Essen.. IG BCE-Chef Vassiliadis warnt die Politik vor einer Entwertung der Konzerne. Damit werde Geld verbrannt, das für den Atomausstieg gebraucht wird

Die Krise der Energieriesen macht auch seiner Gewerkschaft zu schaffen. Wie die Politik die Existenz der Konzerne und ihrer Arbeitnehmer sichern könnte, sagt IG BCE-Chef Michael Vassiliadis im Gespräch mit Stefan Schulte.

Herr Vassiliadis, die IG BCE feiert ihr 125-jähriges Bestehen. Wie viele Jahre kommen noch hinzu, wenn der Steinkohlebergbau 2018 ausläuft und die Energieerzeuger noch tiefer in die Krise geraten.

Michael Vassiliadis: Wir werden gebraucht, so lange es in Deutschland Industrie gibt, also sicher noch sehr, sehr viele Jahre. Mit Chemie, Aluminium, Glas, Papier, Keramik, Kunststoff, Kautschuk und vielen weiteren ist die IG BCE eine Multi-Branchen-Gewerkschaft. Und wir bleiben auch die Gewerkschaft der Bergleute. Steinkohle läuft aus, das ist richtig. Aber es gibt in Deutschland weiterhin den Kali-Bergbau, den Salzbergbau und mit der Braunkohle einen kostendeckenden Energieträger. Im Übrigen kennen wir Zeiten des Wandels aus unserer 125-jährigen Geschichte nur zu gut, das macht uns keine Angst.

Wird der Kampf um Mitglieder zunehmend zum Bruderkampf zwischen den Gewerkschaften? Sie haben vor allem mit Verdi einige Schnittmengen.

Vassiliadis: Ich glaube nicht, dass die Konflikte zunehmen. Im Energiesektor sind beide Gewerkschaften verwurzelt, Verdi aus dem öffentlichen Dienst, wir  aus dem Bergbau. Im Großen und Ganzen funktioniert die Zusammenarbeit. Die Beschäftigten erwarten, dass wir Zukunftsfragen lösen, statt uns an den Haaren zu ziehen. Eine der wichtigsten Aufgaben ist sicherlich, dass wir die weißen Flecken in der Tariflandschaft füllen. Da haben alle Gewerkschaften gemeinsam viel zu tun.

In der Chemieindustrie sind Sie stark, in den Energiekonzernen hat Verdi die Nase vorn. Haben Sie nicht Angst, im Zuge des Gesetzes zur Tarifeinheit irgendwann keine eigenen Tarifverträge aushandeln zu können, weil im Zweifel das Recht des Stärkeren gilt?

Vassiliadis: Unter DGB-Gewerkschaften gehen wir so nicht miteinander um. Da haben wir klare Regeln und immer die Möglichkeit, Tarifgemeinschaften zu bilden. Verdi ist eher in den Bereichen Handel und Vertrieb stark, wir sind es in der Erzeugung mit einem enorm hohen Organisationsgrad. Und weil das so ist, bleibt die IG BCE auch gestaltungsfähig.

Die Stromkonzerne stecken wegen der Schwäche der konventionellen Kraftwerke in der Krise. Reicht Gabriels Strommarkt-Reform, um Strukturbrüche zu vermeiden.

Vassiliadis: Das ist ein Schritt nach vorne, aber es wurde viel Zeit verloren. Die erneuerbaren Energien werden immer noch sehr hoch subventioniert. In der Zwischenzeit verlieren die großen Energiekonzerne an der Börse rasant an Wert. Ich halte das für sehr bedenklich, zumal der Staat gleichzeitig die Verantwortung der Unternehmen für den Rückbau und Endlagerung der Kernenergie thematisiert.

Eon nimmt seine AKW zurück, weil Gabriel die Konzerne unbefristet haften lassen will. Wie sollte der Atomausstieg gemanagt werden? Über eine Stiftung?

Vassiliadis: Ein öffentlich-rechtlicher Fonds oder eine Stiftung sind zwei Vorschläge, die derzeit diskutiert werden. Klar ist, dass der Atomausstieg einen stabilen Rahmen braucht. Und es sind viele Fragen zu klären, etwa der Sicherheit, wo der Staat über das Atomrecht natürlich in der Verantwortung ist. Es wird dringend Zeit, die ebenso oberflächliche wie aggressive Debatte um Zahlen und Rückstellungen endlich um das Wesentliche zu erweitern. Es geht eben nicht nur um die Finanzierung, sondern vor allem darum, wie wir überhaupt den Prozess aus Rückbau und Endlagerung des Atommülls managen. Wenn der Bundeswirtschaftsminister betont, Eltern haften für ihre Kinder, dann sage ich: Ja, beide Eltern der Atomkraft haften gemeinsam, die Mutterkonzerne und Vater Staat.

Ist der Staat nicht so oder so in der Haftung? Niemand weiß doch, ob die Konzerne in 30 Jahren noch Geld verdienen, um den Atomausstieg zu bezahlen.

Vassiliadis: Es ist doch so: Lässt man die Rückstellungen in den Konzernen, schwächt aber gleichzeitig weiter ihre Geschäftsbasis, dann ist dort irgendwann nichts mehr zu holen. Denn das Tafelsilber der Konzerne sind die Kraftwerke, die dann niemand mehr haben will. Zieht man andersherum die 39 Milliarden Euro mit einem Mal aus den Konzernen heraus, eliminiert man sie. Das wäre quasi das Einschmelzen des Tafelsilbers. Die ganz Debatte folgt einer irrigen Annahme: RWE beispielsweise hat schließlich keinen Goldschatz im Keller gehortet, sondern die Rückstellungen stecken in Kraftwerken und Braunkohlebaggern. Von daher gibt es viele gute Gründe, sich sorgsamer mit der Zukunft der Energiekonzerne zu beschäftigen.

Eine Atomstiftung mit Kohlemeilern als Geldquelle – dann könnten Sie doch Ihre Idee der Deutschen Steinkohlekraftwerks AG einbringen und bekämen die große Lösung für alle Energieträger, die der Staat früher oder später durch Erneuerbare ersetzen will.

Vassiliadis: Das ist vielleicht intellektuell naheliegend, aber solche Signale der Politik sehe ich nicht.

Hätte dies für Sie auch den Charme, dass jede Regierung es sich dreimal überlegen würde, ob sie Kohlekraftwerke weiter schwächt, wenn dies die Rücklagen der Atomstiftung gefährden würde?

Vassiliadis: Wie gesagt, die Stiftung könnte eine Lösung sein. Aber unabhängig davon wird man entscheiden müssen, ob man konventionelle Kraftwerke geordnet weiter nutzt oder Geld verbrennt, das dann der Steuerzahler aufbringen muss. Wir haben heute einen Stromanteil der Kernenergie von 22 Prozent und 26 Prozent aus Kohlestrom. Es wird dauern, bis die Erneuerbaren das auffangen können. Wir brauchen Zeit für die Energiewende, das verstehen die Bürger auch. Subventionsfreie Kohlekraftwerke aus dem Markt zu schießen und gleichzeitig die Erneuerbaren immer weiter zu subventionieren, wäre jedenfalls die mit Abstand teuerste Lösung.