Essen. . NRW-Wirtschaftsminister Duin sieht den Staat bei der Finanzierung des Atomausstiegs in der Pflicht. Expertin Kemfert warnt vor „Kosten-Tsunami“.
NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) holt weit aus, um sich der brenzligen Lage der Energiekonzerne Eon und RWE zu nähern. „Wir sollten uns daran erinnern, wie die Kernenergie nach Deutschland gekommen ist“, sagt Duin. Im Godesberger Grundsatzprogramm der SPD aus dem Jahr 1959 sei die Atomkraft noch mit einer „heilsbringenden Zukunft“ in Verbindung gebracht worden. Auch parteiübergreifend habe sich die Politik in der Vergangenheit massiv für den Bau von Atomkraftwerken eingesetzt. „Heute zu sagen, die Politik habe immer schon gewusst, dass dies ein Irrweg sei, wäre einfach albern“, so der Minister.
Entsprechend sieht Duin nun Staat und Steuerzahler in der Verantwortung, wenn es darum geht, die Kosten für den Atomausstieg aufzubringen. „Es gilt die Aussage: Eltern haften für ihre Kinder. Aber es hat zwei Eltern gegeben, Vater Staat und Mutter Konzerne, und die werden beide ihren Anteil tragen müssen.“
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Der NRW-Wirtschaftsminister nährt Zweifel daran, dass die von den großen vier Konzernen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall gebildeten Rückstellungen ausreichen werden, um die Kosten zu decken, die für den Abriss der Kraftwerke und die Lagerung des atomaren Mülls erforderlich sind. Als Mitglied der Endlagerkommission wisse er, „dass die Herausforderung wahrscheinlich größer ist, als die 38 Milliarden Euro, die mit den Unternehmen verabredet sind“. Und dann werde „kein Weg daran vorbeiführen, dass der Staat Verantwortung übernimmt – in welcher Form auch immer“.
„Die haben mit uns eine Verabredung über diese festgelegte Summe“
Dass Duin sagt, 38 Milliarden Euro seien „verabredet“, irritiert allerdings. Schließlich ist es geltende Rechtslage, dass die Atomkraftwerksbetreiber uneingeschränkt sämtliche Kosten des Rückbaus und der Stilllegung von Kernkraftwerken sowie der Entsorgung radioaktiver Abfälle übernehmen müssen. Nach dem Verursacherprinzip liegt die volle Kostenverantwortung bei den Unternehmen. Entsprechend hat sich die Höhe der Rückstellungen im Laufe der Jahre je nach Anforderung verändert. Duin hingegen betont: „Wenn wir irgendwann zu dem Ergebnis kommen sollten, dass die 38 Milliarden nicht ausreichen, dann wäre das keine Frage, die die Unternehmen zu lösen haben. Die haben mit uns eine Verabredung über diese festgelegte Summe.“
Beim grünen Koalitionspartner in NRW heißt es hingegen: „Es gibt keine Verabredung.“ Auch Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte davor, die Unternehmen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Die Konzerne hätten über Jahrzehnte Subventionen erhalten und ausreichende Gewinne mit abgeschriebenen Atomkraftwerken gemacht, sagte Kemfert unserer Zeitung. „Aus diesem Grund ist es inakzeptabel, dass die Gesellschaft nun für den Kosten-Tsunami der Atomkraft aufkommen soll.“
„Aber wo ist die Evonik von Eon und RWE?“
Unlängst hatte auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Energiekonzernen Unterstützung signalisiert. „Die Gesetze für die Energiekonzerne scheinen nicht mehr in Stein gemeißelt zu sein“, sagt Michael Vorfeld, Finanzwissenschaftler der Mülheimer Hochschule Ruhr West (HRW). „Es zeichnet sich ab, dass der Steuerzahler am Ende unterstützen muss. Wichtig ist aber, dass die Politik keine Freibriefe ausstellt, durch die marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft gesetzt werden.“
NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) hatte angeregt, die Atomrückstellungen der Konzerne in eine öffentliche Treuhänderschaft zu überführen. Seit einiger Zeit werden in der Politik Fonds- oder Stiftungsmodelle diskutiert, um die Finanzierung des Atomausstiegs dauerhaft abzusichern. Als Beispiel dient die RAG-Stiftung zur Finanzierung der Steinkohle-Altlasten. Sie wird vor allem aus Erträgen des Chemiekonzerns Evonik gespeist. „Aber wo ist die Evonik von Eon und RWE?“, fragt NRW-Wirtschaftsminister Duin. „Also wird es auf eine Art Fonds hinauslaufen“, sagt er.
RAG-Stiftungschef Werner Müller wird unter anderem als Aufsichtsratsvorsitzender von RWE oder Chef eines Atomfonds gehandelt. Duin hält Müller offenbar für geeignet. „Ich würde die Kompetenz von Werner Müller immer nutzen, wo es möglich ist. Er ist nicht nur hervorragend vernetzt, er steckt so tief in der Thematik, dass mir wenige einfallen, die für diesen Bereich besser gerüstet sind.“