Berlin. Die vier großen Stromkonzerne in Deutschland können nach Einschätzung der Bundesregierung die Milliardenkosten des Atomausstiegs zusammen bewältigen.
Die Energie-Versorger können die AKW-Abriss-Kosten und die Atommüll-Lagerung einem Gutachten zufolge selber stemmen. Der am Samstag veröffentlichte sogenannte Stresstest im Auftrag des Bundes zeigt zwar, dass die Vorsorge der Konzerne in einem Extrem-Szenario um rund 39 Milliarden Euro aufgestockt werden müsste. Dennoch würden die Versorger mit ihrem Vermögen von rund 83 Milliarden Euro auch dies schultern können.
Auch interessant
"Die Unternehmen sind in der Lage, die Kosten des Kernenergieausstiegs zu tragen", fasste Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Studie zusammen. Es sei selbstverständlich, dass sie dies auch täten. Nach einem positiven Szenario des Tests reichen sogar die bereits gebildeten Rückstellungen von gut 38 Milliarden mehr als aus, um Abriss und Lagerung des radioaktiven Mülls zu bezahlen. In diesem Fall könnten sogar 25 Milliarden Euro Vorsorge genügen.
Kein Steuergeld für die Atom-Altlasten notwendig
"Mit diesen Feststellungen haben Spekulationen über einen etwaigen Bedarf für höhere Rückstellungen in den Bilanzen keine sachliche Grundlage", erklärten die vier großen Versorger EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall in einer gemeinsamen Stellungnahme. Auch der internationale Vergleich zeige, dass die Vorsorge für Kernenergieverpflichtungen "auf hohem Niveau liegt". An der Bilanzierungspraxis der deutschen Versorger ändere sich nichts.
Die Bundesregierung hatte den Stresstest der Konzern-Bilanzen bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth&Klein Grant Thornton in Auftrag gegeben. Hintergrund ist, dass der Bund angesichts der angeschlagenen Versorger RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW sicher stellen will, dass kein Steuergeld für die Atom-Altlasten aufgebracht werden muss. Die Versorger sind wegen der Energiewende mit der wachsenden Konkurrenz des Ökostroms und fallenden Strompreisen an den Börsen unter Druck.
Gutachten: Kosten für Altlasten betragen 47,5 Milliarden Euro
Die Konzerne kalkulieren dem Gutachten zufolge nach heutigen Preisen gerechnet mit Kosten für die Altlasten von insgesamt 47,5 Milliarden Euro, die über viele Jahre anfallen. Die jetzt dafür schon zur Verfügung stehenden Rückstellungen von 38 Milliarden Euro seien dafür angemessen, urteilen die Gutachter. Etwa 20 Milliarden fallen demnach für den Abriss an, gut acht Milliarden Euro für die Endlagerung. Zwischenlagerung oder Transport machen die übrigen Kosten aus.
Auch interessant
Die Gutachter haben nun insgesamt sechs Szenarien berechnet, um zu prüfen, ob die Konzerne die Aufgabe ohne Staatshilfe schaffen. Dabei waren zwei Faktoren entscheidend: Zum einen die angenommene Verzinsung der Rückstellungen, zum anderen die Kosten der Entsorgung. So führte die Extrem-Rechnung von dauerhaft niedriger Verzinsung von zwei Prozent in Kombination mit Preissteigerungen von über drei Prozent zu einem nötigen Rückstellungsbetrag von 77 Milliarden Euro, also 39 Milliarden mehr als vorhanden. Das Gutachten geht aber davon aus, dass die Konzerne genügend Substanz haben, die Lücke mit ihrem Vermögen zu schließen.
Im entgegengesetzten Szenario mit Kostensenkungen würden dann sogar 25 Milliarden Euro an Vorsorge reichen. Nach Reuters-Informationen von mit dem Gutachten Vertraute hatten die Versorger auf eine Berechnung mit mehreren Szenarien gedrängt. In einer ersten Fassung hatte die Studie demnach nur ein "Stress"-Szenario, wonach eine Rückstellungslücke von 30 Milliarden Euro geklafft hätte. Die Gutachter haben allerdings immer für alle AKW-Betreiber in Summe gerechnet und deren Leistungsfähigkeit für ausreichend erachtet. Über die Widerstandskraft eines einzelnen Unternehmens wird so keine Aussage getroffen.
Der Stresstest soll nun eine Grundlage für die Arbeit einer Kommission sein, die Regelungen zur Sicherung der Finanzierung von AKW-Abriss und Müll-Lagerung vorschlagen soll. Sie wird demnächst berufen. Eine frühere Studie im Auftrag des Ministeriums hatte bereits eine Fondslösung ins Gespräch gebracht, mit der dem Staat ein größerer Einfluss auf Vorsorge der Konzerne gesichert werden könnte.
Die Regierung hat zudem ein sogenanntes Nachhaftungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem verhindert werden soll, dass Versorger sich von ihren Atom-Töchtern trennen, um ihrer Pflicht zur Entsorgung des Mülls zu entgehen. Der Gesetzentwurf unter dem Motto "Eltern haften für ihre Kinder" hatte dazu geführt, dass E.ON seine Pläne zu einer Aufspaltung änderte. (Reuters/dpa)