte mir als Außenstehender kein Urteil zu VW erlauben. Für mich ist grundsätzlich klar, dass es zu einer modernen Führung gehört, Widerspruch zuzulassen und einzufordern. Das mag manchmal anstrengend sein, kann aber ein Unternehmen in bestimmten Fällen vor einer Katastrophe bewahren.
Wie blicken Sie als Manager aus den Niederlanden auf den Standort Deutschland? Die Krisenmeldungen häufen sich. Der Umgang mit den Flüchtlingen belastet die Regierung, mit VW taumelt der größte Autobauer und auch der Fußball-Bund hat seine Affäre. Ist der gute Ruf Deutschlands in Gefahr?
Terium: In den Niederlanden sagen wir gerne etwas scherzhaft: Die Deutschen haben immer Recht, aber leider übertreiben sie meistens. Aber im Ernst: Es gibt viele gute Beispiele, wie Unternehmen und Institutionen in Deutschland gestärkt aus Krisen hervorgegangen sind. Den Wandel treibt man voran, indem man ihn gestaltet.
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise, aber auch mit der Energiewirtschaft ist oft das Wort „systemrelevant“ zu hören, wenn es um Rettungsaktionen für Unternehmen geht. Ist RWE systemrelevant?
Terium: Nein, RWE ist nicht systemrelevant. Wir haben in der Energiebranche viel verbessert, was im Finanzsektor kritisiert worden ist. In der Energiewirtschaft sind die Oligopole verschwunden, Überkapazitäten werden abgebaut. Trotzdem würde es der Gesellschaft weh tun, wenn RWE etwas passiert.
Die Reaktor-Katastrophe von Fukushima hat gezeigt, dass die Atomkraft eine Risikotechnologie ist. Jagt Ihnen das als Chef eines Atomkonzerns gelegentlich Angst ein?
Terium: Angst ist kein guter Ratgeber. Ich würde einen schlechten Job machen, wenn ich mich von Angst leiten lassen würde, denn aus der Hirnforschung wissen wir: Bei Angst funktionieren bestimmte Teile des Gehirns nicht mehr.
Wer hat sich in den mehr als drei Jahren, die Sie bei RWE sind, mehr verändert – das Unternehmen oder Sie?
Terium: Ich habe mich weiterentwickelt, aber nicht grundsätzlich verändert. RWE hat sich sicherlich verändert.