Mülheim/Essen. . Die Energiekonzerne haben milliardenschwere Rückstellungen gebildet. Wissenschaftler befürchten aber, dass die Finanzierung des Atomausstiegs wackelt.
Ein Gutachten von Wissenschaftlern der Mülheimer Hochschule Ruhr West (HRW) nährt Zweifel, ob die Energiekonzerne ihren finanziellen Verpflichtungen im Zuge des Atomausstiegs nachkommen können. Derzeit stehen in den Bilanzen der Energieversorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Atom-Rückstellungen in Höhe von rund 38,5 Milliarden Euro. Allein bei Eon sind es 16,6 Milliarden Euro, auf den Essener RWE-Konzern entfallen knapp 10,4 Milliarden. Doch nach Einschätzung der Experten ist fraglich, ob damit die Finanzierung der Atom-Altlasten gesichert ist.
Auch interessant
„Die Rückstellungen mögen aus Sicht der Rechnungslegung angemessen sein, aber Zweifel sind berechtigt, dass das Geld auch passgenau fließen kann, wenn es gebraucht wird“, sagte der HRW-Finanzwissenschaftler Michael Vorfeld im Gespräch mit dieser Zeitung. Vorfeld hat gemeinsam mit dem Energie-Wissenschaftler Wolfgang Irrek im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion ein Gutachten zur Werthaltigkeit der Atomrückstellungen verfasst.
Wirtschaftsministerium sieht Energieversorger in der Pflicht
Es bestehe „die Gefahr“, dass die Vermögenswerte von Eon und RWE „Jahr für Jahr weniger ausreichen werden, die langfristigen Verpflichtungen im Atombereich und darüber hinausgehende Verpflichtungen zu decken“, heißt es in dem Gutachten, das unserer Zeitung vorliegt. Sollten die Konzerne nicht mehr zahlen, müssten wohl die Steuerzahler einspringen.
Das Bundeswirtschaftsministerium betonte, es sehe weiterhin die Energiekonzerne bei der Finanzierung des Atomausstiegs dauerhaft in der Pflicht. Demnach haften die Versorger für sämtliche Kosten, die durch den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung von radioaktivem Müll entstehen.
Auch interessant
Eon und RWE wiesen Zweifel an der Solidität ihrer Rückstellungen zurück. „Wir gehen davon aus, dass die Rückstellungen korrekt und angemessen sind“, hieß es bei RWE.
Belastungen für Steuerzahler befürchtet
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagt, er halte die Beteuerungen für wenig glaubwürdig. Es sei „ein hilfloser Verschleierungsversuch“, wenn Eon und RWE „uns weismachen wollen, die Rückstellungen seien angemessen und vorhanden“. Das bisherige System der Rückstellungsbildung sei „weder insolvenzfest noch ausreichend robust gegenüber Kostensteigerungen“, die insbesondere bei der Atommüll-Endlagerung zu erwarten seien, so Krischer.
„Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass letztlich der Steuerzahler einspringen muss“, betont der Mülheimer Wissenschaftler Michael Vorfeld. „Politik und Unternehmen wären also gut beraten, frühzeitig Modelle auszuloten, die möglichen Schaden für alle Beteiligten abwenden.“ Dies könnten seiner Ansicht nach Fonds- oder Stiftungsmodelle sein. Die Rückstellungsgegenwerte seien „nicht auf Knopfdruck“ verfügbar, so Vorfeld. „Das Geld muss zunächst einmal flüssig gemacht werden, etwa durch Verkäufe von Unternehmenswerten.“ Auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hatte sich bereits für die Gründung einer Atom-Stiftung stark gemacht.