Berlin. . Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Dieselautos trifft den Volkswagen-Konzern mit voller Wucht, die Aktie bleibt im freien Fall. Doch Boss Winterkorn will weitermachen.

Wie dramatisch die Lage beim VW-Konzern aus Wolfsburg derzeit ist und wie er in der Öffentlichkeit wirkt, zeigt die Eilmeldung der Agentur Reuters von 16.36 Uhr: „VW-Chef Martin Winterkorn tritt nicht zurück.“ Der Konzern hat da gerade eine Videobotschaft seines Lenkers angekündigt und viele Beobachter fürchten oder hoffen, je nach Haltung zu Winterkorn, dass er geht. Er entschuldigt sich dann im Video. Nur, muss man sagen, angesichts dessen, was den Dienstag über so alles passiert ist.

Elf Millionen Fahrzeuge betroffen

Der Konzern hat am Mittag bekannt gegeben, dass bei weltweit elf Millionen Autos auffällige Unterschiede zwischen Schadstoffwerten im Prüfstand und im realen Leben bestehen. Bisher war nur von rund 500 000 Fahrzeugen in den USA die Rede. Die US-Umweltbehörde EPA wirft VW vor, hier mit einer Software zu manipulieren, die erkennt, wenn ein Motor getestet wird und ihn so einstellt, dass die Abgaswerte gut aussehen. Im echten Betrieb sehen die Werte dann schlechter aus. Der Verkauf von VW-Diesel-Fahrzeugen ist in den USA gestoppt. Erste Sammelklagen werden vorbereitet. Die US-Umweltbehörde droht mit Strafen von bis zu 18 Milliarden Euro.

VW stellt im dritten Quartal erst einmal 6,5 Milliarden Euro zurück – für „Service-Maßnahmen und weitere Anstrengungen, um das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen“. Die Nachricht ist auch eine Gewinnwarnung für das Gesamtjahr. In der Folge stürzt der Kurs der Aktie erneut um bis zu 20 Prozent ab, binnen zwei Tagen hat VW damit knapp 27 Milliarden Euro an Wert verloren. Am Dienstagnachmittag schaltet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich ein und fordert rasche und lückenlose Aufklärung sowie „volle Transparenz“, etwas was sie bei VW offenbar bisher vermisst. Und sie sagt: „Ich hoffe, dass möglichst schnell die Fakten auch auf den Tisch kommen.“ Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat da bereits eine Untersuchungskommission unter Verkehrsstaatssekretär Michael Odenwald eingesetzt, die noch in dieser Woche nach Wolfsburg reisen soll. Die Kommission soll mit der US-Umweltbehörde kooperieren. VW hat volle Zusammenarbeit versprochen.

Immer mehr Staaten kündigen Überprüfung an

Inzwischen will auch das Verkehrsministerium in Italien ermitteln, und die Südkoreaner schauen sich Diesel-Fahrzeuge von VW genau an. Im Laufe des Tages kündigte ein Land nach dem anderen, darunter auch Frankreich, umfassende Untersuchungen an. Vom Ärger in den USA ganz zu schweigen.

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Winterkorn hat am Sonntag bereits die Manipulation zugegeben. Am Dienstag versucht er es mit einer Videobotschaft, deren Ankündigung die Spekulationen über einen Rücktritt befeuern. Der Zuschauer erlebt einen gezeichneten Topmanager, der sich mit versteinertem Gesicht „bei unseren Kunden, bei den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten“ entschuldigt. Die Botschaft zeigt aber auch: Winterkorn will weitermachen.

Es kursieren Nachfolgegrüchte

Ob es dazu kommt, entscheidet sich vielleicht schon an diesem Mittwoch. Dann tagt das Präsidium des Aufsichtsrats. In der außerordentlichen Sitzung befasst sich das Gremium mit dem Skandal. Sehr wahrscheinlich geht es auch um Winterkorns Vertrag. Den wollte der Aufsichtsrat ursprünglich am Freitag in der turnusmäßigen Sitzung über 2016 hinaus verlängern. Die bei VW mächtige IG Metall spricht sich zwar gegen schnelle Personalentscheidungen aus, allerdings halten die Familien Porsche und Piëch die Mehrheit der Stimmen. Und Patriarch Ferdinand Piëch würde Winterkorn gern loswerden.

Möglicherweise wird es dazu jetzt nicht kommen. Am Dienstag kursiert schon der Name eines Nachfolgers: Matthias Müller, derzeit Chef der VW-Tochter Porsche. Der Wolfsburger Konzern dementiert deutlich mit „Schwachsinn“, wie ein Sprecher sagt.